Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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der Wiener Kunst tritt bei demselben Meister hervor: die an Scarlatti anknüpfende Lust am Konzertieren, die noch in Haydns ersten Sinfonien deutlich nachwirkt. Das Wichtigste aber war das allmähliche Eindringen der österreichischen Volksmusik in die Sinfonie. An und für sich war ja, wie das Beispiel Coreliis, Bachs und Händels lehrt, eine solche Verschmelzung von volkstümlicher und hoher Kunst nichts Neues, neu aber war die eigentümliche Energie, mit der sie in Wien, der klassischen Heimat der Volkskunst, durchgeführt wurde. Die Blüte der Serenadenmusik und der neue Geist, der mit J. Haydn auch in die Sinfonie einzog, waren ihre wichtigsten geschichtlichen Folgen. Natürlich vollzog sich die Entwicklung weder mit einem Schlage, noch auch in gerader Linie. Der italienische Ouvertürenton klingt uns noch aus den ersten Haydnschen Sinfonien, zum Teil vernehmlich genug, entgegen, am stärksten wirkt er in den Werken von G. Reutter (1708–1772) nach. Die hauptsächlichsten vorklassischen Vertreter der Wiener Schule sind G.M. Monn (1717–1750), G. Chr. Wagenseil (1715–1777) und Jos. Starzer (1726 bis 1787). Eine D-Dur-Sinfonie von Monn aus dem Jahre 1740 bringt als erstes uns bekanntes Beispiel zwischen dem zweiten und dem Schlußsatz ein Menuett, ohne daß freilich die Viersätzigkeit damit in Wien gleich zur Regel geworden wäre. Selbst Haydn hat in seinen ersten Sinfonien noch geschwankt. Wichtiger aber als die Frage ob das Menuett in Wien oder in Mannheim zuerst in die Sinfonie eingefügt wurde76, ist die schon bei Monn stark hervortretende, von Wagenseil zum Grundsatz erhobene Neigung, in den ersten Allegros die Reprise vollständig, ohne Verkürzung, zu gestalten, und damit die stark betonte Dreiteiligkeit des ersten Satzes. Auch der Gegensatz von Haupt- und Seitenthema ist bereits vorhanden, nur tragen die Seitenthemen noch keinen Gesangscharakter, sondern sind meist kurzatmige, oft imitatorisch behandelte Gebilde, die in ihrem Pianocharakter und ihrer schwächeren Besetzung noch deutlich auf das alte Konzert hinweisen. Im allgemeinen ist Monn ein merkwürdig halbschüriges Talent. Konservativ im guten Sinn ist seine geist- und lebensvolle Fugenarbeit77, im schlimmen Sinn sein ausgesprochenes Italienertum in den Allegrothemen und seine altväterischen, von Schematismus nicht freien Durchführungen. Fortschrittlichen Geist atmen dagegen z.B. die kecken, volkstümlichen Themen seiner Schlußsätze und von seinen langsamen besonders die als Einleitung gedachten Adagios. Aus diesen, zum Teil harmonisch ganz außerordentlich kühnen Sätzen spricht entschieden ein Stürmer und Dränger, sie schlagen die Brücke von den Graves der alten französischen Ouvertüre zu den tiefsinnigen Einleitungen J. Haydns hinüber. Auch ein Zug zum Dramatischen fehlt nicht, er hat sogar bisweilen schon zu der für Haydn und Beethoven wichtigen Einführung des Instrumentalrezitativs geführt78.

      Wagenseils Verdienste um die Weiterentwicklung der Sinfonie bestehen außer der schon genannten endgültigen Feststellung der Dreiteiligkeit des ersten Satzes in einer Verstärkung des volkstümlichen Geistes und namentlich in einer sorgfältigeren, manchmal bereits thematischen Durchführungsarbeit. Auch bei ihm müssen sich die Italianismen mit fortschrittlichen Zügen in die Herrschaft teilen: er liebt Überraschungen und Kontraste aller Art, in Dynamik, Satzart, Periodenbau und besonders im Wechsel der beiden Tongeschlechter und hat gerade hiermit besonders stark sowohl auf Haydn wie auf Mozart gewirkt79. Jos. Starzer endlich kennen wir leider nur aus seinen Quartetten ("Divertimenti" genannt) und Ballettmusiken, seine Sinfonien sind verloren. Seine Ballette, besonders die tragischen Noverrischer Richtung, zeigen ihn an Schlagkraft und Realismus des Ausdrucks allen seinen Mitbewerbern überlegen80, und die Geschichte der älteren Programmusik wird sich mit ihm eingehender zu beschäftigen haben als dies bisher geschehen ist. Auch die Quartette lassen einen erheblich über den Durchschnitt hervorragenden Musiker erkennen, der die Form mit genialer Freiheit behandelt und sich auch in seiner Empfindungswelt, namentlich wo es sich um Schwärmerei oder Wehmut handelt, mehr als einmal mit Mozart berührt81.

      Auch von J. Haydn selbst lagen 1769 schon über drei Dutzend Sinfonien vor, die hier natürlich nur ganz kurz besprochen werden können82. Haydn ist, ganz anders als Mozart und ähnlich wie Gluck und Beethoven, erst als reifer Meister an sein späteres Hauptgebiet herangetreten83, überragt aber dafür gleich mit diesen Beiträgen alle seine Vorgänger und Mitbewerber um Haupteslänge. Er faßt hier alle ihre Errungenschaften zusammen: die formale Gestaltung, namentlich des ersten Satzes, die Neigung zu kontrapunktischer Schreibart und zum Konzertieren, die hier, von modernem Geiste durchdrungen, bereits vollendete Früchte aufzuweisen hat, aber auch den Zug zur Volkstümlichkeit und Gemeinverständlichkeit der Gedanken. Daneben tritt in der thematischen Arbeit der Durchführungen, überhaupt in dem Streben nach thematischer Einheit, der Einfluß Ph. E. Bachs zutage, während vom Mannheimer Geist Haydn unter den Klassikern am wenigsten berührt ist. Das Größte an diesen Werken ist aber die hinter ihnen stehende, überragende Persönlichkeit. Sie hat hier noch etwas stark Jugendliches und Ungebändigtes, das sich schon äußerlich in dem programmatischen Charakter einzelner Sinfonien und ihrer kühn realistischen Ausführung offenbart. Aber auch die echt süddeutsche Freude am bunten Wechsel der Erscheinungen legt Zeugnis dafür ab. Es gibt kaum ein Gebiet, das die Phantasie des Künstlers unberührt ließe: wilde Phantastik steht neben derber Volkstümlichkeit, stille Träumerei neben funkelndem Witz, düstere Seelenmalerei neben traulichen Bildern aus Natur und Alltagsleben. Und doch waltet über dieser ganzen Fülle bereits ein scharfer und klarer Kunstverstand. Er zeigt sich im großen in dem straffen Zusammenschluß der vier Sätze zu einer Stimmungseinheit, im kleinen aber in Zügen wie z.B. dem Beginn der Reprise des ersten Satzes von Nr. 24 in der Molltonart, die durch den leidenschaftlichen Charakter der vorausgehenden Durchführung trefflich begründet ist. Auch das flotte Wesen der Schlußsätze dämpft er gelegentlich durch einen Mollseitensatz nach Art der französischen Rondos84 ab. Endlich gehört der echt Haydnsche Witz der sog. Pseudoreprise, der schon hier erscheint, zu diesem überlegenen Spiel des Geistes: der Zuhörer wird in der Durchführung plötzlich durch den Eintritt des Hauptthemas überrascht und vermeint damit vor der Reprise zu stehen, bis der weitere Verlauf lehrt, daß ihn der Komponist nur gefoppt hat.

      So trat dem jungen Mozart in Wien eine ungleich höher entwickelte Sinfonik gegenüber als er sie bisher an Chr. Bachs Werken studiert und selbst gepflegt hatte, und es ist genußreich zu verfolgen, wie er sich ihr allmählich und nicht ohne Rückfälle ins Italienertum nähert. Zunächst zogen ihn ihre formalen Merkmale an, besonders die Einführung des Menuetts85. Es ist bezeichnend, daß seine Selbständigkeit in diesen Sätzen schon hier am deutlichsten zur Geltung kommt: Mozarts Menuette wahren den gemessenen, aristokratischen Charakter des alten Tanzes getreuer als die weit ungenierteren Haydnschen, sie steigern ihn aber durch einen Zusatz von Energie, die oft etwas Herausforderndes, ja geradezu Eigensinniges hat (vgl. K.-V. 43). Die Trios aber bringen von K.-V. 45 an nicht mehr eine Ergänzung86, sondern einen scharfen Gegensatz zum Haupttanz. Er zeigt sich vorerst freilich außer im allgemeinen Stimmungswechsel nur in der einfachen Streicherbesetzung; von den Haydnschen Bläseridyllen findet sich noch keine Spur, wie denn überhaupt Mozarts ganze Instrumentation sich im Vergleich mit dem reich entwickelten, konzertierenden Stil der Wiener noch ziemlich altmodisch ausnimmt. Auf den Wiener Einfluß deuten ferner die vollständigen Reprisen der ersten Sätze von K.-V. 45 und 48 hin, außerdem die Neigung, die Bratschen in der unteren Oktave mit den Geigen gehen zu lassen87, endlich melodische Züge, wie die flotten Themen der Finales und das marschartige Andante-Thema in K.-V. 4888. In den besonderen österreichischen Volkston im Stile Haydns hat sich Mozart allerdings erst nach und nach eingelebt; was bisher seiner Kunst an volkstümlichen Zügen anhaftete, stammte, wie gezeigt wurde, weit mehr aus südwestdeutscher als aus österreichischer Quelle89.

      Überhaupt hält das italienische Gut in diesen drei Werken den neuen Einflüssen noch ziemlich die Waage. Den lärmenden Prunk der Themen, ihren allgemeinen Charakter und ihre festliche Rhetorik ist Mozart noch lange nicht losgeworden; von der Wiener Kontrapunktik ist vollends kaum eine Spur vorhanden. Auch die Form schwankt noch; die Ecksätze von K.-V. 43 sind in ihrem Bau noch waschechte Abkömmlinge Chr. Bachs. Vor allem aber liefern die Durchführungen mit ihrem geringen Umfang und ihrer wenig ergiebigen Arbeit den Beweis dafür, daß Mozart in den Geist der Wiener Kunst noch keineswegs eingedrungen war.

      Durch dieses merkwürdige Gemisch von Altem und Neuem leuchtet aber in einzelnen Zügen doch wiederum Mozarts eigene Persönlichkeit hindurch. Es sind durchweg Züge, die über den Rahmen


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