Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
der Instrumentalmusik fast ganz unterband und dadurch dem Weltruhm der italienischen Musik zum Verhängnis wurde. Dafür zeigte sich der Schaden bereits deutlich in der kirchlichen Musik. Da die meisten Opernkomponisten zugleich für die Kirche schrieben und in ihren Werken großenteils mit Opernsängern und Instrumentalvirtuosen zu rechnen hatten, so war es kein Wunder, daß der Operngeist allmählich auch die Kirchenmusik ergriff und ihre Würde und Reinheit beeinträchtigte. Auch der reißende Verfall der alten Kirchenchöre, der die Komponisten von selbst dem Sologesang und Instrumentenspiel in die Arme trieb, tat das Seine, um eine Krise heraufzubeschwören, von der sich die italienische Kirchenmusik bis auf den heutigen Tag nicht erholt hat. Versuche, dem Verderben zu steuern, wie sie z.B. von P. Martini in Bologna ausgingen, blieben auf die Dauer erfolglos.
Trotz diesen Sturmzeichen stand die Weltherrschaft der italienischen Musik damals im wesentlichen noch unerschüttert da. Spanien und England erkannten sie ziemlich unbedingt an. Aber auch in Frankreich, dem einzigen Lande, das eine fest gegründete nationale Musik besaß, gab es eine seit der Mitte des 17. Jahrhunderts stetig wachsende italienische Partei. Deutschland endlich konnte sich lange Zeit nur seines protestantischen Chorals und der darauf aufgebauten Orgelkunst als eines selbständigen nationalen Kunstzweiges rühmen, in allen übrigen Kunstgattungen blieb es, von einzelnen nationalen Episoden, wie der in R. Keiser gipfelnden kurzen deutschen Opernblüte2 abgesehen, eine italienische Provinz. Vor allem war die deutsche Opernbühne seit etwa 1720 gänzlich in den Händen der Italiener. Sie stellten den deutschen Fürstenhöfen nicht allein die Komponisten, sondern auch die Dichter, Sänger und großenteils auch die Instrumentisten.
Das Gegenstück zu diesen italienischen Sendboten in Deutschland war die stattliche Reihe deutscher Meister, die die welsche Kunst in ihrer Heimat aufsuchten. Sie wird eröffnet durch H.L. Haßler, der sich 1584 zu A. Gabrieli in Venedig in die Schule begab, dann folgten 1609 H. Schütz und im 18. Jahrhundert namentlich die Opernkomponisten Händel, Hasse, Gluck, Chr. Bach u.a. Mozart ist der letzte in der Reihe; es ist wesentlich sein und des von Italien bereits unabhängigen Haydn Verdienst, daß die "Römerzüge" der deutschen Musiker, einige Nachzügler wie Meyerbeer und Nicolai abgerechnet, von jetzt an ein Ende hatten.
Um dem Sohne den Weg nach Italien zu ebnen, der ihm selbst in seiner Jugend verschlossen gewesen war, wandte sich der kluge L. Mozart gleich an die richtige Persönlichkeit, deren Einfluß damals immer noch die Welt beherrschte und schon zahlreichen jungen Musikern, Italienern und Deutschen, darunter auch J. Haydn, eine Gasse gebrochen hatte, J. A. Hasse. Dieser "Vater der Musik" hatte ihm in Wien einen vom 30. September 1769 datierten Empfehlungsbrief an seinen Freund, den Abbate G.M. Ortes in Bologna, mitgegeben3, worin er sich sehr anschaulich über Vater und Sohn Mozart ausspricht. Es heißt darin:
Ich habe hier die Bekanntschaft eines gewissen Herrn Mozart, Kapellmeister beim Bischof von Salzburg gemacht, eines geistvollen, feinen und weltgebildeten Mannes, der wie ich glaube nicht blos in der Musik, sondern auch in andern Dingen seine Sache versteht. Dieser hat eine Tochter und einen Sohn. Erstere spielt sehr gut Klavier und letzterer, der nicht älter als 12 oder 13 Jahre sein dürfte, gibt in diesem Alter schon einen Komponisten und Kapellmeister ab. Ich habe die Kompositionen gesehen, die von ihm sein sollen; sie sind sicherlich nicht schlecht und ich habe darin nichts von einem zwölfjährigen Knaben gemerkt. Ich wage nicht, es irgendwie in Zweifel zu ziehen, daß sie von ihm sind. Auf dem Klavier habe ich ihn auf verschiedene Art geprüft, und da hat er mir Dinge gezeigt, die für so ein Alter etwas Unbegreifliches haben und die auch von einem fertigen Mann noch bewundernswert wären. Da nun der Vater ihn nach Italien bringen will, um ihn bekannt zu machen und mir darüber geschrieben und zugleich um einen Empfehlungsbrief gebeten hat, nehme ich mir die Freiheit, einen solchen an Sie zu schicken [folgt die Bitte an Ortes, ihn mit seinem Rat zu unterstützen und ihm Bekanntschaften zu vermitteln4] ... Der erwähnte Herr Mozart ist ein sehr gebildeter und höflicher Mann, die Kinder sind sehr gut erzogen. Der Knabe ist außerdem auch schön, lebhaft, anmutig und benimmt sich in allem so hübsch, daß man gar nicht umhin kann, ihn lieb zu haben. Das Eine ist sicher: wenn seine Entwicklung mit dem Alter Schritt hält, wird ein Wunder aus ihm. Nur darf der Vater ihn nicht zu sehr verhätscheln und durch Beräucherung mit übertriebenem Lob verziehen. Das ist die einzige Gefahr, die ich befürchte. Da haben Sie einen langen Brief, nehmen Sie ihn wohlwollend an usw.
Daß L. Mozart mit der Reise nach Italien nicht länger warten wollte, hatte seinen Grund darin, daß er sich bei den leicht entzündlichen Italienern einen um so rascheren und glänzenderen Erfolg für den Knaben versprach. Er hat sich darin nicht getäuscht. Klingender Gewinn war freilich, wie er bald einsah, von dieser Reise nicht zu erwarten, denn die Konzerte ("accademie") wurden meist von geschlossenen Gesellschaften oder öffentlichen Anstalten ohne Eintrittsgeld veranstaltet, höchstens konnte der Künstler auf eine kleine Entschädigung durch den Unternehmer rechnen. Bald nach der Ankunft in Italien teilt L. Mozart dies seiner Frau mit, betont aber wiederholt, daß er, wenn auch keine Reichtümer, doch "immer ein wenig mehr als die Notwendigkeit" habe und, weil er die Hauptsache im Auge behalte, völlig zufrieden sei.
Vor der Abreise nach Italien wurde Wolfgang vom Erzbischof förmlich zum Konzertmeister ernannt, als welcher er in den salzburgischen Hofkalendern seit 1770 aufgeführt wird5.
Vater und Sohn verließen Salzburg am 13. Dezember 17696. Nach Tirol und Oberitalien liefen von da mancherlei Fäden persönlicher Beziehungen, teils durch kaufmännische Verbindungen, teils durch die adeligen Familien des Domkapitels, deren Angehörige dort angestellt oder ansässig waren, nicht selten auch in Salzburg studierten. Es fehlte daher nicht an Empfehlungen, die die Reisenden in die verschiedensten Kreise einführten. Zunächst wurde in Innsbruck haltgemacht, wo sie am 15. Dezember ankamen und von dem Grafen Spaur, dem Bruder des Salzburgischen Domkapitulars, wohl aufgenommen wurden. Bald nachher, wohl am 16., spielte Wolfgang in einer vom hohen Adel veranstalteten Akademie beim Grafen Künigl ein Konzert, das man ihm zur Prüfung vorlegte, vom Blatt weg und erhielt es dann nebst 12 Dukaten als Geschenk. Innsbrucker Musiker, wie der Violinist Haindl, der Organist Falck und der Waldhornist Schauer liehen ihm dabei ihre Unterstützung. Auch die Innsbrucker Zeitung (18. Dez.) bezeugte unter Hinweis auf die während der bisherigen Reisen errungenen Lorbeeren Mozarts, er habe in diesem Konzert die schönsten Proben seiner ganz besonderen Geschicklichkeit abgelegt und seinem Lorbeer ein neues Blatt hinzugefügt.
Am 19. ging die Reise über Steinach, Brixen und Bozen, wo sie am 19. Dezember in der "Sonne" nächtigten, nach Rovereto, wo L. Mozart zu seiner Überraschung in dem Kreishauptmann Christani einen alten Bekannten fand. Der war in seiner Jugend bei einem Verwandten in Salzburg erzogen worden und hatte bei L. Mozart Geigenunterricht gehabt; er fand, daß Wolfgang seiner Mutter ähnlich sehe, deren er sich noch sehr wohl erinnerte. Auch der Adel, an den die Mozarts empfohlen waren (die Grafen S. und D. Lodron, Baron Piccini und Herr v. Cosmi werden genannt), erwies ihnen alle möglichen Aufmerksamkeiten und veranstaltete sogar ein Konzert im Hause des Barons Todeschi, der schon von Wien her ein Verehrer Wolfgangs war. "Was sich der Wolfgang für eine Ehre gemacht, ist unnötig zu schreiben", meldet der Vater. Als er tags darauf in der Hauptkirche7 die Orgel spielen wollte, hatte sich das Gerücht davon in der Stadt verbreitet, und die Kirche war so voll, daß zwei handfeste Männer vorausgehen mußten, um ihm einen Weg auf den Chor zu bahnen, wo sie dann eine halbe Viertelstunde brauchten, um an die Orgel zu kommen, so war sie von Zuschauern belagert.
Noch größer war die Begeisterung in Verona. Da jeden Abend Oper war, konnte erst nach sieben Tagen ein Konzert veranstaltet werden; allein während dieser Zeit drängten sich die Einladungen bei March. Carlotti, Graf Giusti del Giardino, dem Violinisten Locatelli u.a. Vor einer Versammlung auserwählter Kenner ließ Wolfgang eine Sinfonie von seiner Komposition aufführen, spielte die schwierigsten Sachen vom Blatte und komponierte nach einem aufgegebenen Text eine Arie, die er selbst sang, und andere Stücke über gegebene Themen. Als er in der Kirche S. Tommaso die Orgel spielen wollte, wiederholte sich die Szene von Rovereto. Der Zudrang war so groß, daß sie den Weg durchs Kloster nehmen mußten, um in die Kirche zu kommen, und auch so wären sie kaum auf die Orgel gelangt, wenn die