Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
aufführen46.
Das Werk geht auf J.J. Rousseaus Intermezzo "Le devin du village" zurück, über dessen Entstehung er im achten Buch seiner "Confessions" berichtet47. Seine Absicht dabei war, seinen Landsleuten ein Gegenstück zu den italienischen Buffo-Intermezzi zu schenken, die seit dem Gastspiel der Buffonisten im Jahre 1752 in Paris den bekannten Streit über den Wert der italienischen und französischen Musik hervorgerufen hatten. Während eines Aufenthaltes in Passy wurde der Entschluß gefaßt, und schon nach sechs Wochen lag das ganze Stück fertig vor48. Bei einer Privatprobe bei dem bekannten französischen Historiographen Duclos erregte das Werk großes Aufsehen, und der Intendant "des menus plaisirs", de Cury, setzte schließlich die Aufführung bei Hofe durch. Zweimal, am 18. und 24. Oktober 1752, wurde der "Devin" in Fontainebleau vor dem König aufgeführt, Mlle. Fel und Mr. Jelyotte sangen Colette und Colin. Der Eindruck war sehr groß. Dann folgte am 1. März 1753 die öffentliche Aufführung durch die "Académie Royale de musique" in Paris, ebenfalls mit glänzendem Erfolg49. Vom König an, der "mit der schlechtesten Stimme seines Königreiches" den ganzen Tag sang: "j'ai perdu mon serviteur", hatte alle Welt Rousseaus Melodien im Munde. Noch 1774 wurde das Werk neben Glucks Orpheus beklatscht50, ja noch 1819 und 1821 zum Erstaunen deutscher Musiker mit dem größten Beifall gegeben und verschwand erst 1864 von der Bühne51. Die Handlung ist überaus einfach.
Colette, ein Landmädchen, ist trostlos, daß ihr Liebhaber Colin sie verlassen hat und sucht einen Wahrsager auf, der ihr raten und helfen soll. Er erklärt ihr, daß die Herrin des Gutes Colin in ihre Netze verstrickt habe, im Herzen aber liebe er sie noch und werde sie wieder aufsuchen, dann müsse sie ihn aber durch verstellten Kaltsinn strafen und seine Liebe neu anfeuern; sie verspricht es. Colin tritt dann auf: er sei von seinem Wahn geheilt und kehre zu seiner Colette zurück. Als der Wahrsager ihm erklärt, sie liebe nun einen anderen, fleht er ihn um Hilfe an; dieser verspricht durch einen Zauber Colette herbeizurufen, dann möge er selbst sein Heil bei ihr versuchen. Colette erscheint und spielt mit Mühe die Spröde; als er sich darauf verzweiflungsvoll entfernt, ruft sie ihn zurück, es erfolgt die Versöhnung und erneuerte Versicherung der Liebe und Treue. Der Wahrsager holt sich seinen Dank und Lohn, und an dem Glück der Liebenden, das sich in verschiedenen Couplets ausspricht, nehmen die versammelten Landleute teil.
Der ungeheure Erfolg des Stückes hatte seinen guten Grund. Auch in ihm weht ein Hauch jenes revolutionären Geistes, der zwei Jahre zuvor den ersten jener berühmten "Discours" ins Leben gerufen hatte, wenn auch nicht zu leugnen ist, daß diese ganze Hirtenwelt an der geschmähten Gesellschaftskultur noch ihren reichlichen Anteil hat. Trotzdem bot das Werk genug des Neuen, es hielt sich von dem rhetorischen Pathos der französischen tragédie lyrique ebenso fern, wie von dem stets zur Karikatur neigenden Wesen der italienischen Buffokunst: beides widersprach für Rousseaus Gefühl dem Grundsatz des Natürlichen. So ist sein Dorfwahrsager ein pastorales Idyll geworden, das nach seiner eigenen späteren Erklärung52 unter Hirten spielt und auch seine Musik deren einfachen Sitten anzupassen hat. Die Lieder aber, die diese Hirten singen, sind allen italienischen Einflüssen zum Trotz in der Hauptsache durchaus national-französisch, und Rousseau hat die natürliche Grazie und das eigentümliche rhythmische Leben dieser Volkskunst ganz ausgezeichnet nachzubilden verstanden53. Und dasselbe ist mit den Rezitativen der Fall54, für deren Vortrag Rousseau dem Sänger die genauesten Anweisungen gibt. Auch hier vermeidet er sowohl das Pathos der ernsten Oper als die Flüchtigkeit des italienischen Seccos; sein Rezitativ gibt die Textworte in richtiger, affektvoller und dabei stets natürlicher Deklamation wieder.
Rousseaus Werk war zwar nur der glückliche Wurf eines hochbegabten Dilettanten55, aber seine geschichtliche Bedeutung ist darum kaum minder groß als der Beifall, den ihm die Zeitgenossen spendeten56. Vor allem ist es der aufstrebenden komischen Oper der Franzosen ein mächtiger Bundesgenosse geworden; schon allein Titel wie "Rose et Colas", "Annette et Lubin" usw. liefern den Beweis. Es war darum kein Wunder, wenn sich auch die Parodie seiner binnen kurzem bemächtigte. Das war im damaligen Paris das sicherste Zeichen für den Erfolg eines Werkes, und zwar griff die Parodie meist weit über den Rahmen der Satire hinaus und brachte im Anschluß an das Original ähnliche Texte auf beliebte Melodien in humoristischer, gelegentlich auch mit Anspielungen auf Tagesereignisse gewürzter Art. Die eigentliche Stätte dieser Stücke war die Comédie italienne, wo im Laufe der Zeit jeder bedeutende Erfolg der Académie Royale seinen parodistischen Widerhall fand. So erschien bereits am 26. September 1753 im Theater "aux Italiens" eine Parodie des Rousseauschen Stückes unter dem Titel "Les Amours de Bastien et Bastienne57". Sie war verfaßt von Harny58 und der beliebten, ebenso anmutigen wie geistreichen Sängerin und Schauspielerin Mad. Favart. Die Parodie bestand darin, daß man Rousseau gewissermaßen noch übertrumpfte und seine noch ziemlich arkadisch und sentimental angehauchten ländlichen Gestalten zu wirklichen Bauern machte, die in ihrem Patois entsprechende Empfindungen ausdrückten; alles geht in voller Natürlichkeit derb und behaglich zu. Mad. Favart selbst, die mit dieser Rolle ihren Ruhm begründete59, trat im leinenen Bauernkleid, mit bloßen Armen und in Holzpantoffeln auf, was durch seine Neuheit die Kritik stark erregte, aber beim Publikum großen Anklang fand. Sie ist in diesem Kostüm sogar gemalt und von ihrem Freund, dem Abbé Voisenon, in schwülstigen Versen verherrlicht worden. Die Parodie verrät entschieden Geschmack, Geschick und Sinn für dramatische Charakteristik. Die einzelnen Nummern wurden, wie stets, auf beliebte Melodien gesungen. Bei Rousseau beginnt z.B. die erste Arie der Colette mit den empfindsamen Worten "J'ai perdu tout mon bonheur", die handfestere Bastienne singt statt dessen "J'ai perdu mon ami", aber auf die damals beliebte Melodie eines Liedes "J'ai perdu mon âne"; das Beispiel mag genügen, um Wesen und Absicht dieser Parodie zu kennzeichnen.
Im Jahre 1764 fand sie in Fr. W. Weiskern einen deutschen Übersetzer60, und dessen hie und da geänderten Text komponierte Mozart61. Darin ist ein fortlaufender Dialog hergestellt, der durch einzelne Arien und Duette an der geeigneten Stelle unterbrochen wird. Diese Musikstücke (elf Arien, drei Duette und ein Terzett) entsprechen nicht immer denen in Rousseaus Oper, die wohl der Bearbeiter gar nicht gekannt hat; manche Arien haben mehrere Verse, von denen Mozart nur den ersten untergesetzt hat. Die französische Parodie ist hier unfreiwillig aufs ungeschickteste travestiert, wofür die erste Arie in den verschiedenen Formen den Beleg geben mag.
Rousseau.
J'ai perdu tout mon bonheur;
J'ai perdu mon serviteur;
Colin me délaisse.
Hélas! il a pu changer!
Je voudrois n'y plus songer:
J'y songe sans cesse.
Mad. Favart.
(Air: J'ai perdu mon âne)
J'ons pardu mon ami!
Depis c'tems-là j'nons point dormi,
Je n'vivons pû qu'à d'mi.
J'ons pardu mon ami,
J'en ons le coeur tout transi,
Je m'meurs de souci.
Weiskern.
Mein liebster Freund hat mich verlassen,
Mit ihm ist Schlaf und Ruh dahin;
Ich weiß vor Leid mich nicht zu fassen,
Der Kummer schwächt mir Aug' und Sinn.
Vor Gram und Schmerz
Erstarrt das Herz,
Und diese Not
Bringt mir den Tod.
Vers und Ausdruck sind mit Wiener Dialektausdrücken durchsetzt und ziemlich unbeholfen und platt;
Bastienne singt: