Lord Nelsons letzte Liebe. Heinrich Vollrat Schumacher
Republikanern, zum mindesten zwanzigtausend seien noch vor Gericht zu stellen. Von achthundertunddreizehn Hochverratsprozessen sprach man, die zur Verurteilung der Angeschuldigten geführt haben sollten. Und als Vanni vor den vornehmsten Ständen, den ältesten Adelsfamilien, den höchsten Würdenträgern nicht haltmachte, als er einen Colonna, einen Sohn des Fürsten von Stigliano, einen Serra di Cassano, einen Verwandten der Herzöge von Caracciolo, einen Riario, einen Grafen von Ruvo und endlich sogar Cavaliere Medici, den Gouverneur der Vicaria selbst, einkerkern ließ, wuchs die Furcht vor einer Anklage, das Streben, sich von jedem Verdacht zu reinigen, zum Wahnsinn.
Am Tage der Hinrichtung eines Verurteilten gab sein Bruder ein Gastmahl ...
Angesichts des Schafotts, auf dem sein Sohn unter Paradisos Händen verblutete, spielte ein Vater am offenen Fenster die Gitarre …
1 Anglic = englisch; angelic = engelhaft.
2 Der große Gerichtshof Neapel.
Elftes Kapitel
Oft hatte Emma versucht, die Königin milder zu stimmen. Aber Maria Carolina erblickte in jedem, der von Verbesserungen sprach, einen Umstürzler und Mitschuldigen am Morde ihrer Schwester. Auf Ludwigs XVI. Schicksal wies sie hin, das gezeigt hatte, wohin unzeitige Großmut führte. Sie wollte nicht in denselben Fehler verfallen, wollte nicht ruhen, bis sie das Übel im Keime erstickt habe. Und dann — verteidigte sie nicht das Erbe ihres Hauses? Eine Mutter war sie, mußte für ihre Kinder kämpfen, wie die Löwin für ihre Jungen.
Jede Bitte um Gnade schlug sie ab, verbot schließlich, nur davon zu sprechen.
Auch Sir William wünschte nicht, daß Emma ihre Versuche fortsetzte. Für England war es nur von Vorteil, wenn Maria Carolina die Kluft zwischen sich und den Neapolitanern erweiterte. Einem feindlich gesinnten Volke gegenüber mußte sie sich auf die Auslandsmächte stützen. Und von diesen war allein England imstande, ihr zu helfen. Nur England hatte Erfolge gegen Frankreich, von den Fahnen der übrigen Verbündeten wich das Glück. Schien es nicht schon jetzt, als wollten sie von den geschlossenen Verträgen abfallen?
Gerüchte von geheimen Verhandlungen gingen um. Rechtzeitig galt es Klarheit zu erhalten, damit England vor Schaden bewahrt blieb.
Nein, Emma durfte die Königin nicht erzürnen, mißtrauisch machen. Mochten die Köpfe dieser neapolitanischen Policinellen fallen, wenn Maria Carolina nur fortfuhr, Sir William und Pitt durch geheime Winke zu unterstützen!
***
Caserta, 29. April 1795.
„Teure Mylady, eben ist ein Kurier aus Spanien angekommen. Bilbao hat kapituliert; ganz Biscaya gehört den Franzosen. Aber der Hof, die Minister sollen trotzdem zuversichtlich sein. Alcudia sagte unserem Gesandten, der Verlust bedeute nicht viel, alles werde sich zum Guten wenden.
Das scheint mir unbegreiflich. Denn seltsamerweise erweist der französische General Monceny 1 den spanischen Kurieren Höflichkeiten, gibt ihnen Pässe, Empfehlungen. Was soll man davon halten? Ich zerbreche mir den Kopf.
Die Depesche wird augenblicklich entziffert, sobald ich mehr weiß, teile ich es Ihnen mit.
Adieu, tausend Komplimente an Sir William! Ganz die Ihrige
Charlotte
Am frühen Morgen hatte Emma das Billett erhalten. Zwei Stunden später bereits kam ein zweites.
„Meine teuerste Mylady, ich bin so verwirrt und aufgeregt, daß ich nicht weiß, was tun. Hoffentlich sehe ich Sie morgen gegen zehn Uhr.
Anbei die Depesche aus Spanien. Sie müssen sie mir aber spätestens in vierundzwanzig Stunden zurückgeben. Der König darf sie nicht vermissen. Sie enthält höchst interessante Dinge für die englische Regierung. Ich teile sie ihr mit, um ihr meine Zuneigung und dem würdigen Chevalier 2 mein Vertrauen zu beweisen. Ich bitte nur, mich nicht zu kompromittieren! Adieu! Wieviel haben mir uns morgen zu sagen! Ihre treue Freundin
Charlotte.“
Die Depesche war an Ferdinand persönlich gerichtet, vom zweiten April datiert, trug die Unterschrift König Karls IV. von Spanien. Im strengsten Vertrauen schilderte er seinem Bruder die schwierige Lage, in die ihn die Fortschritte der französischen Truppen in den Pyrenäen-Provinzen versetzt hatten. Daher fürchtete er, von der europäischen Koalition gegen Frankreich zurücktreten, mit den Jakobinern Frieden schließen zu müssen. Benachrichtigte Ferdinand schon jetzt, damit dieser rechtzeitig seine Maßregeln treffen konnte.
Sir William schien die Nachricht von größter Wichtigkeit. Zog Karl IV. sich aus der Koalition, so ging die vereinigte Flottenmacht Spaniens und Englands um mehr als die Hälfte zurück, England war im Mittelmeer isoliert, alle Fortschritte der letzten Jahre waren bedroht. Dazu klagte Nelson in seinen Briefen über den schlechten Zustand der Flotte, die durch Stürme und Krankheiten der Mannschaft litt, während auf der anderen Seite die Berichte der Spione von fieberhaften Rüstungen in den französischen Häfen sprachen.
Schwere Zeiten schienen England bevorzustehen. Ein Glück nur, daß Maria Carolina in ihrem Hasse gegen die Mörder ihrer Schwester sich nicht gescheut hatte, die vertraulichen Eröffnungen ihres Schwagers preiszugeben! So war man gewarnt, konnte ungeheuerem Schaden Vorbeugen.
Noch an demselben Abend ging Emmas Abschrift der Depesche mit Maria Carolinas Billett an das Auswärtige Amt in London ab.
Drei Monate später folgte ein neues Schreiben Karls IV., in dem er seinem Bruder den Abschluß des Friedens mitteilte ...
***
Eine Zeit der Arbeit und Aufregung folgte. Täglich trafen von allen Seiten Nachrichten ein, die in Empfang genommen, geprüft, durch sichere Boten weitergegeben werden mußten. Auf den Kriegsschauplätzen fiel Schlag auf Schlag. Die französischen Truppen, an den Pyrenäen frei geworden, verstärkten die italienische Armee; Scherer und Masséna schlugen die Österreicher bei Loano, die ganze Riviera fiel in die Hände der Sieger. Nelson, von Genua aus den Rückzug der Besiegten deckend, mußte die Docks von Livorno aufsuchen, um den ‚Agamemnon‘ notdürftig ausbessern zu lassen. Die Mannschaft war erschöpft, das Schiff in einem kläglichen Zustande. Kein Mast, keine Rahe, kein Segel war von Kugeln unversehrt geblieben, den Rumpf hatte man wochenlang durch darum gewundene Taue Zusammenhalten müssen. Jervis, der neue Admiral der Mittelmeerflotte, bot daher Nelson ein größeres Schiff an, dieser aber schlug es aus. Er hatte den ‚Agamemnon‘ liebgewonnen, mochte sich von den altgewohnten Kampfgenossen nicht trennen.
In seinen Briefen beklagte er die Langsamkeit der verbündeten Österreicher und Sardinier, die nicht vom Fleck rückten und auch ihn zur Untätigkeit verurteilten. Während die Franzosen ...
Napoléon Buonapparte, der frühere Gegner von Toulon, führte nun, kaum sechsundzwanzigjährig, den Oberbefehl in Italien. Am 27. März 1796 war er im Hauptquartier zu Nizza eingetroffen, und schon in den ersten Tagen des April machte sich ein neuer, ungestümer Geist bemerkbar. Montenotte, Millesimo, Dego, Mondovi, Lodi — soviel Namen, soviel Siege. Am 14. Mai hielt er seinen Einzug in Mailand, am 15. zwang er Sardinien zu einem verlustvollen Frieden. Jagte die Reste der österreichischen Armee nach Tirol. Bemächtigte sich fast der ganzen Lombardei. Erfüllte die Herzöge von Parma und Modena mit einer solchen Furcht, daß sie durch freiwillige Abgaben die Gunst des Siegers erkauften. Nötigte Papst Pius VI. zum Frieden.
Näher und näher rückte Neapel die Gefahr. Ferdinand zitterte für seinen Thron, verwünschte den Tag, da er sich hatte verleiten lassen, um einen Weiberkopf mit