Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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versteht. Trotz aller modischen Einkleidung und trotz des mitunter unklaren Überschwangs, der solchen Neuerern stets zu eigen ist, verlangt Bach in seinen Sonaten weit mehr vom Hörer, er reißt ihn oft über seltsame Höhen und Tiefen hinweg und zwingt ihn, hierin ein echter Bachsohn, namentlich durch eine Harmonik von oft geradezu wilder Kühnheit, in Gebiete des Seelenlebens hinein, die den "Galanten", auch seinem Bruder Christian, durchaus ferne lagen. Vor allem aber hat er die Sonate, namentlich ihren ersten Satz, zum Träger eines stetigen, geordneten Gefühlsverlaufs gemacht. Nicht die Freude an schweifender Phantasie oder am bunten Wechsel der Gegensätze hat ihm die Feder geführt, sondern der norddeutsche Sinn für Zucht und Ordnung, das Streben nach organischer Einheit. So spinnt er oft genug schon in der Themengruppe, hierin der richtige Vorgänger Haydns, das zweite Thema aus dem ersten heraus, vor allem aber ist er in den Durchführungen zu ganz neuen Grundsätzen gelangt. Hier war bisher ein einfaches melodisches Weiterspinnen und Aneinanderreihen der Hauptgedanken der Brauch gewesen. Bach zergliedert und zerlegt sie, bringt die Teile in immer neuer Beleuchtung und sucht ihren Ausdrucksgehalt auf jede Weise zu erschöpfen. Er hat damit, in augenscheinlicher Anlehnung an seinen Vater, die "thematische Arbeit" zum Hauptgrundsatz der modernen Sonate erhoben. Natürlich erhielt der Sonatensatz dadurch auch einen ganz veränderten seelischen Gehalt. Die Durchführungen waren bisher oft genug bloße Rück- und Übergänge gewesen, jetzt wurden sie zum Kern des ganzen Satzes, zu Trägern der höchsten seelischen Spannung innerhalb seines Gefühlsverlaufs, und damit gewann natürlich auch die Reprise ein ganz anderes Gesicht. Zugleich hat er aber auch, ein weiterer Beweis für sein feines Stilgefühl, die Suitenelemente nach Möglichkeit ausgeschlossen. Die Tragweite dieses Schrittes ist nicht sofort nach Gebühr erkannt worden: eine ganze Reihe seiner Nachfolger, die zwar die drei Sonatensätze übernahmen, ihnen aber noch verschiedene Tanzsätze anhängten, bewies damit nur, daß sie in den eigentlichen Geist der Bachschen Sonate nicht eingedrungen war. Denn dieser drängte, wie ursprünglich auch die Opernsinfonie A. Scarlattis, weit eher zur Ein- als zur Mehrsätzigkeit hin; tatsächlich besitzen wir von Bach zweisätzige Sonaten, in denen der langsame Satz auf ein paar überleitende Takte zusammengeschmolzen ist10. Mit seiner neuen Art der thematischen Gedankenentwicklung aber, durch die er den dreiteiligen Allegrosätzen Scarlattis ein festes Rückgrat verlieh, hat Bach der klassischen Sonate die Bahn vorgezeichnet. Auch damit ist er lange Zeit nicht allgemein durchgedrungen. Denn auch abgesehen von den weit höheren Ansprüchen, die diese Art an die Komponisten stellte, machte die ältere italienische Form noch bis in die klassische Zeit hinein ihre Rechte wirksam geltend. Vor allem hat sie sich in Süddeutschland siegreich zu behaupten vermocht und hier durch G. Chr. Wagenseil eine dem süddeutschen Wesen angepaßte Umformung erfahren. Es ist kein Wunder, daß man in Wien, dem Hauptsitz der volkstümlichen Tanzmusik, auch in der Sonate die Tanzsätze nicht missen mochte, und es wurde bereits gezeigt, wie sehr auch Wagenseil in einzelnen seiner Sonaten diesem Verlangen entgegenkam. Zu einer geschlosseneren Form ist er dagegen in seinen "Divertimenti da cimbalo" op. 1–4 gelangt11. Zwei Drittel der Stücke sind dreisätzig mit der Reihenfolge Rasch-Langsam-Rasch, charakteristisch ist dabei aber die entscheidende Rolle des aus der Suite übernommenen Menuetts, das meist als Schlußsatz, seltener als Mittelsatz erscheint12. Aber auch das letzte, viersätzige Drittel ist lediglich durch Erweiterung der Dreisätzigkeit entstanden, namentlich da, wo zwischen die beiden Ecksätze Andante und Menuett eingeschoben sind13.

      Diese Form verrät deutlich den Einfluß von Wagenseils italienischen Zeitgenossen, Meistern wie B. Galuppi (1706–1785), G.A. Paganelli, D. Paradisi (1710–1792), G.B. Pescetti (um 1704–1766) u.a., nur daß bei diesen noch größere Freiheit in der Reihenfolge der Sätze herrscht und das Menuett z.B. häufig durch freie Sätze, besonders durch flüssige Giguen, ersetzt wird.

      Auch der innere Bau der Allegrosätze ist ein anderer als bei Ph. E. Bach. Zwar geht die Behauptung zu weit14, sie seien durchweg zweiteilig und wiederholten nur den zweiten Abschnitt des ersten Teils. Schon Scarlatti kehrte ja in einzelnen Sätzen zum Anfange seines ersten Teils zurück, um ihn, allerdings in gedrängterer Form zu wiederholen; auch seine Nachfolger sind auf diese Art immer wieder zurückgekommen15, und gerade Wagenseil neigt, gleich den Wiener Sinfonikern dazu, die Reprise vollständig oder doch nur mit geringer Verkürzung zu bringen. Das Entscheidende für den Unterschied zwischen der italienisch-süddeutschen und der norddeutschen Sonate, die in letzter Linie ebenfalls ein Absenker italienischen Geistes ist, liegt aber in der grundsätzlich verschiedenen Art der Gedankenverarbeitung. Im Gegensatz zu der logischen Art Bachs huldigen die Süddeutschen, Wagenseil an der Spitze, noch durchaus dem Scarlattischen Grundsatz des freien, aber rein melodischen Weiterspinnens der Gedanken, der gelegentlich auch die Einführung ganz neuer Motive in den Durchführungen nicht ausschließt. Diese naivere süddeutsche Kunst trat eben auch an die Sonate von einer ganz anderen Seite heran: nicht die Darstellung eines geordneten Gedankenverlaufs war die Hauptsache, sondern das phantasievolle Spiel mit wechselnden Ideen und Stimmungen. So ist ihr gleich die Themengruppe mindestens ebenso wichtig wie die Durchführung. Schon Wagenseil bringt hier drei Themen, die zwar noch nicht so scharf wie später, aber doch fühlbar genug voneinander unterschieden sind: Hauptthema, Seitenthema (in der Dominanttonart) und Schlußsätzchen16.

      Die harmonischen Grübeleien Bachs sind Wagenseil fremd, nur der plötzliche Wechsel von Dur und Moll findet sich bei ihm manchmal bis zum Überdruß, und darin, wie auch in dem Glanz und der Gewandtheit des Stils, zeigt sich der Einfluß Scarlattis17. Daneben taucht aber ein anderer auf, der sich ebenfalls für die weitere Entwicklung der Sonate als sehr fruchtbar erweisen sollte: die österreichische Volksmusik. Liederanklänge, flotte Marsch- und kurze Juchzermotive, Melodien in Terzen- und Sextengängen, wie wir sie auch schon bei Mozart, Vater und Sohn18, antrafen, aber auch verschwiegene Naturbildchen und andere "Geschichten aus dem Wiener Wald" gehören hierher19. Damit schlich sich der alte Suitengeist, auch abgesehen vom Menuett, doch wieder in die Sonate ein; welche Blüte dieser Vereinigung von Volks- und hoher Kunst entsprießen sollte, hat dann J. Haydns Beispiel gezeigt.

      Natürlich haben besonders die kleineren Talente häufig versucht, die norddeutsche und die italienisch-süddeutsche Sonatenform miteinander zu verbinden, sei es, daß sie in verschiedenen Werken bald das eine, bald das andere Muster benutzten oder gar in demselben Werke beide miteinander zu verschmelzen trachteten. Ein Beispiel dafür haben wir bereits in L. Mozart selbst kennengelernt20, weitere sollten seinem Sohne in den deutschen Meistern, mit denen er auf der Pariser Reise zusammentraf, begegnen. Der erste davon war J. G. Eckardt21, ein Meister, der von Ph. E. Bach, seinem Lehrer22, zwar die Dreisätzigkeit und die Durchführungsarbeit übernahm, aber die ganze Form doch dem Pariser Geschmack zuliebe und unter dem italienischen Einfluß ins Gefällige und Salonmäßige umbildete. In Mozarts erster Sonate weisen Anlage und Stil bis auf den (in seinem Übermaß ganz unbachschen) Gebrauch der Albertischen Bässe herab auf das Eckardtsche Vorbild hin. Aber auch der Vater, dem wir ja wohl überhaupt die endgültige Fassung aller dieser Stücke verdanken, ist mit den Sequenzen in der Durchführung, einzelnen figurativen Wendungen und der Art, das Andante nach dem Muster mancher Sinfoniesätze aus einem einzigen Motiv herauszuspinnen, deutlich vertreten23. Dagegen tritt im letzten Satz ein weiterer Meister auf den Plan, der Eckardt bald ganz aus Mozarts Gunst verdrängen sollte, Johann Schobert.

      So sehr Schoberts Persönlichkeit den Mozarts mißfiel, so war er doch, besonders für ein junges Künstlergemüt, die fesselndste Erscheinung, die das damalige Paris aufzuweisen hatte. Er war ein richtiges Kind des Sturms und Dranges, reizbar und unruhig, oft von dämonischer Glut und namentlich stets zu Neuerungen bereit. Schon daß er Violinsonaten, Trios und Quartette mit obligatem Klavier schrieb und dadurch zum Ahnherrn unserer heutigen Kammermusik mit Klavier geworden ist24, sichert ihm einen hervorragenden Platz in der Geschichte. Daß Mozart seinen ersten Sonaten die Violine, wenn auch nur ad libitum, hinzugefügt hat, ist das erste sichtbare Kennzeichen des Schobertschen Einflusses. Leider sind wir über den Bildungsgang des merkwürdigen Mannes noch fast ganz im Dunkeln. Aus seinen Werken ergibt sich mit Sicherheit nur, daß er von der Mannheimer Kunst aufs lebhafteste berührt war. Das beweist nicht allein ihr schwungvolles, revolutionäres Wesen und ihr Schwelgen in Stimmungsgegensätzen im allgemeinen, sondern auch eine Menge Anklänge;


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