Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
circiter 6tam." Vormittags hatte er die Messe auf Nonnberg dirigiert; mutmaßlich wurde die am Tage vorher aufgeführte wiederholt.
34 Vgl. W. Müller, J.A. Hasse als Kirchenkomponist 1911, S. 60 ff.
35 Ein Hauch Sperontesschen Geistes liegt auch über der Melodie des "Dona", vgl. das oben S. 29 über das Lied "Geheime Liebe" (S. VII. 6) Gesagte.
36 Ein rein musikalischer, dem Sonatensatz abgelauschter Effekt ist das Gesangsthema der Soli mit seiner primitiven, tanzmäßigen Begleitung.
Die erste italienische Reise
(13. Dezember 1769 bis 28. März 1771)
Die Wiener, ja im Grunde genommen alle bisherigen Reisen, betrachtete L. Mozart, wie wir sahen, nur als Einleitung zu der längst geplanten Reise nach Italien. Das war durchaus keine persönliche Schrulle von ihm, sondern entsprang einer damals noch ganz allgemeinen Anschauung, die in einer zweihundertjährigen Überlieferung wurzelte. Wie heutzutage der bildende Künstler, so mußte im 18. Jahrhundert noch der deutsche Musiker in Italien seine Studien vollenden, wenn er auch in der Heimat zu Ruhm und Ansehen gelangen wollte. Gewiß hat diese Forderung für die deutschen Künstler ihre großen Schattenseiten gehabt. Einen längeren Aufenthalt in Italien konnte sich nur leisten, wer entweder selbst die nötigen Mittel besaß oder, was der häufigere Fall war, von einem vornehmen Gönner unterstützt wurde. Die Mehrzahl blieb von jener Wohltat ausgeschlossen, und so bildete sich eine Kluft heraus zwischen Schoß- und Stiefkindern des Glücks, unter der namentlich der deutsche Kantoren- und Organistenstand schwer zu leiden hatte. Selbst Seb. Bach, dem gleichfalls keine Studienzeit in Italien vergönnt war, hat diesen Mangel an Bildung damit bezahlen müssen, daß er zeitlebens über eine sächsisch-thüringische Lokalgröße nicht hinausgekommen ist. Es ist also kein geringes Zeugnis für L. Mozarts Einsicht und Selbstverleugnung, daß er trotz seinen bescheidenen Verhältnissen und auf eigene Faust das unter diesen Umständen doch ziemlich erhebliche Wagnis unternahm, seinen Sohn die gepriesene italienische Kunst an der Quelle studieren zu lassen.
Tatsächlich konnte Italien auch damals noch als das "gelobte Land der Musik" gelten, obwohl seine alte unbestrittene Weltherrschaft durch nationale Bestrebungen jenseits der Alpen, besonders in Frankreich und in letzter Zeit durch die rasch aufblühende deutsche Instrumentalmusik, bereits ins Wanken gekommen war. Aber die äußeren Grundlagen jener Herrschaft bestanden noch in alter Festigkeit fort: die natürliche Anlage und Neigung des Volkes für die Tonkunst und namentlich die umfassende und planvolle Organisation der Musikpflege, die Talent und Freude stets aufs neue weckte und nährte. Die Volksmusik stand mit ihrer eigentümlichen, dem südländischen Temperament entsprechenden Melodik und Rhythmik bei Hoch und Nieder noch in voller Blüte. Wie in Wien, so hallten auch in den italienischen Städten an lauen Sommerabenden die Straßen wider von gespielten und namentlich gesungenen Serenaden aller Art1, und geradezu ideal zu nennen ist das enge Band, das in Italien seit alters Volks- und Kunstmusik verknüpfte. Nicht allein in der Buffooper, sondern auch in allen ernsten Gattungen, die Kirchenmusik nicht ausgeschlossen, galt für den Italiener der Grundsatz, daß auch die am höchsten entwickelten Formen an gemeinverständliche Ideen gebunden sein sollen. Eine so tiefe Kluft zwischen hoher und volkstümlicher Kunst, wie sie heute bei uns besteht, ist den Italienern bis auf den heutigen Tag erspart geblieben.
Bei diesem einträchtigen Zusammenwirken von Volk und Künstlern ist es nicht zu verwundern, daß Sinn und Begeisterung für die Musik alle Stände gleichermaßen erfaßte, ja, daß die Italiener von ihrer Musik mehr Aufhebens machten, als von ihrer nicht minder hoch entwickelten bildenden Kunst. Der Künstler fand hier ein durch beständige Übung gebildetes Publikum, das ihm das Gute, das er bot, mit echt südländischer Begeisterung dankte, wie es denn freilich auch mit allen Mängeln ebenso schonungslos ins Gericht ging. Man muß schon bis auf die Zeiten der antiken Rhetoren zurückgehen, um eine gleich leidenschaftliche Anteilnahme, aber auch ein gleich hoch entwickeltes technisches Verständnis für die Leistungen eines Künstlers wieder anzutreffen.
Für die musikalische Jugenderziehung sorgte hauptsächlich die Kirche, die alte Trägerin der musikalischen Kultur seit den Tagen des frühesten Mittelalters. Klöster und geistliche Anstalten aller Art waren darauf bedacht, die ihnen zu Gebote stehenden musikalischen Kräfte für ihre Zwecke auszubilden. Von ausschlaggebender Bedeutung aber wurden seit dem 16. Jahrhundert die Konservatorien. Dem Namen "conservatorio" entsprechend waren die ersten Anstalten dieser Art nichts anderes als Bewahranstalten, in denen arme Waisenkinder für die Musik ausgebildet wurden, so das erste, von Giov. Di Tappia 1537 gegründete Cons. di Santa Maria di Loreto in Neapel, dem ebendaselbst noch im nämlichen Jahrhundert die Conss. Della pietà de' Turchini, Dei Poveri di Giesù und Di Sant' Onofrio folgten. Auch Venedig besaß vier alte Institute dieser Art, die "Ospedali" Della pietà, Dei mendicati, Degl' incurabili und das Ospedaletto ("Delle donzelle povere", nur für Mädchen). Diese aus echt sozialem Sinn geborenen Anstalten sind die Grundpfeiler der italienischen Weltherrschaft in der Musik geworden, zumal als im 17. Jahrhundert die neue Kunst des begleiteten Sologesangs aufkam. Sie haben sich ihrer mit einem Nachdruck und einem Eifer angenommen, von dem man sich heutzutage kaum eine Vorstellung macht. In jahrelangem Studium, bei dem übrigens auch auf eine gute Allgemeinbildung großer Wert gelegt wurde, wurden die Schüler zu fertigen Sängern, Instrumentisten und Komponisten ausgebildet. Noch im 18. Jahrhundert sind fast alle bedeutenden italienischen Meister aus diesen Schulen hervorgegangen und haben es sich zur höchsten Ehre angerechnet, im Verlauf ihrer späteren Laufbahn wenigstens zeitweise die Leitung einer solchen Anstalt zu übernehmen. Der staunenswerte Reichtum Italiens an Sängern und besonders an Opernkomponisten, deren mitunter unglaubliche Fruchtbarkeit nicht allein die Heimat, sondern auch das Ausland mit Opern versorgte, ist das Werk dieser Konservatorien.
Neben diesen demokratischen Einrichtungen besaß Italien aber auch noch andere nicht minder ehrwürdigen Alters, die der Aristokratie der Geburt und Bildung als Pflegestätten der Musik dienten: die Akademien. Diese Vereinigungen von Gelehrten, Künstlern und kunstliebenden Laien, eine Schöpfung der Renaissance, sind nicht allein für die Geschichte und Theorie, sondern auch für die Praxis der Musik von höchster Wichtigkeit geworden. Die Oper verdankt ihnen ihre Entstehung, die aufstrebende Instrumentalmusik allen nur möglichen Vorschub. Allgemein bekannt sind die Akademien Degli Arcadi in Rom und Della Crusca und Degl' Elevati in Florenz, für die Musik aber kommen namentlich die beiden Bologneser Akademien Dei Filomusi (1615 von A. Banchieri gegründet) und Dei Filarmonici, die Schöpfung Carratis von 1666, in Betracht. Die Philharmoniker standen noch zu Mozarts Zeiten im höchsten Ansehen; sie zählten die bedeutendsten Komponisten und Theoretiker zu den Ihren und hielten sich durch eine strenge Aufnahmeprüfung den Zuzug Unberufener fern. Ihnen anzugehören war eine der höchsten, einem Musiker überhaupt erreichbaren Ehren.
In den Mittelpunkt der italienischen Musikbestrebungen war mehr und mehr die Oper getreten. Sie galt nach wie vor als der Gipfel der Renaissancekunst, mit ihr fühlten sich die Italiener wieder einmal als die einzig würdigen Erben der Antike. Auch die opera buffa hatte sich zur Zeit von Mozarts Ankunft die Gleichberechtigung neben der älteren Schwester erkämpft, und mit vollem Recht erblickten die Italiener in ihr das treffendste Spiegelbild ihres Volksgeistes. Einen Opernauftrag (scrittura) zu erhalten, war darum das höchste Ziel eines Komponisten; Musiker, die sich abseits von der Oper Ruhm erwarben, wie die beiden großen Lehrer Durante und P. Martini, waren seltene Ausnahmen. Auch die Oper gehörte übrigens, wie man sieht, gleich den meisten älteren Kunstgattungen zur bestellten Arbeit; sie war Gelegenheitskunst auch in dem Sinne, daß mit der äußeren Veranlassung auch die Wirksamkeit des einzelnen Werkes aufhörte. Nur verhältnismäßig wenige berühmte Opern sind an verschiedenen Bühnen nacheinander aufgeführt worden. Für gewöhnlich aber sah der Impresario streng darauf, daß sein Publikum stets nur vollständig neue Werke zu hören bekam. Ein Ausruhen auf bereits gepflückten Lorbeeren gab es also auch für die berühmten Opernkomponisten nicht, sie wurden vielmehr zu einer Fruchtbarkeit gezwungen, die uns heute geradezu märchenhaft erscheint.
Das Überwiegen der Oper barg allerdings auch schwere Gefahren in sich. Zwar waren zu Mozarts