Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
das in wichtigen Punkten bereits die Eigenart des reifen Meisters vorwegnimmt. Die Tonart c-Moll, das unheimlich sich aufbäumende Anfangsmotiv38:
der zäh festgehaltene Mollcharakter, der nur flüchtig durch kurze Durwendungen erhellt wird – das alles sind Mittel, deren sich Mozart später zum Ausdruck des Unheimlichen, Wildleidenschaftlichen bedient. Ihrer ganzen Anlage nach war die Partie der Giacinta der Sängerin Eberhardi zugedacht, die Sonnenfels wegen ihres angenehmen Kontraalts lobt; freilich sei ihr Triller nicht ohne Tadel und ihr Spiel von Künstelei nicht frei gewesen39.
Die Partie des Fracasso hat dem Komponisten, offenbar unter dem Drucke des Sängers Laschi, am meisten Mühe gemacht, denn seine erste Arie (5) mußte er ganz, von seiner dritten (25) den Mittelteil neu komponieren. Laschi war zwar von Hause aus Tenorbuffo, spielte aber auch Liebhaberrollen, und hier störte der Verlust einiger Töne in seiner Stimme, der mitunter häßlich wirkte und durch Versetzen einzelner Töne und Koloraturen nur mühsam gedeckt wurde40. Alle Arien Fracassos nähern sich in Form und Charakter dem seriösen Stil, in Nr. 5 ist an Stelle der ersten, buffomäßigen Fassung41 ein recht steifleinenes Stück getreten, wie denn überhaupt von dem einzigen hervorstechenden Zug dieser Figur, ihrem soldatischen Draufgängertum, in der Musik fast kaum eine Spur mehr übrig geblieben ist.
Besondere Sorgfalt hat Mozart auf die Partie der Titelheldin Rosina verwandt. Mit ihr gedachte er sein Bestes zu geben und hat sich deshalb auch besonders angelegentlich in dem reichen Schatz seiner Opernerinnerungen nach zugkräftigen Vorbildern umgesehen. Sie sollte offenbar von Clementine Baglioni gesungen werden, "deren Stimme Silberklang war, so geläufig als man es nur fordern kann, und schön verflösset"; sie sang "nicht verwegen, aber richtig; ihre Geberde war, wenn sie wollte, anständig, frei"42.
Schon mit ihrer ersten, liedmäßig gehaltenen Arie (6) führt sie sich in der liebenswürdigen und herzlichen Art Piccinnis ein, wirksam unterstützt von Flöten und Streichorchester, in dem die geteilten Bratschen häufig mit den Geigen in der Oktave mitgehen. Dagegen trägt das pikante Echostück ihrer zweiten Arie (9) nicht nur in der Instrumentation (Streicher, Corni inglesi, Corni di Caccia und Solooboe), sondern auch in der ganzen weichen Melodik die unverkennbaren Züge Chr. Bachs; bei dem bis in die Koloratur hinein durchgeführten Echospiel der Solooboe mag auch noch die Erinnerung an Glucks "Orfeo" mitgewirkt haben. Der zweite Teil der Arie (Allegro grazioso) fällt allerdings daraufhin ziemlich ab. Das Glanzstück der Oper aber ist die zweiteilige Arie an die "amoretti" (15). Auch hier trägt die Instrumentation Ausnahmecharakter (Streicher mit korrespondierenden Bratschen und Fagotten!), aber auch der Gesang ist freier und edler geführt und offenbart an einigen Stellen den späteren Mozartschen Ausdruck. Freilich hat auch hier dem Knaben sein verehrter Meister Bach über die Schulter gesehen. Überhaupt bewegt sich das Stück mit seinem lieblich-erotischen Gepräge auf einem der italienischen Oper besonders vertrauten Boden, auch atmen seine zahlreichen Seufzer und Ornamente echten Rokokogeist. Aber es war nicht allein Mozarts erste bedeutende Leistung auf diesem Gebiete, sondern er hat ihr auch Züge seines eigenen Geistes einzuhauchen vermocht. Dazu gehört vor allem die Rückkehr nach E-Dur gegen den Schluß mit ihrer schwellenden Sehnsucht – alles in allem hätte ein Stück wie dieses manchem reifen Meister Ehre gemacht. Dagegen ist Mozart in Rosinas vierter Arie (18) seiner Aufgabe, eben die "verstellte Einfalt" zu schildern, so gut wie alles schuldig geblieben; solchen Aufgaben war das seelische Fassungsvermögen des Knaben nicht gewachsen.
Ihrer Form nach sind diese Arien entweder einfache zweiteilige Lieder in Kavatinenart oder sie folgen einer damals besonders beliebten zweiteiligen Arienform, deren Teile wiederum in einzelne, nach Takt und Tempo verschiedene Abschnitte zerfallen. Nur die Arien des Fracasso zeigen die dreiteilige Form der seriösen Arie, allerdings mit moderner Verkürzung des da capos. Nach Art der großen italienischen Buffomeister neue Formen für den einzelnen Fall zu bilden, hat der junge Mozart begreiflicherweise nicht gewagt. In dem gleichfalls dreiteiligen Duett zwischen Cassandro und Fracasso (19), das eine ergötzliche Schilderung des von dem Alten so sehr gefürchteten Duells enthält, liegt der Schwerpunkt im Orchester, das dem Cassandro mit seinen sausenden Hieb- und Stoßmotiven unaufhörlich zusetzt.
Auch die drei Finales, die dem Gang der Handlung in mehreren, nach Takt und Tempo verschiedenen Abschnitten folgen, halten sich formell durchaus an das Hergebrachte: die Einheit der einzelnen Sätze wird entweder rondomäßig durch ein immer wiederkehrendes Hauptthema oder durch ein durchlaufendes plastisches Orchestermotiv hergestellt; im ersten und zweiten Finale greift Mozart nach Piccinnischem Vorbilde in späteren Sätzen auf die Gedanken der vorhergehenden zurück. Von dem dramatischen Leben der italienischen Finales ist freilich kaum eine Spur vorhanden; gerade die entscheidenden Wendungen, wie die Flucht der beiden Mädchen im zweiten und die Lösung des Knotens im dritten, werden im Tone harmloser Heiterkeit, ohne jede Spannung, erledigt. Am schwächsten ist wiederum der gesangliche Teil weggekommen: einzelne Sätze erinnern sogar noch an das Kindheitsstadium der ganzen Gattung, wo die Melodie ohne Rücksicht auf die Charakteristik einfach auf die verschiedenen Stimmen nacheinander verteilt wurde. Aber auch da, wo Mozart genau seinem Texte folgt, verbraucht er zwar eine Menge von Motiven, vermag aber trotzdem keine packende Wirkung zu erzielen. Nur bei dem furchtsamen und weinerlichen Polidoro finden sich in allen drei Finales wenigstens Ansätze zu einer schärferen Charakteristik. Die letzten Sätze der Finales sowie die "introduzione" (Nr. 1) sind nach italienischem Brauch homophone Liedsätze heiteren Charakters.
Als Ganzes genommen ist diese erste Oper Mozarts somit ein dramatischer Fehlschlag, den man durch ehrende Vergleiche mit den reifen Werken lieber nicht vertuschen sollte. Mozart war für eine solche Aufgabe damals einfach innerlich noch nicht reif, und wenn er deshalb weit hinter seinen Mitbewerbern zurückblieb, so ist das nur ein Beweis für seine gesunde und natürliche Entwicklung. Erstaunlich ist nur wiederum die Fähigkeit des Knaben, sich dem Buffostil anzupassen. Er kennt hier schon die meisten seiner Eigentümlichkeiten, vom Volkstümlichen bis zum Derbrealistischen, er kennt ihren Gesangs- und besonders auch ihren Instrumentalstil. Freilich ahmt er vorerst nur die äußeren Erscheinungsformen nach, der eigentliche Buffogeist bleibt ihm noch verschlossen, und darum stellt sich auch die schlagende Wirkung der Italiener bei ihm nicht ein. Endlich wirken auch die zahlreichen Anregungen nach, die sich gerade in Wien einem Buffokomponisten darboten: der Wiener Lieder- und Singspielton, die französische Opéra comique und am stärksten die durch die Blüte des Wiener Instrumentalstils bedingte selbständige Führung des Orchesters. Das war zugleich das Gebiet, auf dem Mozart damals am meisten beschlagen war, während die Behandlung der Singstimmen größtenteils noch unfrei, ungesangsmäßig und damit auch unwirksam ist43. Die Ouvertüre zeigt einen erheblichen Fortschritt, und zwar allein schon der D-Dur-Sinfonie vom 16. Januar 1768 (K.-V. 45) gegenüber44, mit der sie Themen und Verarbeitung bis auf das weggelassene Menuett gemein hat. Aber das instrumentale Gewand des Stückes ist weit reicher geworden, und, was das wichtigste ist, die hinzugefügten Bläser dienen nicht bloß zur Verstärkung, sondern reden mitunter eine ganz selbständige Sprache und führen Klangwirkungen herbei, die die alten Gedanken in ein ganz neues Licht setzen (vgl. z.B. die Schlußgruppe des ersten Satzes).
In der handschriftlichen Partitur sind die Veränderungen, die Mozart auf Wunsch der Sänger anbringen mußte, deutlich erkennbar. Aber auch Leopolds Hand hat wieder mitgewirkt: Tempo- und Vortragsbezeichnungen sowie die Angabe der Personen und Instrumente stammen fast allenthalben von ihr. Sicher war aber der väterliche Einfluß nicht auf Äußerlichkeiten beschränkt; handelte es sich doch um ein Wolfgang bisher ziemlich fremdes Gebiet. Näheres läßt sich freilich nicht mehr nachweisen.
Einigermaßen wurde L. Mozart für die mit dieser Oper verknüpften Enttäuschungen durch einen von anderer Seite kommenden Auftrag entschädigt. Die Mozarts waren nämlich in Wien mit dem nachmals so berühmten Magnetiseur Dr. Anton Mesmer45 bekannt geworden, der durch eine reiche Frau in gute Verhältnisse gekommen war und in seinem glänzend eingerichteten Hause auf der "Landstraße" eine Menge gebildeter Leute, darunter auch Heufeld, gastfrei um sich versammelte. Er war musikalisch, hatte sich in seinem Garten ein Theater eingerichtet und ließ hier nunmehr ein kleines von