Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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Erregung gestellt wird. Daß das durch seine Instrumentalwerke schon vorbereitet war, sahen wir; jetzt kam ihm eine neue Anregung in Piccinnis "Cesare", der sich jenes Mittels auffallend oft bedient19, von hier stammen auch die geteilten Bratschen. Weit weniger gelungen sind dagegen die drei Artaserse-Arien "Fra cento affanni", "Per pietà bei idol" und "Per quel paterno amplesso" (K.-V. 88, 78, 79 VI. 9, 6, 7, Nott.), namentlich auch wegen des überreichen Koloraturenflitters, der in der Demofoonte-Arie bezeichnenderweise fehlt. Formal bekennt sich Mozart in allen vier Stücken zum Fortschritt: an Stelle des alten Hassischen da capos treten die moderneren, freieren und beweglicheren Formen. Wolfgang bestand die Prüfung, er erhielt von Firmian außer einer Tabatiere mit 20 gigliati20 als willkommenes Geschenk noch Metastasios Werke. Aber das wichtigste Ergebnis jenes Abends und ihres Aufenthaltes in Mailand war, daß Wolfgang für die nächste "stagione" die "scrittura" erhielt. Er sollte unter Voraussetzung der Erlaubnis seines Fürsten – die gleich nachgesucht und auch erteilt wurde – die erste Oper schreiben, für die man die ersten Sänger, die Gabrielli mit ihrer Schwester und Ettore, engagieren wollte; das Honorar wurde auf 100 gigliati und freie Wohnung während des Aufenthalts in Mailand bestimmt. Das Textbuch wollte man ihnen nachschicken, damit Wolfgang sich damit vertraut machen könne, die Rezitative mußten im Oktober nach Mailand eingeschickt werden, und Anfang November sollte der Komponist selbst da sein, um in Gegenwart der Sänger die Oper zu vollenden und für die Aufführung in den Weihnachtstagen einzustudieren. Diese Bedingungen waren ihnen insofern angenehm und bequem, als sie ungehindert erst Italien durchreisen konnten und dann immer noch Zeit genug für Wolfgang blieb, in Ruhe die Oper zu vollenden.

      Nachdem sie von Mailand abgereist waren, komponierte Wolfgang unterwegs in Lodi am 15. März, abends sieben Uhr, wie er selbst angemerkt hat, sein erstes Quartett (K.-V. 80, S. XIV. 1). In Parma lud die berühmte Sängerin Lucrezia Agujari, genannt "la Bastardella", sie zum Speisen ein und sang ihnen drei Arien vor, durch die sie den Ruf ihrer Kehlfertigkeit und ihrer fabelhaften Höhe rechtfertigte21. Am 24. März langten sie in Bologna an. Hier fanden sie bei dem Feldmarschall Grafen Pallavicini eine Aufnahme, die sie an Graf Firmian erinnerte22. Er veranstaltete am 26. März eine glänzende Akademie in seinem Hause, wobei an 150 Personen des ersten Adels, unter ihnen der Kardinal-Legat Antonio Colonna Branciforte, und an der Spitze der Kenner Padre Martini, teilnahmen, obgleich dieser kein Konzert mehr besuchte. Um halb acht Uhr versammelte man sich, und erst gegen Mitternacht dachten die Gäste an den Aufbruch.

      L. Mozart schreibt, sie seien in Bologna ganz ungemein beliebt und Wolfgang werde noch mehr als an anderen Orten bewundert, weil dort der Sitz vieler Gelehrter und Künstler sei; sie fanden da die berühmte Spagnoletta (Gius. Useda) aus Mailand, den Kastraten Manfredini, den Bruder des auch als Schriftsteller bekannten Kapellmeisters Vincenzo Manfredini, der auf seiner Rückreise von Petersburg 1769 in Salzburg bei ihnen gewesen war23, sowie den berühmten Altisten Gius. Aprile24. Der Vater rechnete darauf, daß von Bologna aus Wolfgangs Ruhm sich am meisten über Italien verbreiten werde, da er vor Padre Martini die stärkste Probe bestanden habe, der der Abgott der Italiener sei und mit der größten Verwunderung von Wolfgang spreche. Er hatte recht. Der Franziskaner Giov. Batt. Martini (1706–1784)25 genoß nicht allein als Kirchenkomponist, sondern noch mehr als Theoretiker, Historiker und Lehrer das höchste Ansehen im damaligen Italien. Obwohl von seiner gelehrten "Storia della musica" erst ein Band erschienen (1757) und sein klassisches Werk über den Kontrapunkt26 noch in der Vorbereitung war, so stand er schon damals als das allverehrte Orakel in musikalischen Fragen, nicht allein in Italien, in höchster Geltung. Im Besitz einer musikalischen Bibliothek ohnegleichen27, hatte er stets Schüler um sich versammelt und stand in einem ausgedehnten Briefwechsel mit Musikern, Gelehrten und Fürsten. Streitfragen wurden ihm zur Entscheidung vorgelegt, bei der Besetzung von Stellen sein Rat eingeholt: eine Empfehlung von Padre Martini war die beste Unterstützung für ein gutes Fortkommen. Seine Autorität ward um so bereitwilliger anerkannt, als er mit seinem unermeßlichen Wissen große Bescheidenheit und eine stets bereite Dienstfertigkeit, durch Belehrung, Rat und Empfehlung zu fördern, verband. Freundlichkeit und Gelassenheit28, die mit einer gewissen Vorsicht zusammenhing, bewahrte er selbst in seinen gelehrten Streitigkeiten. L. Mozart mußte vor allen Dingen daran gelegen sein, einen solchen Mann für seinen Sohn zu gewinnnen. So oft sie ihn besuchten, bekam Wolfgang eine Fuge auszuarbeiten, wovon Padre Martini ihm "nur den ducem und la guida mit etlichen Noten" aufschrieb, was jedesmal zur Befriedigung des großen Kontrapunktisten ausfiel.

      Das Gegenstück des gelehrten Mönches war eine musikalische Größe ganz anderer Art, deren Bekanntschaft Mozart ebenfalls in Bologna machte. Farinelli (Carlo Broschi, geb. 1705), ein Schüler Porporas, trat zuerst 1722 in Metastasios Angelica auf, was eine Herzensfreundschaft mit dem jungen Dichter begründete, der ihn nur seinen "caro gemello" nannte – ein Verhältnis des Dichters und Kastraten, das für den Entwicklungsgang der italienischen Oper bezeichnend ist. Von da an feierte er auf allen Bühnen Italiens, in Wien und London29 unerhörte Triumphe, war von 1736 an der erklärte Liebling des Königs Philipp V. von Spanien und lebte seit 1761 als reicher Mann seiner Neigung für Kunst und Wissenschaft. In seiner glänzenden Villa nahm er mit der liebenswürdigen Feinheit des Weltmannes besonders seine Kunstgenossen auf, die er noch im Alter durch seinen Gesang in Erstaunen setzte30. Märchenhaft sind die Berichte von dem Umfang und der Schönheit seiner Stimme, seiner Technik und seinem Vortrage31. Er erscheint fast wie ein phantastisches Bild von der Größe und Macht der Gesangskunst im 18. Jahrhundert, von der selbst die außerordentlichsten Leistungen des folgenden uns keine entsprechende Vorstellung mehr zu geben vermögen, und durch die die Geschichte der Musik dieser Zeit großenteils zu einer Geschichte des Gesanges und der Sänger wird. Die Zeit, da Mozart sich heranbildete, stand noch unter diesem Einfluß, und obgleich die absolute Herrschaft der Sänger bereits im Abnehmen war, so ist es doch nicht ohne Bedeutung, daß Mozart als Jüngling noch den Eindruck jener Größen der Gesangskunst in sich aufnahm32.

      Am 30. März langten die Reisenden in Florenz an. Hier war ihnen durch österreichische Empfehlungen die beste Aufnahme bereitet. Der kaiserliche Gesandte Graf Rosenberg meldete sogleich ihre Ankunft bei Hofe, wo sie vom Großherzog Leopold ungemein gnädig empfangen wurden; er erinnerte sich ihrer von dem früheren Aufenthalt in Wien her und erkundigte sich auch nach der Nannerl. Am 2. April ließ Wolfgang sich bei Hofe hören; sie blieben daselbst fünf Stunden. Nardini, der berühmte Violinist, akkompagnierte und der Marquis de Ligniville, Direktor der Musik, legte Wolfgang die schwersten Fugen zu spielen vor und gab ihm die verwickeltsten Themen auszuführen; er leistete alles mit einer Leichtigkeit "wie man ein Stück Brod ißt".

      Der Marquis de Ligniville, Duca de Conca, Kammerherr usw., ein gebildeter Musikliebhaber, hatte ein "Salve regina"33 und ein "Stabat mater" für drei Stimmen in verschiedenen Kanons stechen lassen. Dem "Stabat" bezeugte die Akademie, deren Mitglied Ligniville war, in einem Vorwort, daß es kontrapunktisch gründlich und zudem nach den Regeln der alten, auch von P. Martini vertretenen römischen Schule gearbeitet sei. Wolfgang schrieb sich von den 30 Kanons des "Stabat mater" neun sauber ab. Eine Nachbildung dieses Stils liegt in dem "Kyrie a cinque con diverse canoni" (mit drei fünfstimmigen Kanons all' unisono) vor (K.-V. 89, S. III. 2). Ein Skizzenblatt enthält außer dem ersten Kanon des Kyrie den Entwurf eines vierstimmigen Kanons mit dem Beginn34:

      und mit der ausdrücklichen Beischrift "di Mozart" fünf künstliche Rätselkanons35:

      Von diesen haben Nr. 1–4 ihr Muster in den Vignetten, mit denen Padre Martini seine "Storia universale"


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