Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
1767 in seiner Vaterstadt noch einmal als Komponist in Anspruch genommen. Der allgemeinen, besonders durch die Jesuiten gepflegten Sitte zufolge fanden bei der Universität regelmäßig am Schlusse des Schuljahres, Ende August oder Anfang September, mitunter auch bei anderen feierlichen Veranlassungen, dramatische Aufführungen durch die Studierenden statt. Neben einer kleineren, 1657 eingerichteten Bühne wurde im Jahre 1661 für die jährlichen Vorstellungen ein großes Theater erbaut mit zwölf Dekorationen, die allgemein bewundert wurden32. In der Regel wurde ein lateinisches Schauspiel, dessen Verfasser (comicus) der Professor der Poesie oder ein anderer Geistlicher war, von "den benediktinischen Musen", d.h. Studierenden verschiedener Klassen, aufgeführt. Der Gegenstand war der biblischen, alten oder neueren Geschichte, seltener der heidnischen Mythologie entnommen und pflegte eine bestimmte moralische Lehre vernehmlich auszudrücken33. Nach alter Sitte wurden mit der tragoedia oder comoedia, wie es auch beim italienischen gesprochenen Drama einst üblich war, musikalische Aufführungen in Verbindung gesetzt, so daß eine kürzere lateinische Oper von verwandter Tendenz mit einem Teil als Prologus dem eigentlichen Stück voranging, während die folgenden Akte oder Szenen (als "Chorus" bezeichnet) zwischen die Akte des Dramas eingelegt wurden, ganz wie bei der opera seria die Intermezzi oder Ballette zwischen die Akte geschoben wurden. Die Komposition übernahmen die Mitglieder der Kapelle; noch vorhandene Textbücher nennen Birchthaller v. Greifenthal, Eberlin, Adlgasser, Meißner, Mich. Haydn, Leop. Mozart34 als Komponisten. Bei der Aufführung halfen auch die Sänger der Kapelle aus, indem sie schwierigere Partien übernahmen.
Am 13. Mai 1767 wurde von der Syntax, d.h. von den Schülern der zweitobersten Klasse der Humanitätsstudien, die Tragödie "Clementia Croesi" aufgeführt. Diesmal war als musikalische Beilage "Apollo et Hyacinthus seu Hyacinthi Metamorphosis" beigegeben, die von Wolfgang komponiert wurde; im gedruckten Textbuch wird angekündigt: "auctor operis musici nobilis dominus Wolfgangus Mozart, undecennis, filius nobilis ac strenui domini Leopoldi Mozart, Capellae Magistri". (K.-V. 38, S.V. 2 mit Gr. Waldersees R.-B.) Im Anschlusse an die Aufführung ließ sich Wolfgang bis in die Nacht zur Bewunderung der Zuhörer auf dem Klavier hören35.
Das Personenverzeichnis lautet:
Oebalus, Lacedaemoniorum rex Ornatiss. ac. doctiss. D.
(Tenor) Matthias Stadler Theolog.
Moral. et Iurium Auditor
Melia, Oebali filia (Sopran) Felix Fuchs, ex Capella
in Grammatica
Hyacinthus, Oebali filius Christianus Enzinger, ex
(Sopran) Capella in Rudiment
Apollo, ab Oebalo Joannes Ernst, ex Capella
hospitio exceptus (Alt)
Zephyrus, Hyacinthi Josephus Vonterthon, ex
intimus (Alt) Syntaxi
Sacrificulus Apollinis I mus Josef Bruendl, ex Poesi
Sacrificulus Apollinis II mus Jacobus Moser, ex
Syntaxi.
Die alte Sage ist in diesem Gedicht mit einiger Freiheit nach der Weise einer italienischen Oper zugerichtet; zu Nutz und Frommen der studierenden Jugend ist Melia die Geliebte des Apollon und Zephyrus, Hyacinthus eine wenig motivierte Person geworden; auch schließt das Stück mit einer standesmäßigen Vermählung. Von einer eigentlich dramatischen Handlung ist nicht eben die Rede, es werden einzelne Situationen herbeigeführt, die zu langen Arien und Duetten Veranlassung geben; alles in hergebrachter Art und Form. Dieser hat sich auch der lateinische Text anbequemen müssen, der den Dialog in jambischen Senaren, die Chöre und Arien in freien gereimten Versen gibt. Er ist nicht inkorrekt, aber recht geschmacklos, und im einzelnen ganz den italienischen Operntexten nachgebildet.
Nach einer kurzen Ouvertüre in zwei Teilen von einfacher, aber bestimmter Gliederung beginnt die Handlung mit einem Rezitativ zwischen Hyacinthus und Zephyrus, der seine Liebe zu Melia und seine Eifersucht auf Apollo verrät; Öbalus und Melia erscheinen, um Apollo ein Opfer zu bringen, der in einem Chorgesang angerufen wird:
Numen o Latonium,
audi vota supplicum,
qui ter digno te honore
certant sancte colere.
Nos benigno tu favore
subditos prosequere.
Das Opfer wird nicht angenommen, ein Blitz zerstört alles, und den bestürzten Öbalus sucht Hyacinthus in einer Arie damit zu beruhigen, daß es die Götter nicht immer so ernsthaft meinten:
Saepe terrent numina
surgunt et minantur,
fingunt bella
quae nos angunt,
mittunt tela
quae non tangunt;
at post ficta nubila
rident et iocantur.
Nun erscheint Apollo und bittet um Aufnahme bei Öbalus, da ihn Jupiter verbannt habe; nachdem man sich gegenseitig die erlesensten Artigkeiten gesagt hat, dankt Apollo in einer Arie. Hierauf folgen die beiden ersten Akte der Tragödie. Dann meldet Öbalus seiner Tochter, daß Apollo sie zur Gemahlin begehre; sie willigt freudig ein und spricht ihr Entzücken in einer passagenreichen Arie aus:
Laetare, iocari
fruique divinis honoribus stat,
dum Hymen optimus
taedis et floribus
grata, beata
connubia iungit et gaudia dat!
Allein nun tritt Zephyrus mit der Meldung auf, Hyacinthus sei von Apollo erschlagen. Melia erklärt darauf, sie könne ihn nicht heiraten, Öbalus will ihn verbannen und Zephyrus drückt in einer Arie die Hoffnung aus, die er hieraus für sich schöpft. Da kommt Apollo, bezeichnet ihn als den Mörder des Hyacinthus und läßt ihn durch die Winde entführen; Melia macht ihm, durch diese neue Gewalttat empört, heftige Vorwürfe, und in einem Duett weist sie ihn gänzlich ab und heißt ihn fortgehen, während er über seine Liebe und ihre Härte klagt. Nun folgt der dritte und vierte Akt der Tragödie. Darauf wird Hyacinthus hereingetragen und berichtet sterbend in einem begleiteten Rezitativ, daß Zephyrus sein Mörder sei, worauf Öbalus Gelegenheit findet, in einer Arie gebührend zu wüten. Als ihm nun Melia mitteilt, daß Hyacinthus getötet und Apollo von ihr verbannt worden sei, wird sie eines Besseren belehrt und fürchtet nun den Zorn des beleidigten Gottes, was zu einem Duett Veranlassung gibt. Apollo aber erscheint, verwandelt Hyacinthus in eine Blume, versichert Öbalus und Melia, die um Verzeihung flehen, seiner Huld und vermählt sich Melia. In einem Schlußterzett sprechen sie dann ihre allseitige Zufriedenheit aus.
Wie der Text, so bewegt sich auch die Musik durchaus im italienischen Geleise. Lieblingswendungen Chr. Bachs begegnen wir auf Schritt und Tritt, einmal, in Melias Arie Nr. 4, taucht auch ein Anklang an Händel auf. Auch süddeutsche Züge fehlen nicht36. Stil und Aufbau sind dieselben wie bei dem Oratorium: die Arien folgen, mit zwei Ausnahmen37, der vollen dreiteiligen Da-capo-Form Hasses, ebenso die wesentlich homophon gehaltenen Duette38. Der Gesamteindruck der Musik ist entschieden schwächer als bei dem Oratorium; die meisten Stücke haben etwas Konventionelles und Frostiges. Das liegt wohl nicht allein an der Steifheit des Textes, sondern auch an Mozarts deutlich erkennbarer Schwäche im Lateinischen39, die ihn nicht zu voller Sicherheit seinem Stoffe gegenüber gelangen ließ. Zu wirklichem, warmem Leben erhebt sich der Ausdruck nur in