Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
die Theater de'Fiorentini und Nuovo, wurden im wesentlichen von Piccinni und Paisiello beherrscht56. Am 30. Mai aber, dem Namenstag des Königs, begannen die Vorstellungen in S. Carlo mit N. Jommellis "Armida abbandonata" (Text von de Rogatis); die de Amicis sang die Armida, Aprile den Rinaldo57. Es war die erste Oper, die Jommelli seinen Landsleuten seit seiner Rückkehr aus Deutschland schenkte, und zugleich die erste große Enttäuschung seines Lebens. Wolfgang gab nur das allgemeine Urteil wieder, als er (5. Juni 1770) das Werk schön, aber zu gescheit und zu altväterisch für das Theater fand58. Noch schlimmer erging es Jommellis beiden nächsten Opern, "Demofoonte" und "Ifigenia in Tauride" (4. Nov. 1770 und 20. Jan. 1771)59; die Gründe dieser Mißerfolge des einst so hoch gefeierten Künstlers werden uns noch näher zu beschäftigen haben. Persönlich nahm er sich der Mozarts mit gewohnter Freundlichkeit an; Wolfgang hätte sogar durch den Impresario Amadori, den er bei Jommelli kennenlernte, eine scrittura für S. Carlo haben können, wäre er nicht schon an Mailand gebunden gewesen. Die andern Größen der neapolitanischen Oper lernte er gleichfalls kennen, Pasqu. Caffaro, Franc. di Majo und seinen Vater Giuseppe, Genn. Manna, Pasqu. Tarantino, Gir. Abos und namentlich Giov. Paisiello. Auch den ebenso reichen wie geldgierigen Kastraten Caffarelli (Majorano) und den Geiger Barbella erwähnt das Tagebuch60. Daneben besuchten sie aber auch die Umgebung und die Sehenswürdigkeiten der Stadt, so die Gegend von Pozzuoli, Bajä und Cap Misenum, den "Vesuvium, die zwei versunkenen Städte, wo man Zimmer der Altertümer ausgräbt", Caserta, Capodimonte usw. An der Bevölkerung stieß L. Mozart nach wie vor der "erschreckliche Aberglauben und die Menge der gottlosesten Abgötterey" ab; "Du mußt aber nicht unter dem Volk die Lazzaroni allein verstehen, nein, auch Leute von Distinktion sind voll des Aberglaubens."61
Am 25. Juni fuhren sie in einem Zuge mit Extrapost nach Rom zurück, eine Reise von 27 Stunden, die nicht ohne Unfall verlief und den Knaben so ermüdete, daß er nach der Ankunft auf einem Sessel fest einschlief. In Rom warteten ihrer neue Eindrücke und Ehren, die Illumination von St. Peter (Girandola), die Überreichung des neapolitanischen Tributs und vor allem die Verleihung des Ordens vom goldenen Sporn durch den Papst (8. Juli)62. Es war derselbe, den auch Gluck besaß. Auf den Vater machte er allerdings weit größeren Eindruck als auf den Sohn. Zwar ziert in den nächsten Jahren dessen Kompositionen der Vermerk "Del Sign. cavaliere Mozart", dann aber verschwindet der "Ritter Mozart" auf immer, während der "Ritter Gluck" ja bekanntlich eine ständige Gestalt der Operngeschichte wurde. Auch wurde Wolf gang in Rom abermals, und zwar von Pomp. Battoni, gemalt63.
Am 10. Juli erfolgte die Weiterreise über Cività Castellana, Loretto und Sinigaglia nach Bologna, wo sie am 20. Juli ankamen64 und bis zum Einstudieren der Mailänder Oper zu bleiben gedachten. Einen überaus angenehmen Aufenthalt fanden sie in dem außerhalb der Stadt gelegenen Landgut des Grafen Pallavicini. Mit dessen gleichaltrigem Sohne war Wolfgang bald innig befreundet; "er spielt Klavier, spricht deutsch, welsch und französisch und hat alle Tag 5 und 6 Lehrmeister in verschiedenen Wissenschaften und Exercitiis. Er ist schon Kays. Kammerherr"65. Nur betrübte Wolfgang der Verlust seiner Singstimme, der mit der Mutation zusammenhing; er hatte weder Höhe noch Tiefe mehr, nicht fünf reine Töne, und konnte daher auch seine eigenen Sachen nicht mehr singen. Hier machten sie auch die Bekanntschaft des unter dem Namen "Il Boemo" bekannten Opernkomponisten Joh. Mysliweczek (1737–1781), der dort ein Oratorium für Padua vollendete und für den Karneval 1772 die Oper in Mailand schreiben sollte. "Er ist ein Ehrenmann", schreibt L. Mozart, "und wir haben vollkommene Freundschaft miteinander gemacht". Ihr Hauptverkehr aber war mit Padre Martini. Sie waren die besten Freunde zusammen, täglich besuchten sie ihn, um musikalisch-historische Unterredungen mit ihm zu halten. Gespräch und Anweisung des großen Kontrapunktisten sollten von großem Einfluß auf Wolfgangs Arbeiten werden. Eine Reihe von Skizzen in schwierigen kontrapunktischen Formen, die der Handschrift nach in diese Zeit fallen, gehört wohl den durch Padre Martini angeregten Studien an (vgl. die Notenbeil.). Besonders wichtig ist ein dreistimmiges "Miserere" für Alt, Tenor und Baß mit beziffertem Continuo, mit der Überschrift "del Sigr. Caval. W.A. Mozart in Bologna 1770" (K.-V. 85, S. III. 8). Es ist sichtlich unter Allegris, noch mehr jedoch unter Martinis Einfluß geschrieben, überragt aber alle früheren Kirchenwerke durch freieren Satz und zum Teil auch durch tieferen und selbständigeren Ausdruck – das erste wichtige Zeugnis einer reiferen, an Martinis Lehre und Vorbild geschulten Kontrapunktik. Die drei letzten, von anderer Hand geschriebenen Sätze "Quoniam", "Benigne", "Tunc acceptabis" stammen offenbar nicht von Mozart, sondern vielleicht von Martini selbst, der Mozart durch ein förmliches Zeugnis (Beil. III E) seine Zustimmung aussprach.66
Eine glänzende Anerkennung wurde ihm durch die "Accademia filarmonica" zuteil, deren feierliche Aufführung sie am 13. August zugleich Burney67 angehört hatten; die einzelnen Sätze der Messe wie der Vesper waren von Mitgliedern der Gesellschaft komponiert, deren jeder seine Komposition dirigierte, im ganzen zehn. Diese berühmte Gesellschaft beschloß, Wolfgang auf ein von ihm vorschriftsmäßig eingereichtes Memorial nach abgehaltener Prüfung unter ihre Mitglieder als "compositore" aufzunehmen (Beil. III D, 1). Das war ein Ehrenzeugnis, das ausgezeichneten Komponisten gern ausgestellt wurde. Für Kirchenkomponisten hatte es Bedeutung, da Benedikt XIV. in einer Bulle vom Jahr 1749 der philharmonischen Gesellschaft eine Art von Oberaufsicht gegeben hatte, so daß nur von ihr anerkannte Mitglieder Kapellmeister an Kirchen in Bologna werden konnten, und an anderen Kirchen des päpstlichen Gebietes vertrat diese Mitgliedschaft die Stelle jeder Prüfung68. In diesem Falle war die Auszeichnung um so größer, als nach den Satzungen69 ein Mitglied 20 Jahre alt sein, und um in die erste Klasse der "compositori" aufgenommen zu werden, in den unteren der "cantori" und "suonatori" je ein Jahr gewesen sein sollte. Leopold beschreibt uns den Vorgang übereinstimmend mit dem Protokoll (Beil. III D, 2) folgendermaßen70:
Wolfgang mußte den 9. Oktober Nachmittags um vier Uhr auf dem akademischen Saal erscheinen. Allda gab ihm der Princeps accademiae und die zwei Censores (die alle alte Kapellmeister sind) in Gegenwart aller Mitglieder eine Antiphona aus einem Antiphonario vor, die er in einem Nebenzimmer, wohin ihn der Pedellus führte und die Thüre zuschloß, vierstimmig setzen mußte. Nachdem er solche fertig hatte, wurde solche von den Censoribus und allen Kapellmeistern und Compositoribus untersucht und alsdann darüber votirt, welches durch weiße und schwarze Kugeln geschieht. Da nun alle Kugeln weiß waren, so wurde er gerufen, und alle klatschten bey seinem Eintritte mit den Händen und wünschten ihm Glück, nachdem ihm vorher der Princeps der accademiae im Namen der Gesellschaft die Aufnahme angekündigt hatte. Er bedankte sich und dann war es vorbey .... ich war unterdessen auf einer anderen Seite des Saals in der akademischen Bibliothek eingesperrt. Alle verwunderten sich, daß er es so geschwind fertig hatte, da Manche drei Stunden mit einer Antiphona von drei Zeilen zugebracht haben. NB. Du mußt aber wissen, daß es nichts Leichtes ist, indem diese Art der Composition viele Sachen ausschließt, die man nicht darinne machen darf und das man ihm vorhero gesagt hat. Er hatte es in einer starken halben Stunde fertig.
Als Aufgabe wurde dem Aufzunehmenden nach den alten Satzungen ein Cantus firmus aus dem gregorianischen Antiphonar zu kontrapunktischer Bearbeitung für vier, fünf oder acht Stimmen a cappella übergeben, die nach den Regeln des strengen Satzes, mit Beobachtung der den alten Kirchentonarten eigentümlichen Behandlung der Harmonie, ausgeführt werden mußte71.
Wolfgang ging nicht unvorbereitet an die Lösung dieser Aufgabe. Eine Bearbeitung des Cantus firmus: "Cibavit eos in adipe", von seiner Knabenhand geschrieben (K.-V. 44, S. XXIV. 31), ist offenbar ein Übungsstück, wahrscheinlich unter Padre Martinis Aufsicht gemacht. Seine Probearbeit war eine frei nachahmende, kontrapunktische Führung der begleitenden Stimmen über den in die Baßstimme gelegten Cantus firmus (aus dem Antiph. Rom.), der nur in seinen melodischen Fortschreitungen zu bewahren war, in der rhythmischen Einteilung dagegen geändert werden konnte. Das Original von Mozarts Hand ist im Archiv der Philharm. Gesellschaft von Gaspari in einem Band verschiedener Probearbeiten, namentlich von Martinis Schülern, aufgefunden und veröffentlicht worden (S. III. 9 mit Nottebohms R.-B.)72
Am 18. Oktober kamen sie in Mailand an; der früher geplante Umweg über Florenz, Pisa, Livorno und Genua mußte wegen