Lord Nelsons letzte Liebe. Heinrich Vollrat Schumacher

Lord Nelsons letzte Liebe - Heinrich Vollrat Schumacher


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sie nicht, bis sie zu mir gehen durfte. Zu dem schlechten Matrosen kam sie, in den finsteren Kielraum, in dem das faule Wasser die Luft verpestete, die Ratten einander jagten. Sie sprach mit mir. Wollte wissen, warum ich Sir John das angetan. Ich antwortete nicht, verteidigte mich nicht. Da drang sie in mich, setzte mir zu, bat. Faßte mich an der Ehre. Sollten Nels Feinde ihm vorwerfen, daß er seine Maats zur Meuterei erziehe? So sagte ich es. Wie es mit Ihnen, mit Sir John und mit mir gewesen war. Alles. Und daß Sie nahe daran gewesen waren, schlecht zu werden. Weil Sie eine gute Tat getan hatten.“ Er stockte, dunkle Röte stieg in sein Gesicht. „Damals glaubte ich noch, daß es eine gute Tat gewesen war. Da hatte Mr. Greville noch nicht mit mir gesprochen.“

      „Und Mrs. Nelson, Tom? Was sagte sie? Was tat sie?“

      „Sie weinte über Klein-Amy und bewunderte sie. War voll Zorn gegen Sir John. Ging zu Nel, erzählte ihm alles. Und er ... unter dem Sankt Georgskreuz ist kein Kapitän außer ihm, der das für einen gewöhnlichen Matrosen getan hätte! Er fuhr nach London, ging zu den Lords der Admiralität. Und als die ihn abwiesen, zum Könige. Mr. Pitt stand ihm bei. Sie sprachen für mich, machten mich frei.“ Er richtete sich auf. Ernst blickte er auf Emma. „Wissen Sie nun, was Nel und Mrs. Fanny für Tom Kidd bedeuten? Soll ich nun Josiah holen und mit Ihnen gehen?“

      Gereizt von seinem strengen Ton, winkte ihm Emma, zu gehen. Aber da er sich anschickte, die Kajüte zu verlassen, kam die Unruhe wieder über sie.

      „Noch eins, Tom! Nanntest du meinen Namen?“

      Er blieb stehen, blickte zu ihr zurück. Tiefes Mitleid in den Augen.

      „Ich sprach nur von Klein-Amy! Sie wissen nicht, wer sie war. Nicht, was aus ihr geworden ist. Ach, daß Sie sich so verstellen und verstecken müssen! Sie, der früher kein unwahres Wort über die Lippen kam!“

      „Früher!“

      Hohnvoll lachte sie auf. Trieb ihn hinaus. Mit einer stummen Gebärde des Zorns.

      Fünftes Kapitel

      Josiah gefiel Emma sehr.

      Er zählte kaum fünfzehn Jahre, hatte aber bereits etwas Männliches in seinem Wesen. Wenn er sich erregte, wurden seine großen, grauen Augen fast schwarz, seine jungen Glieder strafften sich, das weiche Oval seines Gesichts erstarrte. Er war sehr schön, voll schlummernder Leidenschaft.

      Emma gegenüber zeigte er sich anfangs scheu und ungelenk. Aber während der Fahrt zum Palazzo Sessa, als er mit ihr im Wagen allein war, wurde er lebhafter, zutraulicher. Seinen Interessen nachspürend fragte sie ihn nach dem Leben auf dem ‚Agamemnon‘, nach seinem Dienst als Midshipman, nach seinem Vater. Nun war er ganz Feuer und Glut. Wurde nicht müde, kleine Ereignisse aus dem Leben des Kapitäns zu erzählen, die Nelsons Pflichttreue, seinen lauteren Charakter, seine Herzensgüte in helles Licht setzten.

      Glücklicher Vater, der seinem Sohne das Ideal eines Mannes war!

      Etwas wie Trauer beschlich Emma. Auch sie hatte ein Kind. Hatte einst davon geträumt, es zu einem guten Menschen zu erziehen, dem die Fehler der Mutter nicht anhafteten. Dreizehn Jahre war die kleine Emma nun alt. Kannte ihre Mutter kaum. Hatte den Namen ihres Vaters nie gehört. Lebte unter falschem Namen in einem abgelegenen Winkel Englands. Von Fremden empfing sie Liebe. Liebe, erheuchelt um Geld ...

      Tränen traten in Emmas Augen. Einem heißen Gefühl nachgebend beugte sie sich vor, nahm den Kopf des Knaben in ihre Hände, wollte die jungen, frischen Lippen küssen. Als sie aber den scheuen Blick seiner erschreckten Augen sah, wich sie zurück.

      Während ihm ein brennendes Rot langsam in die Wangen stieg ...

      ***

      Spät am Abend erst kam Emma in ihr Schlafzimmer, ließ sich gleich neben der Tür auf ein Ruhebett sinken. Todmüde fühlte sie sich. Wie nach einem Tage voll Arbeit und Mühe.

      Aber was hatte sie denn eigentlich erlebt, daß ihre Nerven so versagten? Ein Schiff war gekommen, einen Jugendfreund hatte sie wiedergesehen, ein paar Menschen kennen gelernt ...

      Nach dem Abendessen hatte Nelson von seiner Frau und seinem Vater erzählt. Im Pfarrhause zu Burnlam-Thorpe hatte er die letzten Jahre verlebt. Dem in Ungnade Gefallenen hatte die Admiralität kein Kommando gegeben. Ein Landmann war er geworden, hatte seines Vaters Felder bewirtschaftet, mit benachbarten Gutsbesitzern gejagt, sich mit Studien und Josiahs Erziehung beschäftigt.

      In einen Sessel geschmiegt hatte Emma Nelsons schlichten Worten gelauscht, dem warmen Ton seiner Stimme. Stundenlang hätte sie so liegen mögen, wie umspielt von den herbwürzigen Düften der blühenden Äcker. Ungern war sie dann Sir Williams Bitte gefolgt, dem Gaste eines ihrer heimatlichen Lieder zu singen. Aber als die ersten Akkorde der Harfe unter ihren Händen erklangen, hatte etwas wie Zorn sie ergriffen. Einen jener keltischen Bardengesänge hatte sie angestimmt, die das niedere Volk von Wales durch die Jahrhunderte bewahrt hatte. Wilde Strophen von verwegener Meerfahrt, herrischem Erraffen des Glücks, heldischem Tod ...

      In schneidendem Gegensatz zu seinem niederen, bäuerlichen Idyll hatte sie vor Nelson die alte stolze Weise gesungen. War sich vorgekommen wie eine jener heldenhaften Waldjungfrauen der alten Sage, die den Geliebten mit Schild und Schwert wappneten, mit geißelnder Rede in Sturm, und Kampftod sandten.

      Hatte er sie verstanden?

      In seinen Augen war es aufgeglüht, und seine Hand hatte sich geballt, wie um den Griff eines Schwertes ...

      Und nun lag sie matt, kraftlos, elend. Horchte auf jedes Geräusch in dem weiten, nächtlich stillen Hause. Wartete auf den schleichenden Schritt des alten Mannes ...

      Sir William hatte es sich nicht nehmen lassen, den Gast selbst in seine Zimmer zu geleiten. Ihnen voranzuleuchten war ein Diener mit brennenden Kerzen eingetreten. Aber als Emma sich von Sir William verabschieden wollte, ihm wie sonst die Stirne zum Kusse bietend, hatte er protestiert.

      „Ich komme noch zu dir! Du weißt ja, wir haben noch etwas zu besprechen. Wegen des Berichts an Pitt.“

      Lächelnd hatte er dabei auf Nelson gesehen, selbst dem Diener zugeblinzelt. Ein eitler, sich mit der Schönheit seines Weibes brüstender Geck.

      Verlegen hatte Nelson sich abgewandt und die Hand nicht beachtet, die Emma ihm zum Abschied entgegenstreckte ...

      Hatte sie geschlafen?

      Erschreckt fuhr sie auf, als ein heller Schein ihre Augen traf. Eine brennende Kerze in der Hand kam Sir William herein.

      Sorgsam schloß er die Tür, stellte die Kerze auf einen Tisch, setzte sich neben Emma auf den Rand des Diwans.

      „Du warst sehr schön heut abend. Das Hochdramatische kleidet dich. Eine neue Nuance. Du mußt sie nur noch ein wenig mehr herausarbeiten. Dann wird sie sehr effektvoll sein.“

      Widerwillen gegen seine Stimme erfaßte sie. „Du meinst, ich habe Nelson etwas vorgespielt?“

      „Nicht? Fühlst du dich wirklich als Heroine? Ich warne dich. Es paßt nicht in unser nüchternes, aufgeklärtes Jahrhundert. Übrigens, ob gespielt oder nicht, die Wirkung ist erzielt. Nelson nannte dich eine Jungfrau von Orléans, die ein ganzes Volk zum: Heldentum begeistern könne.“ Er kicherte. „Ein naiver Mensch! Sahst du, wie verlegen er wurde, als ich dir meinen Besuch ankündigte? Er muß eine merkwürdige Ehe führen, daß er noch errötet. Nun, in unserem Neapel wird es ihm abgewöhnt werden. Es wäre mir aber lieb, wenn es nicht durch dich geschähe!“

      Mit einem Ruck fuhr sie empor.

      „Durch mich?“

      „Nicht so ungestüm, Kind! Ich meine es ganz harmlos. Du sagtest ja selbst, daß du froh bist, nach allen diesen italienischen Windbeuteln einmal auf einen Mann zu stoßen. Nebenbei, meine Anerkennung für die nette, kleine Sottise, die du bei der Gelegenheit an meine Adresse richtetest! Ich hätte auch nichts gegen eine kleine, romantische Passion. Das verjüngt die Frauen, was ihren Männern nur angenehm sein kann. Aber diesmal bitte ich doch, davon abzusehen. Ich möchte mir meine Chancen nicht


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