Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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bedeutet, ist erst in jüngster Zeit erkannt worden42. Daß er in die Reihen des Mannheimer Fortschritts gehört, steht fest; ob er freilich schlankweg als Schüler von Stamitz zu betrachten ist oder außer dem "singenden Allegro" auch noch andere Eigentümlichkeiten seines Stils aus Italien mitgebracht hat, ist noch sehr die Frage. Denn die Italiener haben ihn nicht ohne Grund beständig als einen der Ihren gepriesen; tatsächlich beweisen seine Werke aus den italienischen Jahren, besonders seine Opern, wie sehr er zum Italiener geworden war. Seine natürliche Anlage hat diese Wandlung begünstigt. Er war der weichste, weiblichste Charakter unter den Söhnen Seb. Bachs, aber auch zugleich der beweglichste und anpassungsfähigste. Diese Grundzüge seines Wesens hat auch die Berührung mit dem Mannheimer Geist nicht zu verwischen vermocht. Er schließt sich zwar der neuen, subjektiven Art, für deren Stimmungswechsel übrigens schon in seinen italienischen Opern wichtige Beispiele vorliegen, rückhaltlos an, aber seine Gegensätze führen weder über solche Höhen und Tiefen hinweg wie bei Stamitz, noch in solche Strudel der Leidenschaft hinein wie bei Schobert; es vollzieht sich alles weit manierlicher und eleganter, und der italienisierte Deutsche offenbart sich auch in dem Vorwiegen des Anmutigen und Elegischen vor dem Leidenschaftlichen und Pathetischen. Daß darin natürlich nicht etwa der Vorwurf oberflächlicher Arbeit liegt, beweisen allein seine Mailänder Quartette, die des Schülers von Seb. und Ph. E. Bach und von Padre Martini durchaus würdig sind.

      So hat Bach auch in seinen Klavier- und Violinsonaten dem jungen Mozart ein durch die neue Stilwandlung hindurchgegangenes, modernisiertes Italienertum vermittelt. Dazu gehören die Freiheit in der Zahl und Anordnung der Sätze, das Schwanken zwischen den beiden Arten der Reprise (wobei sich Mozart allerdings von K.-V. 16 an für die zweite, unvollständige, entschieden hat), endlich die Einführung neuer Formen, wie des Rondos, und zwar sowohl in seiner französischen Gestalt (mit einem Seitensatz in Moll)43, als in der deutschen (mit mehreren Seitensätzen)44.

      Aber auch innerhalb der Sätze beginnt sich unter Bachs Einfluß ein neuer Geist zu regen. Die Neigung zu gesangsmäßigen Allegrothemen hatte dieser bereits aus Italien mitgebracht45, sie tritt jetzt auch bei Mozart mehr und mehr zutage46 und bildet von nun an in immer stärkerem Maße ein Hauptmerkmal seiner raschen Sätze. Mozart ist somit freilich nicht der Erfinder dieser "singenden" Allegrothemen gewesen, zu denen die Ansätze damals von allen möglichen Seiten zusammenkamen47, wohl aber hat er aus ihnen und aus ihrer Verschmelzung mit den gegensätzlichen Elementen48 einen neuen Stil geschaffen, der an Geschlossenheit alle Leistungen seiner Vorgänger weit übertraf und in letzter Linie eben in seiner Persönlichkeit wurzelte.

      Auch das Verhältnis der einzelnen Gedanken zueinander hat Mozart in London anders auffassen gelernt. Die älteren deutschen Sonatenmeister, vor allem Ph. E. Bach (s.o.), aber auch Wagenseil, legten auf schroffe Gegensätze zwischen Haupt- und Seitenthemen keinen besonderen Wert; sie behandelten weit eher das Seitenthema gelegentlich als bloßen Absenker des Hauptthemas. Bei Christian Bach dagegen werden beide von Anfang an nach Mannheimer Vorbild als scharfe Gegensätze erfunden und außerdem durch nachdrückliche Schlüsse voneinander abgesondert. Von diesem Geiste, der das gerade Gegenteil der auf Geschlossenheit der Gedanken dringenden Art Ph. E. Bachs und J. Haydns war, ist bereits L. Mozart im ersten Satze seiner dritten Sonate berührt, und es ist sicher kein Zufall, daß das Seitenthema Leopolds im ersten Satze von Wolfgangs C-Dur-Sonate K.-V. 14 leicht verändert wiederkehrt.

      Im allgemeinen ist Mozarts Stil unter dem Einflusse Bachs flüssiger und eleganter geworden. In den raschen Sätzen, namentlich den Rondos, erscheinen die Bach eigentümlichen frischen, sprühenden Rhythmen, dagegen ist jene aus italienischer Süßigkeit und deutscher Träumerei zusammengewobene Melodik der Bachschen langsamen Sätze, die dann den Opernkomponisten Mozart durchs Leben begleitet hat, in diesen Sonaten noch verhältnismäßig spärlich vertreten. Vollendet ist Mozarts Annäherung an den Bachschen Stil in den sechs holländischen Sonaten, für die sogar ein bestimmtes Muster, Bachs "Six sonates de clavecin" op. 5 festgestellt werden konnte49.

      So war Bachs Vorbild für Mozart eine willkommene Ergänzung des Schobertschen. Hatte dieser die dunklen Töne in seiner Brust zum Klingen gebracht, so spiegelte jenes die schwärmerische, optimistische Seite seines Wesens wider. Gewiß hat der eine den andern nicht mechanisch abgelöst, wie überhaupt die Einheit von Mozarts Persönlichkeit allen Lehrmeistern zum Trotz auch in diesen Sonaten zum Ausdruck kommt. Plötzliche Trübungen fehlen auch hier nicht, und gleich die vier ersten Takte von K.-V. 15 offenbaren einen außerdem noch durch f und p bezeichneten50 Stimmungsumschlag, der für Mozarts Themenbildung bis in die große C-Dur-Sinfonie hinein charakteristisch geblieben ist: ein kraftvoller Anfang, dem dann ganz unerwartet eine leise, nachdenkliche Fortsetzung folgt – Mannheimer Geist, ins Mozartsche übertragen. Auch in den Seitensätzen des Rondos wird der Mollcharakter zäh festgehalten51. Dagegen fehlt in den drei Variationenwerken aus dieser Zeit52 die Molltonart noch ganz, obwohl Mollvariationen damals bei Meistern wie Eckardt und Honauer bereits üblich waren53. Wohl aber hebt sich in allen drei Reihen eine Variation heraus, die dem Thema eine ganz besondere Seite abzugewinnen sucht: in K.-V. 31 ist es eine seltsam erregte Synkopenvariation, in K.-V. 24 und 25 einer jener reichverzierten, tiefempfundenen Adagiosätze, die auch in den späteren Variationen wiederkehren und offenbar Mozarts eigene Errungenschaft sind. Im allgemeinen sind aber diese Variationen rein melismatischer Natur, sie entfernen sich nicht zu weit von der melodischen Linie des Themas. Nur in den Wilhelmusvariationen regt sich erstmals das Bestreben, jeder einen besonderen Charakter zu verleihen und so den Ausdruck des Themas nach verschiedenen Richtungen zu steigern.

      Endlich darf das Band nicht vergessen werden, das Mozart auch in England und Holland mit der Kunst seiner süddeutschen Heimat verknüpft. Der "Galimathias musicum" beweist am deutlichsten, wie stark diese Heimatklänge in ihm lebendig waren. Auch in den Sonaten huschen sie ab und zu vorüber, und zum ersten Male begegnet sich Mozart auf diesem Umwege mit Gluck54.

      Da für drei von den vier Londoner und Haager Sinfonien abermals Bach und Abel als unzweifelhafte Vorbilder nachgewiesen worden sind55, kann eine Übersicht über den damaligen Stand der Gattung an dieser Stelle unterbleiben. Alle die bereits besprochenen Bachschen Stileigentümlichkeiten kehren hier wieder, und auch die Orchesterbehandlung schließt sich diesem Muster eng an, besonders was die geringe Selbständigkeit der Bläser anbetrifft. Wie bei Bach, so verrät auch bei Mozart nicht bloß die Dreisätzigkeit, sondern auch die ganze Haltung dieser Sinfonien von den Dreiklangsthemen und Trommelbässen der ersten Sätze an bis zu der häufigen italienischen Arienkadenz herab noch die zeitliche Nähe der neapolitanischen Opernsinfonie, die sich damals noch nicht allzu lange von der Oper gelöst hatte. Was Bach in diese Form Neues hineinbrachte, war eine subjektiver gefärbte Thematik nach deutschem Muster, der scharfe Unterschied zwischen Haupt- und Seitenthema und die Rondoform des letzten Satzes. Alles dies kehrt bei Mozart wieder; indessen muß man ihm, allerdings nicht ohne erneuten Hinweis auf die Hilfe des Vaters, zugestehen, daß er sich nicht nur die Herrschaft über diese Form mit ebensoviel Geschick als Raschheit errungen, sondern sie auch in verschiedener Hinsicht mit seiner eigenen Ideen- und Empfindungswelt zu erfüllen verstanden hat. Gleich das erste Thema von K.-V. 16 legt ein beredtes Zeugnis dafür ab:

      Ein flotter, energischer Ansturm im Vordersatz und ein stilles, frommes Einkehren in die eigene Brust in dem fast dreimal so langen, gesangsmäßigen Nachsatz! Das sind die beiden uns bekannten Seelen in Mozarts Brust in engstem Verein. Auch der erste Satz von K.-V. 19 bringt echt Mozartsches: die müde Synkopenstelle in Moll, die sich in das Seitenthema einschleicht, und das geradezu fürchterliche Unisono-Ais (auf den schlechten Taktteil), das die Durchführung beginnt und zwei Takte lang eine unheimlich bange Finsternis verbreitet – zugleich das erste Beispiel für jene lapidaren harmonischen Rückungen, mit denen Mozart auch noch später gerne seine Durchführungen einleitet. Die Durchführungen selbst verlaufen, wie in den Sonaten, rein melodisch, aber mit reichlichen Molltrübungen und münden stets in das Seitenthema aus. Diese Seitenthemen gemahnen mit ihrem kurzatmigen Gepräge und ihrem noch deutlich erkennbaren Triocharakter besonders stark an die Art der Theater-,


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