Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
Textbücher zeigen, daß häufig, wenn auch nicht immer, einheimische Musiker die Komposition lieferten. Bei solchen Festopern wurde in der Regel am Schluß der Gefeierte direkt angeredet, meistens in der Form einer Arie mit Rezitativ, an die sich wohl auch ein Chor anschloß; diese Anrede, die mit dem Inhalt der Oper in gar keinem Zusammenhang stand, hieß licenza3. Es sind noch zwei von Wolfgang komponierte, an den Erzbischof Sigismund (gest. 1771) gerichtete Licenzen vorhanden, eine Tenorarie (K.-V. 36, S. VI. 3) und eine Sopranarie (K.-V. 70, S. VI. 4), beide mit lang ausgeführtem Rezitativ, die von der zunehmenden Gewandtheit in der Formbehandlung Zeugnis ablegen.
Den größten Teil des Jahres 1769 brachte Wolfgang ruhig in Salzburg mit Studien zu, von denen wir freilich nichts Näheres wissen4. Außer sieben Menuetten für zwei Violinen und Baß, richtigen Tanzstücken, die am 26. Januar komponiert wurden (K.-V. 65a, S. XXIV. 13), wissen wir noch von zwei Instrumentalwerken, aller Wahrscheinlichkeit nach Serenaden, die am 6. und 8. August bei der Universität zum Vortrag kamen5. Daß das aber nicht die einzigen Gelegenheitskompositionen in dieser Zeit waren, beweist ein Brief Wolfgangs vom 4. August 1770 an Marianne6, worin die "Anfänge unterschiedlicher Kassationen" verzeichnet sind. Es sind die Kassationen in G-Dur für 2 Violinen, 2 Bratschen, Baß, 2 Oboen oder Flöten und 2 Hörner (K.-V. 63, S. IX. 1) und B-Dur für 2 Violinen, Viola, Baß, 2 Oboen und 2 Hörner (K.-V. 99, S. IX. 2) sowie eine verlorengegangene in D-Dur. Dazu gesellt sich ihrem Stile nach noch die D-Dur-Serenade für 2 Violinen, 2 Bratschen, Baß, 2 Oboen (oder Flöten), 2 Hörner und 2 Trompeten (K.-V. 100, S. IX. 3). Ob sich die für die Universität bestimmten Werke darunter befinden, ist nicht mehr sicher zu entscheiden, ebensowenig, ob einige davon und welche schon vor der Wiener Reise, also 1767, entstanden sind7.
Damit betrat Mozart ein Gebiet, das sich in seiner österreichischen Heimat besonderer Beliebtheit erfreute. Die alte volkstümliche Orchestersuite war hier niemals ausgestorben, sondern hatte unmittelbar vor dem Auftreten der Klassiker eine neue Hochblüte erreicht. Der Geist aber war der alte geblieben: der Flug dieser Kunst ging zwar nicht zu den Sternen, aber sie suchte das Volk auf der Straße und in seinem Heim auf und verschönte ihm mit heiteren und traulichen Klängen, die seiner Fassungskraft entsprachen, die kleinen und großen Feierstunden seines Alltagslebens. So ist hier ein Stück musikalischer Volkserziehung geleistet worden, das an dem hohen musikalischen Ansehen des österreichischen Stammes einen ganz hervorragenden Anteil hat. Schon im Jahre 1684 berichtet ein Reisender8, daß in Wien "schier nicht ein Abend vorbeigegangen sei, an dem wir nicht eine Nachtmusik vor unseren Fenstern hatten", und noch 1794 ist von gesungenen und gespielten Ständchen aller Art die Rede9. Nur der Name, der Bau und die Besetzung waren gegen früher andere geworden. Die Stücke heißen nunmehr Kassation10, Serenade, Divertimento, Nachtmusik (Notturno), ja sogar hinter der Bezeichnung "Sinfonie" verbirgt sich mitunter noch eine Serenade, wie in der Klaviermusik hinter der Überschrift "Sonate" eine Suite11. Im Bau hat die neue Kunst mit der alten noch das Schwanken hinsichtlich der Satzzahl gemein. Aber von den früheren Tänzen haben sich nur das Menuett und die beliebte Polonäse behauptet; auch der stehende alte Eingangssatz, die französische Ouvertüre, ist zugunsten eines flotten Marsches gefallen, mit dem die Musikanten zum Ständchen aufzogen. Man sieht deutlich, wie stark diese Kunst mit dem Vortrag im Freien rechnete; auch die flotten Schlußsätze beweisen es. Allmählich aber begann die Sinfonie ihren Einfluß geltend zu machen. Die ersten und letzten Sätze, aber auch die Andantes nähern sich in Bau und Haltung mehr und mehr den entsprechenden Sinfoniesätzen. Aus der Verbindung zweier langsamer Sätze mit zwei Menuetten zwischen den Ecksätzen ergab sich eine sechssätzige Form, die später bei Mozart eine große Rolle spielt, ohne daß er sich freilich auf sie vollständig festgelegt hätte. Einer der bedeutendsten Unterschiede gegen früher aber ist der Wegfall des großen Streichorchesters. Diese Divertimenti usw. gehören der Kammermusik an und haben deren weiterer Entwicklung, namentlich dem Streichquartett, wichtigen Vorschub geleistet12. Auch hier zeigte sich der Gelegenheitscharakter der ganzen Kunst: befanden sich unter den Musikanten hervorragende Solisten, so legte der Komponist unbedenklich einen oder mehrere Sätze ein, in denen sie ihre ganze Kunst entfalten konnten. Umgekehrt wurden schlechte Spieler von ihm gelegentlich durch plötzlich auftauchende falsche Noten geneckt. Überhaupt ist diese ganze Gattung eine wahre Fundgrube der feinsten Klangwirkungen und -mischungen, wie sie auch in ihrem thematischen Gehalt gerne auf allerhand Dinge anspielt, die mit der äußeren Gelegenheit des Ständchens irgendwie zusammenhängen. An Vorbildern fehlte es also dem jungen Mozart nicht, weder in Wien noch in Salzburg, wo sein Vater13 und Mich. Haydn14 die Gattung mit besonderer Vorliebe pflegten. Dieser Art schließen sich nun auch die drei genannten Beiträge Mozarts an. K.-V. 63 und 99 werden von einer Marcia eröffnet, die im letzten Stück am Schlusse sogar da capo verlangt wird. K.-V. 63 und 100 haben zudem solistische Einschiebsel, jenes für eine Violine in einem Satz, dieses für Oboe und Horn in drei Sätzen; beide Male ist die konzertmäßige Scheidung von Soli und Tutti ganz deutlich15. Die ersten Sätze tragen Sonatenform mit kurzer Durchführung und vollständiger oder um das erste Thema verkürzter Reprise, die letzten sind entweder, wie in K.-V. 63 und 100, leichtgeschürzte Rondos oder, wie in K.-V. 99, ebenfalls sonatenhaft, aber mit zwei in Takt und Tempo verschiedenen Themen. In den Andantes liebt es Mozart, den Charakter des Ständchens durch Sordinen, Pizzikatobegleitung und romanzenartige Melodik besonders zu betonen. Sie sind es zugleich, die von der Haupttonart des Ganzen, zumeist nach der Unterdominante hin, abweichen, während die überall doppelt vertretenen Menuette wieder in die Grundtonart zurückführen. Besonderen Reiz gewähren die keck volkstümlichen und die humoristischen Züge, die in den Sinfonien weit seltener sind. Wenn sich zum Beispiel im Schlußgrüppchen des Marsches von K.-V. 63 das verkleinerte Hauptthema im pp davonstiehlt, so ist das von zwingender Komik. An volkstümlichen Klängen16 ist besonders K.-V. 99 reich, bemerkenswert ist aber auch das Finale von K.-V. 63, ein ausgesprochenes Jagdstück, dessen volkstümliches Thema mit gutem Humor durch verschiedene Tonarten dahinwandert. Am anspruchsvollsten tritt K.-V. 100 auf. Sein erster Satz fällt wegen seines echt Mozartschen Reichtums an musikalischen Gedanken auf: das geht vom lärmenden italienischen Ouvertürenanfang über die merkwürdig gespannte Orgelpunktpartie und das unheimlich und schattenhaft einherhuschende und schließlich ratlos auf einer schweren Fermate haltmachende a-Moll-Thema bis zu dem unwirschen Humor der polternden Unisono-Schlußgruppe. Die dunkeln Stellen fehlen somit auch hier nicht; sie erscheinen namentlich in den Trios mancher Menuette (z.B.K.-V. 63 4, K.-V. 100 7) und in den Seitensätzen der Rondos. Der allgemeine Serenadencharakter der Stücke wird von ihnen hier allerdings noch nicht berührt; Behagen, Liebenswürdigkeit und Schäkerei walten durchweg vor.
Mit seiner ersten Messe in G-Dur (K.-V. 49) betrat Mozart ein Gebiet, zu dem es ihn bis zum Beginn seiner Reifezeit immer wieder hingezogen hat. Gewiß sind diese Messen samt und sonders Jugendwerke, denen das Letzte, die Lebenserfahrung, fehlt; man darf nur an das Requiem denken, um den ganzen Unterschied zu ermessen. Mozart wurde zudem in eine Zeit hineingeboren, deren kirchenmusikalisches Ideal viel von der älteren Reinheit und Strenge eingebüßt hatte. An dieser Veräußerlichung Kritik zu üben oder ihm gar, wie es später Beethoven tat, ein neues, reineres Ideal entgegenzusetzen, ist dem jungen Mozart so wenig in den Sinn gekommen, wie er sich auf den anderen Gebieten bewußt als Reformator gefühlt hat. Auch hier läßt er sich zunächst von den verschiedensten künstlerischen Eindrücken treiben (weshalb es ein großer Irrtum ist, alle diese Messen über einen Leisten zu schlagen), und gewinnt erst allmählich eigenen Grund und Boden. Schon aus diesem Grunde ist das Studium seiner Messen lehrreich: sie geben ein höchst anschauliches Bild von den verschiedenen Strömungen in der damaligen Meßkomposition. Aber auch ihr künstlerischer Wert darf nicht unterschätzt werden, wenn er auch natürlich nicht an den seiner reifen Schöpfungen auf anderen Gebieten heranreicht. Es ist kunstpsychologisch von hohem Reiz, zu verfolgen, wie er sich allmählich seine eigene Formen- und Ausdruckswelt schafft, wie trotz aller Verschiedenheit einzelne Typen immer wiederkehren, um dann nach über zehnjähriger Pause im Requiem in ihrer höchsten Durchgeistigung wieder aufzutauchen.
Die beiden ersten Messen in G-Dur und d-Moll (K.-V. 49, 65) bilden insofern eine Gruppe für sich, als sie noch dem älteren, strengeren Typus angehören, dem in Salzburg besonders Eberlin und zum Teil auch L. Mozart huldigten. Gewiß ist auch seine Reinheit, verglichen mit dem, den Mozart später bei