Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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seiner "Buona figliuola" ins Leben gerufenen bürgerlichen Rührstück doch auch noch die ältere, rein aufs Komische gerichtete Buffooper beim Publikum hoch in Gunst stand. Alles ist auf burleske Situationskomik angelegt; die seit alters beliebten Prügel-, Betrunkenheits- und Duellszenen sind ebenso vertreten wie die schwülstigen gelehrten Ergüsse, die in letzter Linie auf eine Verspottung der Opera seria hinauslaufen. Auch die Charaktere entsprechen ganz den alten karikierten Masken; selbst der Liebhaber Fracasso hat einige Züge des Capitan Spavento mitbekommen. Man hat den Eindruck, als hätte Coltellini mit Absicht diesen Text dem Knaben in die Hände gegeben, in der Überzeugung, daß er mit diesen grobgeschnitzten Gestalten wohl noch am besten fertig werden würde. Die dankbarste Aufgabe stellte ihm Cassandro, die einheitlichste und geschlossenste Figur der Oper. Aber schon in seiner ersten Arie "Non c'è al mondo altro che donne" (Nr. 4) versagt Mozart und mußte versagen, einfach deshalb, weil ihm Lebens- und Menschenkenntnis damals noch völlig abgingen. Was wußte der Zwölfjährige von der Weiber- und Ehefeindschaft eines alten Junggesellen, zumal im verzerrenden Hohlspiegel der italienischen Buffokunst? Er sah in Cassandro nur einen gutmütigen alten Polterer und schrieb somit eine Arie, die von den geistsprühenden, mit Teufeleien förmlich gespickten Philippiken der Paisiello und Guglielmi meilenweit entfernt ist. Sehr bezeichnend ist, daß, sobald Mozarts Phantasie an irgendeiner gemeinverständlichen Tonmalerei eine äußere Stütze findet, auch seine musikalische Gestaltung selbständiger wird. So haben in Cassandros zweiter Arie "Ella vuole ed io torrei" (Nr. 8) das Bild des kochenden Blutes mit dem echt italienischen "blo blo" und das Gleichnis von dem Pudel, der bald nach dem Fleisch die Pfote hebt, bald unter den Stockschlägen bellt und heult, dem Ganzen entschieden einen höheren Schwung verliehen, an dem freilich das reiche orchestrale Leben dieser Arie den Hauptanteil hat26. Am gelungensten ist Cassandros dritte Arie "Ubbriaco non son io" (Nr. 16). Die Gestalt des Betrunkenen war dem Knaben von Salzburg her offenbar wohl bekannt. Wie da gleich am Anfang das Orchester hereinschwankt, dann unvermittelt in die fast an das Bacchusduett der "Entführung" erinnernden närrischen Stakkatosechzehntel übergeht

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      und so den Sänger Lügen straft, ist sehr drastisch beobachtet, und ergötzlich ist es auch, wenn im zweiten Teil das Orchester dem Alten seinen Rausch immer wieder zu Gemüte führt. Diese der ganzen Oper eigentümliche wichtige Rolle des Orchesters mit der sorgfältigen Stimmführung weist nicht allein auf Mozarts eigenen bisherigen Bildungsgang hin, sondern sie entspricht zugleich, wie die Werke Gaßmanns lehren28, dem allgemeinen Brauch der damaligen Wiener Buffokomponisten, ebenso wie im folgenden Rezitativ die Behandlung des Seccos mit seinen malerischen Baßgängen, die sich in Cassandros Partie besonders häufig finden. Auch das hauptsächlich orchestral ausgeführte pantomimische Zwiegespräch zwischen ihm und Rosina (II 7) gehört hierher29. Dergleichen war aber zugleich auch auf die Darsteller zugeschnitten, die Mozart in dieser Oper mehr denn je bei guter Laune erhalten mußte. Caratoli, der Darsteller des Cassandro, war zwar wenig Sänger mehr, aber desto mehr Schauspieler und wußte "gewissermaßen den Gesang entbehrlich zu machen"; auch übertrieb er gelegentlich, um dem großen Haufen zu gefallen30.

      Weit weniger wußte Mozart mit der trottelhaften Gestalt des verliebten Polidoro anzufangen. Seine ganze Verlegenheit erhellt schon daraus, daß er für dessen erste Arie "Cosa ha mai la donna indosso" (Nr. 7) auf die Arie des Christgeistes "Manches Übel will zuweilen" (Nr. 8) seines Oratoriums zurückgriff. Dort spricht der begütigende Arzt von den schmerzvollen Eingriffen, die in gewissen Fällen zur Heilung eines Übels notwendig seien, hier handelt es sich um die im Herzen eines blöden Junggesellen aufkeimende Liebe31. Offenbar hat sich Mozart dieses Stückes deshalb erinnert, weil er in ihm den Ausdruck weicher Empfindung besonders gut getroffen zu haben glaubte, und war naiv genug, sich einzubilden, daß es auch für die neue Situation, deren seelischem Charakter er damals noch ratlos gegenüberstand, ohne weiteres passe. Außerdem hatte er auch hier den Sänger Caribaldi im Auge, dessen schöne Stimme namentlich in langsamen Sätzen einen rührenden Ausdruck hatte, aber für die Koloratur wenig geschult war; im Spiel ahmte er Caratoli ungeschickt nach32.

      Auch Polidoros zweite Arie "Sposa cara" (Nr. 17) kann nicht als geglückt bezeichnet werden. Sie ist zweiteilig, aber jeder Teil hat wieder drei gegensätzliche Unterabschnitte. Mozart hat hier gewissermaßen jeden Gedanken für sich komponiert, ohne sie zu einer höheren Einheit zu verbinden. Der erste, an Rosina gerichtete Teil ist zwar der Stimmung nach ebenfalls ein Absenker Bachs, nähert sich daneben aber auch der Wiener Liedmelodik33, der zweite aber, der Cassandro gilt, behilft sich mit einer nicht sehr geschickten Aneinanderreihung abgenützter Buffophrasen; originell darin sind abermals nur die unwirschen Geigenpassagen, die drastischen Gebärden des aufbegehrenden Cassandro, und auch im dritten Abschnitt fällt den Instrumenten der Hauptanteil zu.

      Von den beiden Bedienten Simone und Ninetta ist jener am besten weggekommen. An die sprühenden Tollheiten der italienischen Figuren dieses Schlages darf man zwar auch bei ihm nicht denken. Aber seine Arien (Nr. 2, 13 und 22) enthalten einen natürlichen, behäbigen Humor; bezeichnend ist nur, daß die meisten Stellen, an denen Mozart den echten italienischen Buffostil mit dem hastigen Geplapper und den übrigen realistischen Zutaten nachbildet, merkwürdig ungesangsmäßig und unwirksam verlaufen: man sieht deutlich, er kennt diesen Stil, aber er ahmt nur seine Äußerlichkeiten nach, sein inneres Wesen, namentlich die enge Verbindung von Gesangs- und Schauspielkunst, ist ihm noch nicht aufgegangen. Am besten ist ihm die Arie "Con certe persone vuol esser bastone" (Nr. 13) geglückt; ein hübscher, wenn auch nicht ganz origineller Zug ist der Ruf "Madama, bastone!", den Simone, gewissermaßen als kurz gefaßten Hauptgedanken seiner Arie, in das Schlußritornell hineinwirft. Der Darsteller Poggi vereinigte mit einer angenehmen, gut ausgebildeten Baßstimme ein ergötzliches, von Übertreibung freies Spiel und war der Liebling der Kenner34.

      Die Partie der Zofe Ninetta kann nur für die Bernasconi bestimmt gewesen sein, die als Sandrina in Piccinnis "Buona figliuola" und in Sacchinis "Contadina in corte" großen Anklang gefunden hatte35. Auch hier ist Mozart weit hinter der Beweglichkeit und Munterkeit seiner italienischen Vorbilder zurückgeblieben: drei Arien Ninettas, Nr. 12 und die beiden Fassungen von Nr. 23, von denen die ältere auch die bessere ist, tragen ganz oder teilweise Menuettcharakter, dabei macht sich allerdings der für die Wiener opera buffa charakteristische Einfluß der Wiener Liedmusik und der französischen opéra comique geltend. Das gelungenste Stück Ninettas ist das frische und anmutige Liedchen Nr. 12, wenn auch freilich sein leichtgeschürzter Anfang seit Pergolesis "Serva" zum eisernen Bestand der italienischen Buffonistik gehört36.

      Giacinta gehört zu jenen für unseren Geschmack unmöglichen, halbernsten Figuren, die nur dazu vorhanden zu sein scheinen, gleich den Steinen im Brettspiel je nach Bedürfnis zwischen den Parteien hin und her geschoben zu werden. In ihren beiden ersten Arien zeichnet sie nach beliebter Buffositte das Bild ihres Zukünftigen (Nr. 3, 14):

       Marito io vorrei, ma senza fatica,

       averlo, se commoda, lasciarlo, se intrica

      heißt es das erste Mal; der Mann soll sein

       un uomo d'ingegno,

       ma fatto di legno.

      Der Dichter stellt sie hier dem ungestüm werbenden Fracasso gegenüber als eine ruheselige, allen plötzlichen Aufregungen abholde Natur hin. Der Komponist dagegen schlägt einen halb schalkhaften, halb empfindsamen Ton an, und nicht viel besser steht es mit der etwas aufgeweckteren zweiten Arie; von einer schärferen Charakteristik ist auch hier kaum eine Spur vorhanden. In der dritten Arie (24) aber, wo sie nach der abgekarteten Flucht ihre Angst zum Ausdruck bringt, betritt sie das Gebiet des tragischen Pathos. Jahn und Deiters sprechen hier37 von einer beabsichtigten Karikatur. Ist dem aber so, so ist Mozart erheblich hinter seiner Aufgabe zurückgeblieben, denn das damalige Publikum war in solchen Fällen von den italienischen Buffokomponisten ganz andere Schreckensbilder gewöhnt.


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