Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
die Schule Wagenseils: die Anordnung der Sätze mit dem Menuett als Schluß- oder Mittelsatz, die Dreiteilung der Themengruppe, die überraschenden Mollwirkungen (besonders auch die leidenschaftlichen Molltrios der Menuette), endlich so manche, teils in kurzen, hüpfenden Motiven, teils in raschen Sechzehnteln dahineilende Allegrothemen. Sicher hat Schobert diese Wiener Klaviermusik auf seinem Wege von Schlesien nach Paris an der Quelle kennengelernt, einen Umweg über Italien anzunehmen, liegt kein Grund vor26.
Aber Schobert war, ganz anders als die jüngeren Mannheimer, der Mann, alle diese Einflüsse nicht zur Manier erstarren zu lassen, sondern zu einem lebendigen, höchst persönlichen Stil weiterzubilden. Schon seine Eigenschaft als Pianist (und zwar als moderner Pianofortespieler) ermöglichte es ihm, die orchestralen Wirkungen der Mannheimer auf das Klavier zu übertragen. Sein Klavierstil übertrifft an Vollgriffigkeit und namentlich an virtuoser Selbständigkeit der linken Hand alles, was Mozart bisher kennengelernt hatte. Aber auch im Ausdruck seiner Musik war Schobert der richtige Mann für das damalige Pariser Publikum, dem seit Rousseau "Natur" in menschlichen Dingen zugleich auch das Recht zu großen Leidenschaften bedeutete; er war eine der vor Mozart sehr seltenen sentimentalischen Musikernaturen im Schillerschen Sinn27, und hieraus erklärt sich seine ungeheure Anziehungskraft auf den ihm geistesverwandten jungen Meister. Zwei Hauptseiten seines eigenen Wesens, die schwere Empfindung, die ihn auch in den Allegros zu breiten Gesangsthemen trieb, und die Neigung zu plötzlichen, unvermuteten Ausbrüchen der Leidenschaft, fand Mozart in Schobert verkörpert. Man betrachte daraufhin nur einmal die kantablen Themen der beiden Schobertschen Es-Dur-Klavierquartette28. Für die dämonische Seite aber boten Mozart besonders Schoberts Durchführungen Beispiele genug. Ph. E. Bachs Themenwandlungskunst gegenüber vertreten sie noch den älteren Standpunkt, ja sie führen sogar mitunter noch ganz neue Gedanken ein. Dafür erscheinen an dieser Stelle aber häufig Ausbrüche wilder Leidenschaft, die mit den Gepflogenheiten dieser Gesellschaftskunst in grellem Widerspruch stehen. Die d-Moll-Sonate liefert einen schlagenden Beleg dafür29: da setzt ganz unvermittelt eine lediglich aus ineinandergleitenden dunkeln Harmonien bestehende, gärende Partie ein mit scharfen Sforzati und abgrundtiefen Bässen, die schließlich ebenso überraschend durch ein unwirsches Unisono wieder hinweggefegt wird. Schobert hat damit einen ganz neuen Durchführungstypus geschaffen, den man im Gegensatz zu der logischen Gedankenentwicklung Ph. E. Bachs als Phantasiedurchführung bezeichnen kann: sein Hauptmerkmal ist ein phantastisch erregtes harmonisches Wesen, das oft auf kühnen harmonischen Sequenzbögen von Tonart zu Tonart dahingleitet, mehr improvisiert als wirklich gearbeitet, aber von unmittelbar packendem Gefühlsausdruck und sehr häufig unter Aufbietung eines großen virtuosen Glanzes. Kein Wunder, daß die Molltonart dabei ein entscheidendes Wort mitspricht, ja sogar psychologisch ganz folgerichtig mitunter auch noch die Reprise in Mitleidenschaft zieht. Dieser Schobertsche Durchführungstypus ist für Mozart von ganz ungeheurer Bedeutung geworden; er kommt sogar in seiner späteren Zeit, als er im allgemeinen zur Bach-Haydnschen Art abgeschwenkt war, immer wieder zum Vorschein. Auch die Chromatik nimmt gelegentlich unter Schoberts Hand denselben eigentümlich herben und leidenschaftlichen, von der früheren Tränenseligkeit so sehr verschiedenen Zug an, wie später bei Mozart. Ja, sogar bis in das Figurenwerk hinein erstreckt sich Schoberts Drang nach Zuspitzung des Ausdrucks. Stellen, die früher so gelautet hätten:
gewinnen bei ihm folgende Gestalt30:
In dieser und der folgenden Stelle31
zeigt sich die Verwandtschaft mit Mozart besonders sinnfällig.
Gewiß stehen durchaus nicht alle Werke Schoberts auf derselben Höhe, und bis zu wirklicher Abklärung ist seine genialische Natur überhaupt nicht gelangt. Aber was Mozart von ihm sah, genügte doch, ihn vollständig in seinen Bann zu ziehen. Das beweist gleich die Verbeugung, die er mit dem Thema des Schlußsatzes der ersten Sonate vor dem Pariser Meister machte32. Am stärksten sind die Sonaten in D-und G-Dur (K.-V. 7 und 9) vom Geiste Schoberts berührt. Beide enthalten gleich in ihren ersten Durchführungen jene merkwürdigen Schobertschen Ausbrüche der Leidenschaft33 mit den bekannten Ausdrucksmitteln, und besonders starke Gegensätze prallen namentlich im Andante der G-Dur-Sonate auf engstem Raume aufeinander34. Auch die fortschrittliche, beide Hände gleichmäßig beschäftigende Technik ist Schobertisch, ebenso wie der leidenschaftlich düstere Ton der mit einer einzigen Ausnahme (K.-V. 6) nach Wagenseils Vorbild in Moll stehenden Trios der Menuette35. Die Menuette selbst weisen dagegen jenen wohl ebenfalls an Schobert genährten Zug zum Gesangsmäßigen auf, den wir schon im Notenbuch von 1764 getroffen haben; ein wahres Prachtstück ist das der G-Dur-Sonate mit seiner in einem Geranke von Trillern und Triolen eingebetteten Volksmelodie36.
Überhaupt ist in diesen Sonaten trotz aller Anlehnung an Eckardt und Schobert Mozarts eigene Hand schon deutlich zu erkennen, im guten wie im weniger guten. Zu diesem gehören namentlich in den beiden ersten Sonaten das den Anfänger verratende Aneinanderstückeln zwei- und viertaktiger Perioden37, die die Entwicklung zerreißenden Schlüsse, die Sequenzenreihen väterlichen Angedenkens, aber auch die hier wieder stark auftretende Themenverschwendung. Der erste Satz der D-Dur-Sonate z.B. bringt gleich in der Themengruppe statt der üblichen drei Themen deren fünf und fügt ihnen in der Durchführung noch ein sechstes hinzu; ja sogar in so knappen Formen wie den Menuetts tauchen manchmal im zweiten Teil neue, und zwar stark kontrastierende Gedanken auf (K.-V. 7 und 8). Daß diese Art in Mozarts ganzem Wesen tief begründet war, ist schon mehrfach betont worden. Im Ganzen aber zeigt sich der kleine Mozart bereits hier als der vollendete Kavalier, der sich in der vornehmen Gesellschaft auch musikalisch mit Sicherheit zu bewegen weiß, schwungvoll, ritterlich, voll sprühenden Jugendmutes. Ja, er beherrscht die Sprache dieser Gesellschaftskreise bereits so gut, daß man das Fehlen wirklich kindlicher Züge, wie sie das Notenbuch aufweist, fast darüber vergißt. Aber auch andere Züge seiner Natur treten deutlich hervor, so jene merkwürdig drängende Empfindung eines übervollen Herzens, wie sie sich namentlich in dem G-Dur-Adagio von K.-V. 7 kundgibt. Dieses Stück mit seiner schwellenden Sehnsucht, seiner träumerisch pochenden Quinte im Tenor38, seinen chromatischen Schmerzen und seiner verhaltenen Synkopenerregung39 konnte damals wohl von keiner anderen Hand geschrieben werden als von der seinigen.
Die Form dieser Sonaten ist noch die alte Wagenseilsche: Allegro, Andante, Menuett mit Trio; die ersten Allegros sind dreiteilig und beginnen die Reprise mit dem Hauptthema40. Die Violine kommt dem Klavier gegenüber kaum einmal mit einigen schüchternen Imitationen zum Wort und hat, sehr im Gegensatz zu Schobert, nichts Selbständiges zu sagen.
Ein wesentlich anderes Gesicht zeigen die in London und im Haag entstandenen Sonaten (K.-V. 10–15 und 26–31 S. XVIII. 5–16). Nicht als ob sich Mozart von seinen bisherigen Vorbildern losgesagt hätte. Gerade Schoberts Geist wirkt vielmehr bis in seine spätesten Jahre bei ihm nach, einfach deshalb, weil er Geist von seinem eigenen Geiste war. Aber die älteren Eindrücke verbanden sich nunmehr mit frischen, deren Hauptvermittler J. Chr. Bach war. Auch vollzog sich der Umschwung nicht mit einem Schlag: die Sonaten K.-V. 10, 11, und 13 zeigen noch die alten drei Sätze, K.-V. 13 und 14 zudem noch die frühere vollständige Reprise, auch im einzelnen ist der Pariser Geschmack noch am Werke41. Sonst aber herrscht in Zahl und Reihenfolge der Sätze größere Freiheit: K.-V. 12 und 15 sind zweisätzig, K.-V. 14 läßt auf zwei Allegros ein Menuett folgen. Das bedeutet ein Abschwenken von Wagenseil und Schobert zu den Italienern, an dem der auf den Anschluß an den Geschmack des jeweiligen Publikums sorgsam bedachte L. Mozart sicher nicht unbeteiligt war. Ganz italienisch ist das Andante von K.-V. 12 mit seiner durchgehenden gefühlvollen Gesangsphrase, italienisch auch die auf das zweite Thema beschränkte Reprise im ersten Satz von K.-V. 10 und im letzten von K.-V. 15. Auch daß Mozart jetzt für die Stadt Händels schrieb, merkt man dem Beginn von K.-V. 15 deutlich an. Das Wichtigste aber ist die sich in diesen Sonaten Schritt für Schritt vollziehende