Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
Mann ist, welcher dermalen in der Welt lebt: es war unmöglich zu glauben.
Allein eine einzelne Genugtuung der Art konnte gegen die im stillen arbeitende neidische Verkleinerungssucht nicht viel ausrichten. Da kam vom Kaiser selbst ein Vorschlag, dessen Ausführung geeignet war, die außerordentliche Befähigung Wolfgangs im glänzendsten Lichte zu zeigen. Er forderte ihn auf, eine Oper zu komponieren, und bemerkte dabei, er würde sie ihn gern selbst am Klavier dirigieren sehen. Mit gleichem Eifer gingen Vater und Sohn auf diesen Wunsch ein, um so mehr, als ein glücklicher Erfolg der Oper nicht nur für Wien ihren Ruf feststellte, sondern dem jungen Künstler den Weg nach Italien und auf die dortigen Bühnen bahnte. Der Kaiser gab dem Theaterunternehmer Affligio seinen Wunsch zu erkennen; L. Mozart, der wohl wußte, daß das Schicksal einer Oper hauptsächlich von den Darstellern abhing, verstand es, die Sänger und Sängerinnen für eine Oper zu gewinnen, die jedenfalls wegen der Jugend des Komponisten eine ungewöhnliche Teilnahme des Publikums zu erwarten hatte, so daß sie ihrerseits in Affligio drangen, dem jungen Komponisten eine Oper zu übertragen. In der Tat erklärte er sich bereit und schloß einen Kontrakt ab, die Oper aufzuführen und mit 100 Dukaten zu honorieren.
Die für die opera seria engagierten Sänger und Sängerinnen waren nicht sehr ausgezeichnet. Schon am 29. September 1767 berichtete L. Mozart, die Oper von Hasse (Partenope) sei schön, aber die singenden Personen, NB. für eine solche Festivität, gar nichts Besonderes, Tibaldi als Tenorist, Rauzzini von München, der beste Kastrat, Prima Donna Elisabeth Deiberin (Teyber), eines wienerischen Hofviolinisten Tochter, Schülerin der Tesi und Hasses. Auch Gluck hatte ihnen seine Alceste nicht anvertrauen mögen. Alceste wurde in Wien am 16. Dezember 1767 aufgeführt; die Bernasconi erregte das größte Aufsehen als Alceste, den Admet aber sang Tibaldi. Mozarts waren damals noch in Olmütz, allein sie hatten auch nach ihrer Zurückkunft Gelegenheit, "die traurige Glucksche Alceste", wie L. Mozart sie nennt13, zu hören. Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß Wolfgang, im Begriff, seine erste Oper zu schreiben, Zeuge war, wie in Wien Gluck mit der Alceste den entscheidenden Schritt zur Reform der dramatischen Musik tat, und vielleicht hängt es auch mit dieser Jugenderinnerung zusammen, daß er später gerade die Alceste mit unverkennbarer Vorliebe studierte. L. Mozart war bei seiner auf den Traditionen der italienischen Musik beruhenden Bildung Glucks Neuerungen, wie sich begreifen läßt, wenig zugetan. Daß man auch im Publikum vielfach wie er urteilte, sieht man aus dem, was Sonnenfels14 als Gespräche anführt, die bei der Aufführung der Alceste, nicht auf dem Paradies, sondern im adligen Parterre zu hören waren: "Das ist erbaulich! neun Tage ohne Schauspiele und am zehnten ein De profundis! – Wie? ich denke, hier ist's auf Tränen abgesehen? kann sein, daß ich welche vergieße – aus langer Weile. – Nein, das heißt sein Geld weggeworfen! eine vortreffliche Ergötzung, eine Närrin, die für ihren Mann stirbt!"
Dagegen waren die Mitglieder der opera buffa vortrefflich15, man wählte mithin eine opera buffa. Den Text lieferte Marco Coltellini, ein geborener Florentiner, der von 1758 an in Wien als "Theatraldichter" lebte und 1769 sogar Metastasios Nachfolger als "poeta Cesareo" wurde; 1772 ging er dann als kaiserlicher Hofdichter nach Petersburg. Als Dichter schloß er sich zuerst Metastasio an, der ihm hohes Lob spendet 16, schwenkte aber schon in Wien in das Lager der Reformfreunde über und ist zusammen mit Frugoni und dem berühmten Calzabigi ein Hauptvertreter der neuen, ernsteren Operndichtung geworden. In seiner "Ifigenia in Tauride" (komponiert 1758 von Traëtta) erreicht er sogar erstmals jene Einfachheit der dramatischen Grundidee, die dann später Calzabigi und Gluck als Hauptgrundsatz ihres neuen Musikdramas verkündigten. In der opera buffa hielt er sich dagegen in den herkömmlichen Geleisen; auch die für Mozart geschriebene "Finta semplice" (K.-V. 51) macht keine Ausnahme davon.
Wolfgang machte sich sogleich an die Arbeit, damit die Oper zu Ostern gegeben werden könnte; nach Vollendung des ersten Aktes wurde er den Sängern mitgeteilt, die ihre völlige Zufriedenheit und Bewunderung aussprachen. Allein jetzt verursachte der Dichter einen Aufenthalt, indem er die von Komponist und Sängern gewünschten Veränderungen mit dem Text so langsam vornahm, daß er erst nach Ostern damit fertig wurde. Mozart ließ sich das nicht anfechten, komponierte mit Lust und Eifer, schrieb neue Arien, wenn es verlangt wurde, und hatte bald die ansehnliche Partitur von 25 Nummern, 558 Seiten in drei Teilen, vollendet.
Indessen wurde gegen die Aufführung der Oper bald von vielen Seiten her intrigiert. Der Gedanke, einen zwölfjährigen Knaben an dem Flügel dirigieren zu lassen, an dem man Gluck zu sehen gewohnt sei, war für viele entwürdigend, und man wußte dies geltend zu machen. Leopold hatte Gluck im Verdacht, daß er an diesen Ränken teilnehme. Zwar schrieb er anfangs: "Ich habe sogar den Gluck auf unsere Seite gebracht, so zwar, wenn es ihm auch nicht gänzlich von Herzen geht, so darf er es nicht merken lassen, denn unsere Protektoren sind auch die seinigen"; allein später sagte er geradezu: "Unter dieser Zeit haben alle Compositores, darunter Gluck eine Hauptperson ist, alles untergraben, um den Fortgang dieser opera zu hindern." Das ist entschieden übertrieben. Was hätte Gluck von diesem Anfänger fürchten sollen? Wohl aber mag seinem ernsten Sinn der ganze Versuch des Zwölfjährigen, von dem der Vater so viel Aufhebens machte, wie eine Spielerei erschienen sein, und er hat in seiner geraden Art17 mit seinem Urteil jedenfalls nicht hinter dem Berge gehalten. L. Mozart aber hat damals bereits Gelegenheit genommen, in dem Kampf um das neue Musikdrama sich und damit auch seinen durch die Londoner Eindrücke allerdings wohl vorbereiteten Sohn mit Nachdruck auf die Seite der Alten, durch Metastasio und den "Musikvater" Hasse vertretenen Kunst zu stellen. Er veranlaßte beide zu erklären, dreißig Opern seien in Wien aufgeführt worden, "die in keinem Stücke der opera dieses Knaben beykommen, die sie beide nicht anders als im höchsten Grade bewunderten." Nun kehrte man den Spieß um. Da von der Hilfe, die Leopold dem Sohne bei seinen bisherigen Werken hatte angedeihen lassen, mittlerweile einiges ruchbar geworden sein mochte, so hieß es, die Komposition sei überhaupt nicht von Wolfgang, der so etwas gar nicht vermöge, sondern vom Vater. Auch gegen dies Gerede wußte er Rat. In großen Gesellschaften, beim Fürsten Kaunitz, dem Herzog von Braganza, bei Bonno, dem Kapellmeister des Prinzen von Hildburghausen18, bei Metastasio und Hasse ließ er einen beliebigen Band von Metastasio aufschlagen und Wolfgang die erste beste Arie sogleich mit Orchesterbegleitung komponieren und niederschreiben, – eine Probe, die wenigstens an der technischen Fertigkeit und Sicherheit keinen Zweifel übrig ließ. Dies bestätigt außer der Schwester auch Niemetschek durch das Zeugnis "verehrungswürdiger Personen, welche bei solchen Proben gegenwärtig gewesen waren".
Trotz aller Gegenanstrengungen L. Mozarts wirkten die unausgesetzten Hetzereien der gegen die Oper empörten "Musikhölle" endlich auch bei den Künstlern, die sie darstellen sollten. Das Orchester wurde aufgestachelt, sich nicht von einem Knaben dirigieren zu lassen; die Sänger, obgleich sie sich mit der Musik, als einer auch für sie dankbaren, zufrieden erklärt hatten, fingen an, für den Erfolg der Oper beim Publikum zu fürchten, als sie sahen, mit welchem Eifer dagegen gearbeitet wurde. Nun hielten sie es für ihren Vorteil, die Aufführung zu hintertreiben, und sprachen daher, wo es tunlich schien, ebenfalls mit Achselzucken über die Komposition. L. Mozart beklagt sich über die Doppelzüngigkeit der Sänger, von denen mancher kaum die Noten kenne und alles nach dem Gehör lernen müsse, bitter gegen Graf Zeil, der glaubte, alle Musici seien für Wolfgang eingenommen, weil er nach dem Äußern urteile und ihm "die innerliche Bosheit dieser Vieher" nicht bekannt sei. Jetzt wurde es auch dem Impresario bedenklich, ob die Aufführung der Oper, die er wohl hauptsächlich nur übernommen hatte, weil er von dem Knabenalter des Komponisten eine besondere Anziehungskraft auf das Publikum hoffte, ihm nicht etwa Schaden bringen könnte. Affligio19 war ein Abenteurer und Spieler, der sich ein Offizierspatent erschwindelt und es bis zum Oberstleutnant gebracht hatte; seinen völligen Mangel an Kunstsinn bezeugt der Zug, daß er, als in der Tierhetze zwei Ochsenfänger ihr Probestück an einem ungarischen Stier machten, zu einem Freunde sagte: "Sehen Sie, diese Hunde sind mir lieber als Aufresne und Neuville" (zwei vortreffliche Schauspieler, die er begünstigte)20. Während der von ihm am 16. Mai 1767 übernommenen Impresa verewigte er durch die traurige Rolle, die er im Kampfe des regelmäßigen Schauspiels gegen die Hanswurstiaden mehr als einmal spielte, seinen Namen21. Zuletzt kam er als Fälscher auf die Galeeren22. Mit einem solchen Menschen hatte Mozart zu tun. Er schob die Oper unter allen möglichen