Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
scheidet es noch von der späteren Art. Dafür ist das Orchester ganz modern behandelt: es spinnt in glitzernden Sechzehnteln einen Heiligenschein um die himmlische Erscheinung. Das "Agnus Dei" folgt in der Melodik der Soli und in der Rolle des Orchesters, das gleich im Vorspiel einen merklichen Stimmungsumschlag bringt, der neuen Art, in der Baßführung und der strengen Haltung der Chorpartien der alten.
Der Wechsel von Tutti und Soli entspricht im großen und ganzen dem älteren Brauch, nur daß die Maße der einzelnen Sätze weit größer sind. Nur das Credo macht eine Ausnahme; hier sind allein "Et incarnatus est" und "Et in spiritum sanctum" Solosätze. Dafür sind "Agnus" und "Dona" zwischen Solo und Chor geteilt.
Es war die erste große Stilwandlung von bleibenden Folgen in Mozarts Schaffen für die Kirche. Daß sie ihm grundsätzlich gelungen ist, beweist abermals seine eigentümliche Fähigkeit, sich fremden Kunstanschauungen rasch anzupassen. Ein vollendetes Kunstwerk, auch im damaligen Sinne, ist ihm noch nicht geglückt, auch trägt das Werk noch im einzelnen die Spuren der älteren Kunst. Immerhin war mit festem Fuße die neue Bahn betreten, die er auch später, von einigen Abstechern abgesehen, nicht mehr verlassen hat.
Fußnoten
1 Mitgeteilt nach einer Abschrift bei Nottebohm, Mozartiana S. 103. Zuerst wieder aufgefunden von Köchel, AMZ 1864, S. 495.
2 Vgl. Pirckmayer, Über Musik und Theater am f.e. salzburgischen Hofe, 1762–1775, in der Salzburger Zeitung 1886, Nr. 160 f., nach den Hof-Diarien und anderen Quellen.
3 Über die verschiedenen Arten, diese anzubringen, spricht Metastasio, Opp. post. I, p. 300 ff.
4 Einige Daten bei P. Sigism. Keller MfM V 122 f. Dom. Hagenauer hatte sie in einem noch jetzt bei St. Peter in Salzburg befindlichen Kalender eingetragen, ein Beweis für des Freundes rege Anteilnahme an Mozarts Entwicklung.
5 Hammerle S. 8. Protokoll: "1769. 6. Aug. Dom. Menstrua. Ad noctem musica Ex. D.P. Prof. Logices ab adolescentulo lectissimo Wolfg. Mozart composita. – 1769. 8. August. Martis. Vacatio. Musica D.D. Physicorum ab eodem adolescente facta." Hagenauer schreibt zum 6. Aug.: "Hodie fuit musica finalis. D. Logicorum composita a Wolfgango Mozart iuvene." Daraus vermutet Keller eine dramatische Komposition; eine solche aber ist aus jener Zeit nicht nachzuweisen. Der Ausdruck "Finalmusik" bezeichnet, wie später noch zu erwähnen sein wird, eine Instrumentalkomposition.
6 B I 21.
7 WSF I 200 ff. setzen K.-V. 99 und 100 aus stilistischen Gründen schon ins Jahr 1767, K.-V. 63 aber ins Jahr 1769. Indessen reichen m.E. bei Stücken dieser Art, wo der äußere Anlaß, die verfügbaren Kräfte und andere Zufälligkeiten die Gestaltung ganz wesentlich mitbestimmen, innere Gründe allein zu einer sicheren Zeitbestimmung nicht aus.
8 Dr. E. Browne, Ganz sonderbare Reise durch Niederland, Teutschland usw. Nürnberg 1684, S. 237.
9 Ausführlich bei C.F. Pohl, Haydn I 1875, S. 107 ff.
10 Die Herkunft des Wortes ist nach wie vor dunkel. Jahns Ableitung von "gassatim gehen" (I3 847 f.) befriedigt ebensowenig wie die Erklärung von WSF I 201, es seien "zerbrochene", d.h. mit Pausen zwischen den einzelnen Sätzen vorgetragene kleine Sinfonien gewesen. Auch die Herleitung von cassa = gr. Trommel (mit Hinblick auf den einleitenden Marsch, s. Riemann, Musiklexikon, 8. Aufl. 532) trifft nicht das Richtige, dagegen am ehesten noch die Erklärung als "Abschiedsstück". Offenbar handelt es sich um einen alten Fachausdruck der Musiker. Der Ausdruck "Finalmusik" weist dagegen auf die ein Konzert oder dergleichen beschließenden Kompositionen hin.
11 S.o.S. 65.
12 A. Sandberger, Zur Gesch. des Haydnschen Streichquartetts, Altbayr. Monatsschrift 1900, 2–3.
13 S. o S. 12.
14 DTÖ XIV 2 (L. von Perger) gibt eine Auswahl.
15 Im dritten Satz fehlt sogar der typische Quartsextakkord mit Fermate für die Kadenz nicht.
16 Darunter gehört auch der Kanon des ersten Menuetts in K.-V. 63, das erste Beispiel seiner Art in Mozarts Kunst. Auch das erste Sinfoniemenuett Haydns in der G-Dur-Sinfonie (Ges.-Ausgabe I, Nr. 3) enthält im Hauptteil einen Kanon, das Menuett der G-Dur-Sinfonie (II, Nr. 23) erstreckt die kanonische Arbeit auch noch auf das Trio.
17 Vgl. Bachs Kantate "Gottes Zeit".
18 Vgl. das zweite Kyrie in Bachs h-Moll-Messe.
19 Zwei dieser Fassungen in F. Espagnes R.-B. S. 4 ff. WSF I 254 vermuten sogar, daß die letzte Fassung für eine spätere Aufführung geschrieben sei. Sehr wohl möglich ist, daß hier ein bestimmtes, noch unbekanntes Vorbild zugrunde liegt.
20 Diese Form hat ihrerseits die Melodie des "Et in spiritum sanctum" aus sich erzeugt.
21 Der ganze Schluß dieses Satzes vom drittletzten Amen ab ist nichts als eine gewaltige Steigerung dieses Gedankens, was auch den einigermaßen auffallenden Terzschluß erklärt.
22 Sinngemäß ausgefüllt kehrt er beim "Et unam sanctam" wieder. Auch das "Et iterum venturus est" gehört hierher.
23 Der verminderte Quartenschritt im dritten Takte des Kyrie-Allegros kehrt im zweiten und dritten Takt des "Et incarnatus est" wieder.
24 Das Gerüst des Themas ist durch Sternchen bezeichnet. Auffallend ist der Anklang an das bekannte protestantische Kirchenlied.
25 Die Umkehrung auch S. 39, 1 ("genitum non factum").
26 WSF I 253.
27 Man beachte überhaupt die Schlüsse der einzelnen Abschnitte in beiden Messen: von einer stehenden Neigung zur Dominante, wie sie später unter dem Einfluß der Arien- und Sonatenform auftritt, ist hier noch keine Rede; die Unterdominanttonart ist sogar noch häufiger als die Dominante.
28 Vgl. dessen Neuausgabe S. 202 ff. Überhaupt ist L. Mozart (vgl. seine Litanei "De venerabili" ebenda S. 188) hinsichtlich der Knappheit im Aufbau entschieden eines der Hauptvorbilder seines Sohnes gewesen.
29 "And suddenly there was with the angel", Rezitativ vor dem Chor "Glory to God" (Nr. 15).
30 Auch in Glucks italienischer "Alceste" erscheint es bei der Anrufung des Gottes durch die Königin, I 4.
31 L. Mozart führt in seinem Verzeichnis zwei Offertorien auf, das eine, eben unser "Veni sancte Spiritus", noch vor den beiden Opern, das andere, ein "großes Offertorium", erst hinter den beiden Messen. Somit war das am 7. Dezember 1768 zu Wien aufgeführte nicht das erste, wie man früher allgemein annahm, sondern das zweite. Ob dieses nun freilich, wie Deiters annimmt (J I4 112 Anm.) identisch mit dem "Benedictus" (K.-V. 117) ist, möchte ich aus inneren und äußeren Gründen bezweifeln. Wahrscheinlicher ist, daß das zweite Offertorium mit der Festmesse zusammen verloren ging. Vgl. WSF I 243.
32 WSF I 243.
33 Brief vom 6. Okt. 1770. Dominicus Hagenauer wurde 1786 Prälat des St. Peterstifts, auch General-Steuereinnehmer des Prälatenstandes. Koch-Sternfeld, Die letzten dreiß. Jahre S. 78, 299, 326. Die Worte seines Tagebuches lauten: "Ad. 15. Octob. Hodie hora 9 primitiae P. Dominici. Musicam Missae composuit D. Wolfgangus Mozart, juvenis 14 annorum, quae omnium sensu fuit elegantissima. – Post mensam D. Wolfgangus Mozart per mediam horam coram hospitibus ad stupendum maius Organum pulsavit." An die Feier schloß sich folgenden Tags ein großes Fest bei dem Vater des jungen Priesters, das mit einer Musikaufführung L. Mozarts und seiner Kinder schloß. Tagebuch zum 16. Okt.: "Neomysta P. Dominicus fuit a patre suo invitatus ad mensam quae erat in ipsius domo in Nunthal. Mensa finita prima quadrante post horam 4tam D. Mozart chori musici aulici praefectus Secundarius cum suis duobus liberis egregiam fecit Academiam. Filia