Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
ist das g-Moll-Andante von K.-V. 22 ein bedeutendes Stück und in seiner Mischung gefaßten Ernstes und drängender Verzweiflung echt mozartisch; bei dem B-Dur-Einsatz des 16. Taktes glaubt man sich schon in die Stimmung des Andantes der großen g-Moll-Sinfonie versetzt56. Auch die Bläser reden hier eine beredtere Sprache: in dem Andante von K.-V. 16 weht aus dem Hornsatz
ein bekannter Gruß aus späterer Zeit herüber.
Ganz vereinzelt steht dagegen die B-Dur-Sinfonie K.-V. 17 in dieser Reihe. Sie ist viersätzig; ihr erster Satz entbehrt des Seitenthemas und spinnt sich im wesentlichen aus dem Hauptthema heraus, hat aber dafür eine volle Reprise. Auch will sein kräftiger Marschcharakter57 nicht zum Theaterton der übrigen passen, er weist vielmehr zusammen mit dem Menuett auf die Wiener Serenadenmusik hin58. Nach alledem ist es doch recht zweifelhaft, ob das Werk in London entstanden ist59 oder nicht vielmehr in der folgenden Wiener Zeit und dabei – worauf der unvollendete Zustand der Partitur hinweisen würde – schließlich liegen gelassen wurde. Merkwürdig rückschrittlich ist das Menuett, das mit seinem Festhalten am Grundmotiv und der thematischen Verwandtschaft zwischen Menuett und Trio60 an Mozarts älteste Stücke dieser Art erinnert61.
Fußnoten
1 An Frau v. Stein 10. Febr. 1787. Briefwechsel (Wahle) II 279.
2 Seiffert, Gesch. der Klaviermusik S. 419 ff.
3 Ph. Spitta, Bach II 629 ff.
4 Vgl. die Kirchhoffsche Sonate oben S. 27.
5 So durchweg in den Sonaten von Amandus Roffeld und von Krause; beide genügen der Sonate mit einem raschen oder langsamen Satz allgemeinen Charakters und verbinden mit ihm eine ganze Reihe von Tänzen. Aber auch noch Wagenseil bringt in einer A-Dur-Sonate eine vollständige viersätzige Suite alten Stils (vgl. Sammelband der Dresdener Bibliothek mus. c. Ch. 6 Nr. 6).
6 Das ist der Standpunkt z.B. des Dresdeners Chr. S. Binder. Auch Agrell läßt in seinen Sonaten op. 2 den drei regelmäßigen Sätzen noch eine "Aria" nebst Menuetten und Polonäsen folgen.
7 So bringt G.M. Rutini in einer F-Dur-Sonate ein Instrumentalrezitativ als Mittelsatz, und Wagenseil eröffnet die 11. Sonate der genannten Sammlung mit einer französischen Ouvertüre.
8 Dagegen kommt das ebenfalls der Suite geläufige Ausweichen in die Moll- und Durtonart derselben Stufe häufig vor.
9 Vgl. die treffliche Arbeit von R. Steglich im Bachjahrbuch 1915, S. 60 ff. und H. Jalowetz SIMG XII 419 ff. Eine ganz abweichende Darstellung der Genesis des modernen Stils bei F. Torrefranca RMI 1910, 276 ff.
10 Auch Friedemann Bach huldigt in seinen Klaviersonaten in C- und F-Dur diesem Grundsatz. Vgl. M. Falck, W. Fr. Bach 1913, S. 70 ff.
11 Es sind vier Sammlungen zu je sechs Divertimenti, die erste trägt das Datum 1753 und bringt eine für den Vortrag wichtige Vorrede.
12 Zweimal taucht auch die Form Allegro-Più Allegro-Menuetto auf, offenbar unter dem Einfluß der zweisätzigen "Essercizi" Scarlattis, denen hier noch ein Menuett angehängt wird.
13 Nur einmal (op. 2 Nr. 4) erscheint neben dem Menuett noch eine Polonäse als Mittelsatz; in op. 4 Nr. 5 ist den drei Sätzen noch eine "Ricercata" vorangeschickt.
14 WSF I 38.
15 Ein leicht zugängliches Beispiel bietet der zweite Satz in Galuppis A-Dur-Sonate in Pauers Alten Meistern des Klavierspiels II, S. 74 ff.
16 Diese Schlußthemen sind alle sehr knapp und häufig volkstümlich gehalten, harmonisch liegt ihnen gewöhnlich die Kadenz IV-V-I zugrunde.
17 Auch die Albertischen Bässe hat Mozart schon bei Wagenseil und nicht erst auf der Pariser Reise (WSF I 37 ff.) in Hülle und Fülle kennengelernt.
18 S. oben S. 12.
19 Meist tritt dieser Volkston in den Hauptthemen hervor, während die Seitenthemen figurativen Charakter tragen.
20 S. oben S. 11 ff.
21 Über ihn vgl. WSF I 41 ff. In Betracht kommen vor allem Eckardts "Six sonates pour le clavecin" von 1763.
22 Auf den Bachschen Einfluß weisen WSF mit Recht hin; die Notiz bei Gerber Neues Lex. II 16 über den "Versuch" ist zwar sicher ein Irrtum, deutet aber doch auf den Unterricht bei Bach hin.
23 Die Schlußphrase des ersten Satzes, die WSF als von Eckardt entlehnt bezeichnen, taucht an derselben Stelle schon in L. Mozarts A-Dur-Trio auf (Seiffert S. 58); sie gehört wohl zum Gemeingut der damaligen Zeit. Dagegen überrascht im 5.–8. Takt des Menuetts eine ausgesprochen Stamitzsche Wendung, die erste in Mozarts Werken.
24 Unter seinen Vorläufern sind die wichtigsten S. Bachs Sonaten für Violine, Gambe und Flöte mit Klavier und Rameaus "pièces de clavecin en concert". Von ihnen unterscheidet sich aber Schobert außer durch seinen moderneren Stil vor allem durch die herrschende Rolle des Klaviers, wenn man auch freilich nicht so weit gehen darf, die Streichinstrumente, wie dies tatsächlich bei Mozarts Pariser Sonaten der Fall ist, bloß als Zusatz "ad libitum" zu behandeln. Vgl. H. Riemann a.a.O. S. VIII f.
25 Riemann S. XV.
26 WSF I 73.
27 Das bezieht sich nur auf den Stimmungsumschlag innerhalb der einzelnen Themen. Die Gegensätze selbst waren natürlich auch der älteren Kunst bekannt, nur wurden sie hier von den raschen und langsamen Sätzen getrennt behandelt.
28 Riemann S. 83 und 94.
29 Riemann S. 36 f.
30 Sonate op. 20 Nr. 3, Satz 1. WSF I 114.
31 Riemann S. 48.
32 Vgl. den Themat. Katalog von Schoberts Werken bei Riemann S. XXI, Nr. 9.
33 In K.-V. 9 zeigt Mozart sogar nicht übel Lust, gleich Schobert die Reprise in Moll zu beginnen, bis sich das Ganze schließlich als falscher Alarm herausstellt. WSF I 84 vermuten in dieser nachträglichen Rückkehr zur Regel wohl nicht mit Unrecht die Hand des Vaters.
34 Schon der Nachsatz bringt im dritten Takte mit dem Unisono und dem grollenden Triller eine Gefühlsentladung, wie sie auch bei Schobert nicht vorkommt; das ist schon ganz der spätere, große Mozart, und man beachte auch, daß er hier zum ersten Male in seinen Werken die Dynamik genau bezeichnet hat. Auch auf das unvermittelt einsetzende chromatische Schluchzen in T. 18 ff. des zweiten Teils sei hingewiesen.
35 Das Trio in K.-V. 9 besteht gleich so manchem Schobertschen Stück (s.o.) lediglich aus einer Folge von Harmonien, ohne melodischen Gedanken.
36 WSF I 85 erblicken dahinter eine französische Ariette. Mir will scheinen, als klänge hier ein süddeutsches Volkslied nach, dessen Spuren sich bei Mozart bis in das Andante der Sinfonie K.-V. 95 und in die Variationen der A-Dur-Sonate (K.-V. 331) hinein nachweisen lassen. H. Rietsch, der (ZIMG XIV 278 ff.) erstmals darauf hinwies, hat merkwürdigerweise unser Menuett übersehen, obwohl es in der Originaltonart des Liedes (G-Dur) steht; allerdings entfernt sich der zweite Teil vollständig von der Liedmelodie.
37 Der erste Satz der C-Dur-Sonate ist ein Musterbeispiel dafür.
38 Das Vorbild für diese Triolenbewegung scheint in manchen damaligen