Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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Voller Pein

       Stets zu sein

       Ist kein Spaß

       Im grünen Gras!62

       und Bastien:

       Geh, du sagst mir eine Fabel,

       Bastienne trüget nicht.

       Nein, sie ist kein falscher Schnabel,

       Welcher anders denkt als spricht.

      Das ist bereits ganz der poetische Stil des späteren Wiener Singspiels63.

      Den damit verbundenen Schritt von der Opera buffa zum deutschen Singspiel hat Mozart mit der ihm bereits damals eigentümlichen Sicherheit in der Aufnahme neuer Stilgrundsätze getan. Gewiß lag die harmlose Welt des Singspiels der Phantasie des Knaben weit näher als die verwickelteren Aufgaben der Buffokunst, anderseits war es aber im damaligen Wien weit schwerer, für einen derartigen Stoff die richtigen Vorbilder zu finden. Zwar hatte die Stegreifkomödie, die hier besonders beliebt war und der Musik einen großen Anteil verstattete, dem Singspiel einen günstigen Boden bereitet; Haydn z.B. hat mit einem Werke dieser Art, "Der neue krumme Teufel" von Kurz, seine dramatische Tätigkeit begonnen. Aber alle diese Stücke trugen ein mehr oder minder burleskes Gepräge, während Mozart sich seinen Stoff bezeichnenderweise mehr als Pastoral dachte und somit eigentlich über die Favart und Harny hinweg wieder auf die Auffassung Rousseaus zurückging. Werke dieser Art waren jedoch in Wien damals sehr spärlich gesät64. Aber auch mit dem beliebten Hinweis auf J.A. Hiller, den Begründer des norddeutschen Singspiels, sollte man bei diesem ersten Beitrag Mozarts vorsichtiger sein65. Denn auch er hatte unter der starken Abneigung der Wiener gegen die norddeutsche Kunst erheblich zu leiden, und die vereinzelten Aufführungen seiner Werke vor 1768 hatten mit einem Mißerfolg geendet66. Außerdem lehrt ein Vergleich der drei in Betracht kommenden Hillerschen Singspiele ("Die verwandelten Weiber" 1766, "Lisuart und Dariolette" 1766 und "Lottchen am Hofe" 1767) mit Mozarts "Bastien", daß beide lediglich in ihren allgemeinen Zielen, der Vorliebe für die volkstümliche Musikform des Liedes, miteinander übereinstimmen, im einzelnen dagegen zum Teil recht verschiedene Wege einschlagen. Vor allem wahrt Mozart den deutschen Singspielcharakter weit stärker dadurch, daß er im Gegensatz zu Hiller von allen italienischen Zutaten, wie Koloraturarien, der dreisätzigen Sinfonie usw. ganz absieht. Die Quellen, aus denen der Knabe in diesem Werke geschöpft hat, sind anderwärts zu suchen, zunächst in der Pariser komischen Oper Dunis, Philidors und Monsignys, deren Melodien ihm noch von der Pariser Zeit her im Ohre nachklangen. In Stücken wie Nr. 2, 6, 9, 14 und namentlich in Nr. 4 mit ihren seltsam verschränkten Rhythmen hat Mozart die lebendige und geistvolle Rhythmik dieser Meister mit Glück nachgebildet67. Daneben sind aber andere Einflüsse erkennbar, die zwar nicht von Hiller herkommen, wohl aber von jener süddeutschen, volkstümlichen Liederkunst, deren Spuren wir bei Mozart schon mehrfach begegnet sind68. Dieses Vorbild zeigt sich nicht allein in einzelnen Anklängen und Wendungen69, sondern besonders in der ganzen innigen und doch von aller Empfindsamkeit freien Art mancher getragener Melodien (wie in Nr. 1, 5, 11, 16 zweiter Abschnitt). Dergleichen Stücke verraten den geborenen Liederkomponisten, der Volkstümlichkeit und hohe Kunst in vollendeter Weise zu verbinden versteht, sie erheben Mozart aber auch zugleich, was Erfindung anlangt, bereits hier hoch über Hiller, auf dessen Singspielliedern sich oft genug der Puderstaub bemerkbar macht. Und aus demselben Grunde ist "Bastien und Bastienne" der äußerlich weit anspruchsvolleren "Finta semplice" weit überlegen. Dort mühte sich Mozarts Talent vergeblich an einer Aufgabe ab, die über seine Kräfte ging. Hier vermochte es, wenn auch in weit bescheidenerem Rahmen, Eigenes und Ursprüngliches zu geben. Das entzückende Liedchen Bastiennes Nr. 12 z.B. würde keinem Liederheft des reifen Mozart Unehre machen. Gewiß ist auch dieses Singspiel noch kein reifes Meisterstück, vor allem was die Charakteristik anlangt. Aber dieser Mangel stört innerhalb des harmlosen Spiels bei weitem nicht so wie in der Buffooper; außerdem ist es Mozart gelungen, wenigstens den Zauberer Colas als selbständige Figur dem Liebespaar gegenüberzustellen. Dazu wird vor allem wieder das Orchester verwandt, das sich im übrigen in diesem Werke eine weit größere Zurückhaltung auferlegt als in der "Finta semplice". Den Zauberer aber führt es mit einem auf L. Mozart und den "Galimathias" zurückweisenden handfesten Dudelsackstück mit erhöhter Quart (Nr. 4) ein und nimmt auch an seiner Hokuspokusarie (Nr. 10), wieder einem ausgesprochenen Mollstück, selbständigen Anteil.

      Alle Gesänge sind in einfacher zweiteiliger Liedform gehalten. Die mitunter vorkommende Teilung in zwei Abschnitte von verschiedener Taktart deutet nicht auf Hiller hin, bei dem dergleichen keineswegs die Regel ist, wohl aber auf die Nachbarschaft der "Finta semplice". Auch die vier Ensemblesätze sind einfache Liedweisen, in denen sich die Stimmen gelegentlich zu schlichtester, volkstümlicher Terzen- und Sextenharmonie vereinigen; das Schlußterzett zeichnet sich lediglich durch volleren Klang und reichere Instrumentation aus.

      Auch die Ouvertüre hat Mozart in sicherem Stilgefühl nicht allein einsätzig, sondern auch in ihrem Bau so einfach und durchsichtig wie möglich gehalten. Sie hat nur ein Thema, das im Verlaufe des Stücks zuerst in der Dominant- und dann wieder in der Haupttonart wiederkehrt und schließlich über die Unterdominante ganz leise in die Stimmung der ersten Arie hinüberklingt. Mozart hat hier zum ersten Male in einer Ouvertüre deutlich den Standpunkt angekündigt, von dem er das folgende Stück durch den Zuschauer betrachtet wissen will. Das Thema beginnt nämlich pastoral:

      Melodie und Begleitung, namentlich das Festhalten des Grundtons oder der Quinte, oft auch beider zusammen, deuten den Dudelsack an. Auch gibt die erste Geige im weiteren Verlauf öfters den Grundton auf der leeren G- oder D-Saite zur Melodie an. Die Verwandtschaft mit Beethovens Eroica-Thema ist wohl nur zufällig70.

      Mit allen diesen Eigenschaften ist das Werkchen, dessen sich die modernen Bühnen wieder in erfreulicher Weise annehmen, wirklich wie ein "Mädchen aus der Fremde" in die damaligen österreichischen Theaterverhältnisse hineingetreten71; seine geschichtliche Bedeutung läßt sich nicht bestreiten. Für den Forscher aber ist es nicht ohne Reiz, zu beobachten, wie Mozart hier schon mit zwölf Jahren die beiden Gebiete mit Beiträgen bedacht hat, auf denen ihm später die reichsten Lorbeeren erblühen sollten, die italienische Buffooper und das deutsche Singspiel. Dort ist er vorerst gescheitert, hier gelang ihm seine erste lebensfähige Schöpfung72.

      Eine Arie des Bastien (9) wurde mit etwas verändertem Text: "Daphne deine Rosenwangen" als Lied mit Klavierbegleitung, zugleich mit einem anderen Lied "Freude, Königin der Weisen" von Uz (K.-V. 52, 53, S. VII. 1–2) in einer Wiener Zeitschrift gedruckt73. Dieses Lied vertritt mit seinem gleichförmigen rhythmischen Schritt (alle Zeilen beginnen mit derselben rhythmischen Figur), seinem spärlichen Harmoniewechsel und auch seinen melodischen Gemeinplätzen ungefähr den Standpunkt der 1767 in Berlin erstmals erschienenen "Lieder der Teutschen" und steht an Ursprünglichkeit des Ausdrucks den Liedern des Singspiels erheblich nach. Einen Vorgänger hatten diese Lieder übrigens in dem kleinen Sopranduett "Ach was müssen wir erfahren? Wie, Josepha lebt nicht mehr", zu dem die Begleitung nicht erhalten ist; es ist offenbar nach dem Tode der Erzherzogin Josepha (15. Okt. 1767) entstanden74 (K.-V. Anh. II 24a).

      Die drei Sinfonien aus dieser Zeit, in F-Dur (K.-V. 43, S. VIII. 6, Ende 1767 entstanden), D-Dur (K.-V. 45, S. VIII. 7, datiert vom 16. Jan. 1768) und D-Dur (K.-V. 48, S. VIII. 8, vom 13. Dez. 1768) lassen ein immer deutlicheres Abschwenken Mozarts von dem Italienertum in der Form Chr. Bachs zur Wiener Schule erkennen.

      Auch die Wiener Sinfonie75 ist in letzter Linie ein Absenker der Opernsinfonie A. Scarlattis. Aber wie in der Oper, so schlug man in Wien auch in der Sinfonie sehr bald eigene Wege ein, zum großen Teil unter dem Einfluß desselben Meisters, J.J. Fux (1660–1741). Auf ihn geht mittelbar gleich eine Haupteigentümlichkeit der Wiener Sinfonik zurück, die Neigung zum strengen kontrapunktischen Satz, der bereits in den


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