101 GEDANKEN AN TOM. Gabriele Hasmann

101 GEDANKEN AN TOM - Gabriele Hasmann


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nehme ich das Telefon zur Hand, spreche mit Mimi, Charlie, Anton und Lucy, denen ich versichere, keine echten Selbstmordgedanken zu haben und schon bald wieder gesellschaftstauglich zu sein. Ich schmettere diverse Aber-Sätze ab (»Du musst nicht darüber reden …« oder »Ich will mich ja nicht einmischen …«), die meine Gesprächspartner natürlich unvollendet lassen, um mich vorübergehend in Sicherheit zu wiegen. Außerdem höre ich geduldig beim Phrasendreschen à la »Der Flachwichser hat dich doch gar nicht verdient.« zu und verspreche, mich nicht unterkriegen zu lassen. Abschließend folgt ein bisschen Lavendelschmäh von meiner Seite, der die Trennung ins Licht der Belanglosigkeit rückt. Nur Mimi, die letzte Gesprächspartnerin vor dem geplanten Alkoholexzess, misst dem Beziehungs-Aus mehr Bedeutung zu und hakt nach, verkneift sich allerdings zum Glück sowohl weibliche Solidaritätsbekundungen als auch diverse Frauenpower-Kalendersprüche. Auf beides reagiere ich mittlerweile so gereizt wie ein Stier mit Hämorrhoiden, der an Verstopfung leidet. Ihre Erkundigung, wie es Tom denn gehe, fühlt sich dann aber doch an wie eine Faust in der Magengrube. Ich zerkaue einen Fluch im Mund und antworte so würdevoll wie möglich: »Bitte verschieb deine Empathie für Kanalratten auf später. Du glaubst jetzt hoffentlich nicht im Ernst, dass mich das interessiert?«

      »Hast du ihm eigentlich gesagt, wie du dich fühlst?«, will sie mit Therapeutenstimme wissen.

      »Ich habe ihn dermaßen angebrüllt, dass es mich wundern würde, wenn er keinen bleibenden Gehörschaden hätte«, erwidere ich grimmig. »Aber du kennst ihn doch, der Mann ist wie eine Teflonpfanne – an dem bleibt nichts haften.«

      Mimi lacht und verabschiedet sich endlich, nicht ohne am Ende doch noch eine Floskel zu strapazieren, gekrönt von einer lauwarmen Aufmunterung: »Die Zeit heilt alle Wunden. Kopf hoch!« Ich danke ihr zähneknirschend für den topp Tipp am Schluss, obwohl ich momentan eher zum In-den-Sand-Stecken dieses Körperteils tendiere und diese Verhaltensart gedanklich sofort auf meine Liste interessanter Selbstmordmethoden setze. Wussten Sie, dass das Wort Floskel aus dem Lateinischen übersetzt »Blümchen« bedeutet? Das nur so nebenbei, schließlich sollen Sie beim Lesen etwas lernen.

      Und noch etwas: Dass die Gedanken an Tom während der Telefonate nicht gelten, versteht sich von selbst.

      Ich schleiche mit hängenden Schultern Richtung Badezimmer, um mich für die Sauforgie schick zu machen – wenn schon die totale Vernichtung, dann bitte mit Stil und Wimperntusche – und stelle beim Blick in den Spiegel fest: Ich sehe aus wie ein Monchhichi (sollten Sie später als 1985 geboren sein: affenähnliche Puppe aus Japan mit abstehenden Ohren, deren Daumen der rechten Hand in den geöffneten Mund der Figur gesteckt werden konnte) auf Drogenentzug. Auch egal.

      Anschließend lege ich eine Platte mit klassischer Musik auf – nein, nicht »Gloomy Sunday« –, bevor ich mich zum Kleiderschrank begebe. Während die satten Klänge des Cellos aus dem Lautsprecher fließen wie geschmolzene dunkle Schokolade, wähle ich einen Hosenanzug, den ich mir eigentlich zum Ausziehen gekauft hatte, als ich noch mit Tom … okay, der gilt … zusammen war. Zu den Tönen, die das Streichinstrument produziert, gesellen sich leise Naturgeräusche: Ich höre in der Ferne Donner grollen, gleich darauf trommeln dicke Tropfen gegen die Fensterscheiben. Der Regen wäscht die Farbe aus der Stadt, während der Schmerz jede einzelne meiner glücksbunten Gefühlsregungen in ein dunkles Loch saugt.

      Riiiiing. Himmel, bin ich jetzt erschrocken! Es hat geläutet. Verdammt, wer stört mich in meinem Stimmungstief?

      Ich reiße verärgert die Wohnungstür auf. Vor mir steht mein Nachbar Markus, der ein Gespür für unpassende Momente besitzt wie der Jagdhund einen Instinkt für die fetteste Beute. Zudem verfügt er über ein Takt-Handicap und Empathie-Manko, was das Näheverhältnis zwischen zwei sich fremden Menschen sowie deutliche Hinweise des Gegenübers auf mehr Ferne betrifft. Seit der Mittdreißiger sich als Laiendetektiv betätigt und herausgefunden hat, dass ich wieder Single bin, rückt er mir auf die Pelle. Dabei müsste er mein Desinteresse an Männern aus der Weicheier-Fraktion – denn wie meine Oma schon sagte: »Nett ist nichts fürs Bett!« – doch längst bemerkt haben. Sobald er mir im Haus über den Weg läuft, sinken meine Mundwinkel wie auf Knopfdruck nach unten. Darüber hinaus antworte ich ihm ausschließlich in Comicsprache, wenn er mich anredet: so wenig Worte wie möglich, und diese so undeutlich wie möglich ausgesprochen oder als Geräusch verpackt.

      Markus sieht mich aus wasserblauen Augen erwartungsvoll an, Daumen und Zeigefinger zupfen nervös an der Unterlippe. Sein hellblondes Haar steht stachelig in alle Himmelsrichtungen ab, als wolle er mit seinem Kopf die Signale sämtlicher erdumkreisenden Satelliten empfangen.

      »Und?«, startet er endlich geistreich die Unterhaltung.

      »Hm?«

      »Alles gut?«

      »Pffff …!«

      »Ich dachte, ich …«

      »Nein!«, beende ich das Gespräch und knalle ihm die Tür vor der Nase zu. Zack, bumm, boing!

      Normalerweise bin ich nicht so unhöflich, aber dieser Typ lässt mich jedes Mal meine Selbstoptimierungsbereitschaft im Umgang mit Menschen, die mir auf die Nerven gehen, vergessen. Selbst auf einer einsamen Insel mit nur uns beiden als menschliche Bewohner würde ich einen Schimpansen ihm vorziehen. Brrrrr!

      Eine halbe Stunde später sitze ich vor meinem zweiten Schnaps – beim dritten grinse ich dämlich in Dauerschleife, beim vierten werde ich weinerlich und beim fünften lethargisch. Am sechsten Glas nippe ich nur noch lustlos, wobei die Hälfte des Inhalts auf mein Shirt tropft, und habe das Gefühl, gerade meiner totalen Verblödung beizuwohnen. Kennen Sie diesen Zustand?

      Obwohl ich keinen Alkohol benötige, um peinlich zu sein, kann ich für den folgenden Fauxpas sehr wohl dem Selbstgebrannten die Schuld in die Schuhe schieben: Ich schnappe mir mein Handy, öffne die Kontaktliste, verenge die Augen zu Schlitzen, um scharf zu stellen, suche Toms – den Gedanken muss man leider gelten lassen – Nummer heraus und lasse sie von meinem Telefon anwählen. Mein Ex-Freund meldet sich nach dem dritten Läuten mit einem atemlosen: »Jerry, was ist los?«

      »Für dich Jule«, erwidere ich schnippisch. Und dann fällt mir nichts Besseres ein, als zu fragen: »Warum keuchst du so, habe ich dich von deiner Gummipuppe geholt?« Als ich keine Antwort erhalte, fahre ich fort: »Du weißt schon, Silikonmöpschen.«

      »Findest du das lustig?«, stößt mein Gesprächspartner hervor.

      Ich kichere demonstrativ und pruste »Ja, sehr!« ins Handy, wobei meinem Mund aufgrund der beginnenden Gesichtsentgleisungen eine Fontäne an Speicheltröpfchen entweicht, die sich vermutlich gerade gleichmäßig auf dem Display verteilen. Und morgen werde ich mich wieder wundern, warum der Bildschirm dermaßen verschmutzt ist.

      »Du bist armselig«, knurrt mein Ex-Freund. »Und hör auf, dich zu besaufen, das löst deine Probleme auch nicht. Geh ins Bett.« Dann legt er auf. Humor ist noch nie seine Stärke gewesen.

      Ich werfe das Handy auf die Couch, kippe einen Absacker und beschließe, tatsächlich schlafen zu gehen. Alles andere hat in diesem Zustand keinen Sinn. Schwerfällig wanke ich zum Plattenspieler und lehne mich an die Kommode, auf dem das Prachtstück mit seiner Nadel Runde um Runde die Rillen der schwarzen Scheibe abfährt. Die Klänge, die der Bassist des zu Vinyl gepressten Konzerts seinem Instrument entlockt, schweben durch den Raum und scheinen förmlich in mich hineinzukriechen. Sie legen sich wie ein tröstender Mantel aus tiefer Schwingung um mein Herz und bringen mich zum Lächeln. Okay, vermutlich ist es doch eher der Schnaps, der dem Gehirn signalisiert, den Muskeln in meinen Mundwinkeln den Befehl zum Heben zu geben.

      Mit einem hässlichen Kratzen stoppe ich die Platte und taumle rechtslastig wie der Schiefe Turm von Pisa auf zwei Beinen Richtung Schlafzimmer. Aufgrund leichter Sehstörungen laufe ich dabei mit dem Gesicht gegen einen Türrahmen und prelle mir die Nase, was mir in dem Moment aber herzlich egal ist.

      Ich lasse mich schwerer, als ich bin, ins Bett fallen und rülpse wie ein übergewichtiger Bauarbeiter, was zur Folge hat, dass der Schnaps von unten in die Speiseröhre strömt, als wolle er fliehen. Ich würge und schaffe es, die rückwärtige Peristaltik in eine Schluckbewegung umzuwandeln, sodass die Flüssigkeit


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