Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
ließ dabei eine Oper nach der anderen einstudieren, und so oft ihm L. Mozart den Befehl abzwang, die Oper zu kopieren und zu probieren, wurde er heimlich widerrufen. Durch den Einfluß des Hofes – denn der Kaiser fragte bei verschiedenen Gelegenheiten Wolfgang, wie weit er mit der Oper sei – war nichts zu erreichen, weil Affligio ihm gegenüber eine vollständig unabhängige Stellung hatte. Er hatte das Theater in Pacht und mußte alle Kosten tragen, auch dem Kaiser und der kaiserlichen Familie freien Eintritt geben. Affligio hatte dem Adel und namentlich dem Fürsten Kaunitz versprochen, das im Jahr 1766 abgeschaffte französische Schauspiel wieder einzuführen und tat dies im Jahr 1768. Nun wollte man wissen, wie L. Mozart erzählt, daß er bei dem französischen Schauspiel, das 70000 Gulden koste, erheblichen Schaden leide, der Fürst Kaunitz aber, der ihm wider Wissen und Willen des Kaisers diese Bedingung auferlegt habe, sei mit einem Versuch, den Kaiser zu einer Beteiligung an den Kosten des französischen Schauspiels zu bestimmen, gescheitert. Bei so gespannten Verhältnissen konnte daher auf diesem Wege nicht auf Affligio eingewirkt werden, und L. Mozart blieb nichts übrig, als Schritt für Schritt dessen Ausflüchte zu beseitigen. Als dieser endlich keinen Ausweg mehr hatte, erklärte er L. Mozart, er werde die Oper geben, wenn er darauf bestehe, aber nicht zu seiner Freude; denn er werde dafür sorgen, daß sie durchfalle und ausgepfiffen werde. Nach diesem Versprechen, das sicher gehalten worden wäre, blieb nichts anderes übrig, als auf die Aufführung der Oper zu verzichten. L. Mozart reichte, um seine Ehre zu retten, beim Kaiser am 21. September eine Klageschrift gegen Affligio ein, und der Hof- und Kammer-Musikdirektor Graf Joh. Wenzel Spork, ein eifriger Musikfreund, wurde mit der Untersuchung beauftragt; allein daß sie keinen Erfolg haben würde, ließ sich voraussehen.
Drei Vierteljahre war die Angelegenheit hingeschleppt worden, und L. Mozart hatte mit seiner Familie die ganze Zeit über in Wien fast allein von den Ersparnissen der früheren Reise leben müssen. Seine dortigen Einnahmen waren geringfügig, und das Gehalt, das er in Salzburg als Instruktor in der Violine im fürstlichen Kapellhause und als erster Geiger erhielt, hatte man seit dem März d.J. mit der Bemerkung eingezogen, er könne ausbleiben, solange es ihm beliebe, nur bezahlt würde er während seiner Abwesenheit nicht werden. Er war zu stolz, um durch den Einfluß seines Gönners, des Grafen Schrattenbach, des Bruders des Erzbischofs, sich die Weiterzahlung eines Gehalts zu erbetteln, das er "nach dem gewissesten Ausspruche der meisten dasigen Hofleute" nicht verdiente. Allein er mußte sich seine dortige Stellung wenigstens für die Zukunft erhalten, und ein "bruit" schien selbst diese in Zweifel zu stellen; scheute man sich doch auch nicht, von dem großen Gewinne in Wien zu reden, da Wolfgang für die Oper 2000 Gulden erhalte. Er sucht sich vor dem Erzbischof zu rechtfertigen, indem er darauf hinweist, daß er das treulose Verfahren Affligios nicht hätte voraussehen können, nun aber gezwungen sei, die Aufführung der Oper in Wien durchzusetzen, da sie als eine opera buffa durchaus auf die dortigen Verhältnisse und Kräfte berechnet sei; wäre es eine opera seria, so würde sie Wolfgang seinem gnädigsten Landesherrn zu Füßen legen und sich um Wien nicht weiter kümmern. Die Ehre des Erzbischofs selbst sei verpfändet, daß von ihm angestellte und empfohlene Künstler nicht "Lügner, Charlatane und Leutebetrüger seien, die mit gnädigster Erlaubnis an fremde Orte gehen, um den Leuten gleich Taschenspielern einen blauen Dunst vor die Augen zu machen"; er müsse alles an seines Sohnes Rechtfertigung setzen, weil es die ihres Fürsten sei, zumal vor Menschen, "die, weil sie die Luft einer Stadt einschluckten, wo der Sitz des Kaisers ist, Leute, welche auswärtigen Fürsten dienen, mit Verachtung anschauen und von auswärtigen Fürsten höhnisch und niederträchtig sprechen". Ja, er hält sich als Christ verpflichtet, die Ungläubigen durch ein so sichtbares Wunder, welches Gott in Salzburg habe lassen geboren werden, zu überzeugen.
Wenn ich jemals schuldig bin, die Welt dieses Wunders halber zu überzeugen, so ist es eben jetzt, da man Alles was nur ein Wunder heißt, lächerlich machet und allen Wundern widerspricht. Man muß sie demnach überzeugen; und war es nicht eine große Freude und ein großer Sieg für mich, da ich einen Voltairianer (Grimm) mit einem Erstaunen zu mir sagen hörte: Nun habe ich einmal in meinem Leben ein Wunder gesehen; das ist das erste. Weil nun aber dieses Wunder zu sichtbarlich und folglich nicht zu widersprechen ist, so will man es unterdrücken. Man will Gott die Ehre nicht lassen. Man denkt, es kommt nur noch auf einige Jahre an, alsdann verfällt es ins Natürliche und hört auf ein Wunder Gottes zu sein. Man will es demnach den Augen der Welt entziehen; und wie würde es sichtbarer als in einer großen volkreichen Stadt durch ein öffentliches Spektakel?
Diese Worte waren ganz augenscheinlich auf die bigotte Frömmigkeit des Erzbischofs berechnet.
Alle Widerwärtigkeiten vermochten L. Mozart indessen von seinem Hauptziel nicht abzubringen, dem in letzter Linie auch Wolfgangs Oper dienen sollte. Nach wie vor betrachtete er den Wiener Aufenthalt nur als eine Station auf dem Wege nach Italien. Schon im Mai 1768 schreibt er an Hagenauer23:
Es ist dieses dasjenige, was mir meine Erlaubniß zur Reise nach Italien erleichtert, eine Reise, die, wenn man alle Umstände in Erwägung zieht, nun nicht mehr kann verschoben werden und dazu ich vom Kaiser selbst allen Vorschub nach Florenz in alle kaiserl. Staaten und nach Neapel habe. Oder sollte ich vielleicht in Salzburg sitzen, in leerer Hoffnung nach einem bessern Glücke seufzen, den Wolfgang groß werden und mich und meine Kinder bey der Nase herumführen lassen, bis ich zu Jahren komme, die mich eine Reise zu machen verhindern, und bis der Wolfgang in die Jahre und denjenigen Wachstum kommt, die seinen Verdiensten die Bewunderung entziehen? Soll mein Kind durch die opera in Wien den ersten Schritt umsonst getan haben und nicht auf dem einmal so breit gebahnten Wege mit starken Schritten forteilen?
Und am 30. Juli klagt er24:
Sehen Sie, wie man sich in der Welt durchraufen muß; hat der Mensch kein Talent, so ist er unglücklich genug; hat er Talent, so verfolget ihn der Neid nach dem Maße seiner Geschicklichkeit ... Alle vernünftigen Menschen müssen mit Scham bemerken, daß es eine Schande für unsere Nation ist, daß wir Teutsche einen Teutschen zu unterdrücken suchen, dem fremde Nationen durch die größte Bewunderung, ja durch öffentliche Schriften haben Gerechtigkeit widerfahren lassen. Allein mit Geduld und Standhaftigkeit muß man die Leute überzeugen, daß die Widersacher boshafte Lügner, Verleumder und neidische Kreaturen sind.
Ein Blick auf die Finta semplice selbst (K.-V. 51, S.V. 4) lehrt freilich, daß man um des zwölfjährigen Wolfgangs willen mit dem Lobe wieder einmal allzu freigebig war, und zwar von L. Mozart an bis zu Jahn und Deiters. Das Urteil, die Oper sei nicht allein ebenso gut, sondern noch besser als die meisten ihresgleichen damals, konnte nur fällen, wer in die Geschichte der Opera buffa noch keinen genügenden Einblick hatte. In einem besonderen Zusammenhang wird noch zu zeigen sein, daß Mozart erst mit der "Finta giardiniera" als ernsthafter, wenn auch ebenfalls noch nicht ebenbürtiger Mitbewerber in die Reihe der Buffokomponisten eingetreten ist. Das ältere Werk mag dagegen als bloßer Schulversuch bereits hier besprochen werden.
Coltellinis Text vertritt den Durchschnitt einer bestimmten Gattung der damaligen komischen Librettistik. Handlung und Charaktere halten sich an wohlbekannte Typen. Zwei reiche Hagestolze, der aufgeblasene und wenigstens in der Theorie höchst weiberfeindliche Cassandro und der furchtsame, blöde und verliebte Polidoro beherbergen in ihrem Hause einen ungarischen Offizier, Fracasso, der mit der Schwester der beiden Alten, der schönen Giacinta, ein Liebesverhältnis angeknüpft hat. Neben diesem geht nach altem Buffobrauch ein Techtelmechtel zwischen Fracassos Diener Simone und Giacintas Zofe Ninetta her. Aber auch Fracasso hat eine Schwester, die schlaue Rosina, und da Cassandro und Polidoro von Fracassos und Giacintas Liebe nichts wissen wollen, so soll sie auf Ninettas Rat die beiden Brüder in sich verliebt machen, um ihre Einwilligung für die beiden anderen Liebespaare zu gewinnen. Sie tritt als "verstellte Einfalt"25 auf und hat natürlich beide sehr bald in ihren Netzen. Die hiebei entstehenden Verwicklungen von unverfälschtem, burleskem Buffocharakter bilden den Hauptinhalt der Oper. Schließlich wird den beiden Alten weisgemacht, Giacinta und Ninetta seien mit allen Kostbarkeiten des Hauses entflohen, worauf jene die Hand ihrer Schwester dem versprechen, der sie wieder bringe. Fracasso und Simone sind die Glücklichen, und Rosina, die Cassandro bereits ihre Hand gegeben hat, klärt ihre List zu großem Erstaunen der Brüder unter allgemeiner Heiterkeit