Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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war, ob der Kaiser sie nicht rufen ließ. Aus dieser Zeit des Wartens erwähnt der Vater eine Aufführung von Hasses "Partenope", an der ihm besonders die Tänze mit dem berühmten Vestris gefielen, und von Fl. Gaßmanns "Amore e Psiche". Schließlich flüchtete er aber doch vor den immer mehr um sich greifenden Blattern Ende Oktober mit seinen Kindern nach Olmütz. Allein beide, zuerst Wolfgang, dann Marianne, wurden hier davon ergriffen. Graf Leopold Anton von Podstatzky, Domdechant von Olmütz und Domherr von Salzburg (weshalb Mozart ihm bekannt war), erbot sich dem bekümmerten Vater, die ganze Familie bei sich aufzunehmen, weil er – ein seltener Fall – diese Krankheit nicht fürchtete. In der Domdechantei, unter sorgsamer Pflege und ärztlicher Behandlung, überstanden die Kinder glücklich die Blattern, die so heftig auftraten, daß Wolfgang neun Tage blind dalag. Da er noch mehrere Wochen nach der Genesung seine Augen schonen mußte und ihm dabei die Zeit lang wurde, pflegte der erzbischöfliche Kaplan Hay, später Bischof von Königgrätz (ein Bruder der Frau von Sonnenfels1), der die Familie täglich besuchte, ihn mit Kartenkunststücken zu unterhalten, die der Knabe mit Eifer und Geschick ihm ablernte. Mit ebenso großer Lebhaftigkeit wurde in dieser Mußezeit die Gelegenheit benutzt, Fechten zu lernen, wie denn Mozart für körperliche Übungen auch in späteren Jahren Neigung hatte2. Nach der Genesung komponierte er für das Töchterchen des Leibmedikus Wolf, der ihn behandelte, eine Arie, woran ihn der Vater später erinnerte (28. Mai 1778).

      Die Rückreise wurde am 23. Dezember angetreten; sie hielten sich unterwegs in Brünn vierzehn Tage auf. Hier fanden sie beim Grafen Franz Anton Schrattenbach, dem Bruder des Erzbischofs von Salzburg, der sie schon auf der Hinreise zu einem Konzert hatte veranlassen wollen, die beste Aufnahme, und der gesamte hohe Adel in Brünn bewies ihnen eine "sonderbare Achtung".

      In Wien aber, wo sie den 10. Januar 1768 wieder eintrafen, fanden sie Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Zwar bei Hofe erhielten sie jetzt Zutritt, ehe sie nur selbst daran dachten. Die Kaiserin Maria Theresia erfuhr kaum von der gefährlichen Krankheit, die die früher von ihr bewunderten Kinder ausgestanden hatten, als sie (am 19. Januar) die Familie zu sich bescheiden ließ. Der Kaiser selbst kam in das Vorzimmer und führte sie zu seiner Mutter, bei der sie außer dem Herzog Albert von Sachsen-Teschen und den Erzherzoginnen niemand antrafen. Zwei Stunden mußten sie in diesem Familienkreise verweilen3. Die Kaiserin unterhielt sich als eine Frau von mütterlichem Herzen auf das vertraulichste mit der Frau Mozart, ließ sich von ihr ausführlich von der Krankheit der Kinder und von ihren großen Reisen erzählen, drückte ihr teilnehmend die Hände und streichelte ihr die Wangen, während der Kaiser mit Wolfgang und dem Vater sich über Musik und viele andere Dinge unterhielt und "der Nannerl sehr oft die Röte ins Gesicht trieb". Diese außerordentliche Leutseligkeit war ehrenvoll und erquickend für die patriotischen Herzen der Familie Mozart, aber einträglich wurde sie nicht. Die Kaiserin beschenkte sie mit einer schönen Medaille von geringem Wert; da sie seit dem Tode ihres Gemahls weder Oper noch Komödie mehr besuchte und auch keine Musik bei sich hielt, so konnte eine Aufforderung, bei Hofe zu spielen, nur vom Kaiser ausgehen. Allein Joseph zeigte sich wenig geneigt, gegen Künstler eine Freigebigkeit zu beweisen, die man früher für von fürstlicher Gnade und fürstlichem Glanz unzertrennlich hielt, und machte durch seine Sparsamkeit nicht allein L. Mozart unzufrieden. Der Adel folgte dem Beispiel des Hofes und vermied es, einen verschwenderischen Glanz an den Tag zu legen, weil man sich dem Kaiser dadurch gefällig machte. Während des Faschings war das einzige Vergnügen das Tanzen: Bälle und Redouten drängten sich; allein während früher die vornehmen Familien sich in glänzenden Gesellschaften überboten, bei denen fast regelmäßig auch ausgezeichnete Virtuosen auftraten, wurden die Bälle jetzt in öffentlichen Sälen auf allgemeine Unkosten gegeben. L. Mozart deutet an, daß bei dieser Einrichtung der Hof noch seinen Vorteil hatte, indem er alle Tänze, Redouten, Bälle und Spektakel verpachtete und so den Nutzen mit den Pächtern teilte. Unter solchen Umständen half es Mozart gar nicht viel, daß er bei den angesehensten Männern und einflußreichsten Musikfreunden gut empfohlen war, dem Oberst-Stallmeister Grafen v. Dietrichstein, der alles beim Kaiser galt, dem Fräulein Josepha Guttenberg, "die das linke Auge der Kaiserin war", dem Leibarzt L'Augier4, einem vielgereisten Mann von umfassenden Kenntnissen, namentlich von großer Geschicklichkeit und feinem Urteil in der Musik, dessen Haus der Sammelplatz der gelehrten und gebildeten Welt war. Zu seinen Gönnern durfte er auch den Herzog Joh. Carl von Braganza zählen, einen hervorragenden Mann, der beim Erdbeben von Lissabon und als Volontär im österreichischen Heer Mut und Charakter bewährt5, auf wiederholten Reisen mannigfache Kenntnisse und freisinnige Ansichten erworben hatte6 und außerdem ein vorzüglicher Gesellschafter und gründlicher Kenner der Musik war7. Gluck widmete ihm seine Oper "Paride ed Elena" (1770) und erklärte in der berühmten Dedikation, er suche in ihm nicht sowohl einen Gönner als einen Richter, der ein gründlicher und geschmackvoller Kenner der Kunst und frei von Vorurteilen sei. Gunst und Teilnahme fanden sie auch beim Fürsten Kaunitz, einem feinen Kenner; aber bei seiner bis zum Lächerlichen getriebenen Angst um seine Gesundheit gestattete er Wolfgang keinen Zutritt, solange in dessen Gesicht noch die von den Blattern zurückgebliebenen roten Flekken sichtbar waren. Bei dem Fürsten Gallitzin, dem russischen Botschafter, fand nach Erzählung der Schwester und des Vaters8 der Kinder wegen im März eine "große Akademie" statt.

      Über das Wiener Publikum im allgemeinen spricht sich L. Mozart sehr wenig günstig aus9:

       Daß die Wiener, in genere zu reden, nicht begierig sind ernsthafte und vernünftige Sachen zu sehen, auch wenig oder gar keinen Begriff davon haben, und nichts als närrisches Zeug, Tanzen, Teufel, Gespenster, Zaubereyen, Hanswurst, Lipperl, Bernardon, Hexen und Erscheinungen sehen wollen, ist eine bekannte Sache und ihre Theater beweisen es täglich. Ein Herr, auch mit einem Ordensband, wird wegen einer hanswurstigen Zote oder einfältigen Spaß mit den Händen klatschen, lachen, daß er fast aus dem Athem kömmt, hingegen bey der ernsthaftesten Scene, bey der rührendsten und schönsten Action und bey den sinnreichesten Redensarten mit einer Dame so laut schwätzen, daß andre ehrliche Leute kein Wort verstehen können.

      Unter dem Eindruck mannigfacher Enttäuschungen beurteilt Mozart hier allerdings den Wiener Kunstgeschmack einseitig nach den niederen Volksbelustigungen10; was es außerdem für einen Künstler zu hören und zu lernen gab, das zeigen nicht allein Wolfgangs Werke aus dieser Zeit, sondern auch die Worte Glucks, Wien sei von jeher eine Stadt gewesen, die keine gemeinen Vorurteile gekannt und stets dem Höchsten in der Kunst eine Gasse gebrochen habe11. War doch 1767 Glucks zweites großes Reformwerk, die "Alceste" in Szene gegangen. Aber freilich, der Reiz des "Wunderkindes" war von Mozart gewichen. Das Publikum hatte für seine künstlerischen Fortschritte weit weniger Sinn mehr; die Fachgenossen aber erkannten ihn insofern als ebenbürtigen Mitbewerber an, als sie ihn die alten Laster ihres Standes, den Brot- und Handwerksneid, reichlich kosten ließen. Der Vater erzählt davon12:

       Ich erfuhr, daß alle Klavieristen und Komponisten in Wien unserm Fortgang sich widersetzten, ausgenommen der einzige Wagenseil, der aber, da er krank zu Hause ist, nichts helfen oder wenig zu unsrem Vorteil beytragen kann. Die Hauptmaxime dieser Leute war, alle Gelegenheit uns zu sehen und die Wissenschaft des Wolfgangerls einzusehen, sorgfältigst zu vermeiden. Und warum? damit sie bei den so vielen Fällen, da sie gefragt würden, ob sie diesen Knaben gehört hätten und was sie davon hielten, allezeit sagen konnten, daß sie ihn nicht gehört haben und daß es unmöglich wahr sein könnte; daß es Spiegelfechterei und Harlekinade wäre; daß es abgeredte Sachen wären, da man ihm Musik zu spielen giebt, die er schon kennt; daß es lächerlich sei zu glauben, daß er componirt usw. Sehen Sie, deswegen fliehen sie uns. Denn der gesehen und gehört, der kann nicht mehr so reden ohne sich in Gefahr zu setzen, seine Ehre dabei zu verlieren. Einen von dieser Art Leute habe ich in das Garn bekommen. Wir hatten es mit Jemand abgeredet, uns in der Stille Nachricht zu geben, wenn er da ist. Er sollte aber dahin kommen, um dieser Person ein recht außerordentlich schweres Concert zu überbringen, welches man dem Wolfgangerl vorlegen sollte. Wir kamen also dazu und er hatte hiemit die Gelegenheit, sein Concert von dem Wolfgangerl so wegspielen zu hören, als wüßte er es auswendig. Das Erstaunen dieses Compositors und Clavieristen, seine Ausdrücke und Redensarten, deren er sich bey seiner Bewunderung bediente, gaben uns Alles zu


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