Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
ernennt seine Syndici, kontrolliert seine Schulden und arrangiert seinen Vergleich selbst.
Kann man sich nach diesen Angaben nun nicht leicht vorstellen, was für Intrigen, was für Schliche eines Sganarelle, Erfindungen eines Frontin, Lügen eines Mascarillo und Windbeuteleien eines Scapin diese beiden Systeme erzeugen? Es gibt kein Fallissement, das nicht genügend Stoff enthielte, um vierzehn Bände wie die »Clarissa Harlow« damit zu füllen. Ein einziges Beispiel wird genügen. Der berüchtigte Gobseck, der Meister der Palmas, Gigonnets, Werbrusts, Kellers und Nucingens, war bei einem Konkurse beteiligt, bei dem er sich vorgenommen hatte, einen Kaufmann, der es verstanden hatte, ihn hineinzulegen, gehörig heranzubekommen; er erhielt auch von ihm in Wechseln, die erst nach dem Vergleich fällig waren, einen Betrag, der zusammen mit der Dividende seine ganze Forderung gedeckt haben würde. Gobseck setzte nun einen Vergleich durch, bei dem dem Schuldner fünfundsiebzig Prozent erlassen wurden. In dieser Weise wurden die Gläubiger zugunsten von Gobseck betrogen. Aber der Kaufmann hatte diese unrechtmäßigen Wechsel mit der Unterschrift seiner im Konkurse befindlichen Gesellschaftsfirma ausgestellt und konnte daher auch bei ihnen den Abzug von fünfundsiebzig Prozent machen, und Gobseck, der große Gobseck, erhielt kaum fünfzig Prozent. Seitdem grüßte er seinen Schuldner stets mit ironischem Respekt.
Da alle von einem Kridar zehn Tage vor der Konkursanmeldung eingegangenen Verpflichtungen anfechtbar sind, so bemühen manche klugen Menschen sich, gewisse Geschäfte mit einer bestimmten Anzahl von Gläubigern abzuschließen, die ebenso wie sie ein Interesse haben, möglichst schnell zu einem Vergleich zu gelangen. Sehr gerissene Gläubiger treten an sehr unerfahrene oder sehr beschäftigte Gläubiger heran, malen die Lage möglichst schwarz und kaufen ihnen ihre Forderungen für die Hälfte dessen ab, was bei der Liquidation als auf sie entfallend zu erwarten ist; auf diese Weise kommen sie zu ihrem Gelde, da sie zu ihrer Dividende noch die Hälfte, das Drittel oder das Viertel hinzubekommen, das sie bei dem Ankauf der Forderungen verdient haben. Das Fallissement ist der mehr oder weniger hermetische Verschluß eines Hauses, in dem die Plünderung noch einige Säcke Geld zurückgelassen hat. Glücklich der Kaufmann, der sich durchs Fenster, übers Dach, durch den Keller oder durch ein Loch einschleichen kann, sich einen Sack nimmt und so seinen Anteil vergrößert! In diesem Durcheinander, wo das »Rette sich, wer kann« der Beresinaschlacht erklingt, ist alles ungesetzlich und gesetzlich, falsch und richtig, anständig und unanständig. Bewundert wird der Mann, der es versteht, sich zu »decken«. Sich decken heißt, sich einiger Werte zum Schaden der andern Gläubiger bemächtigen. Ganz Frankreich war von den Debatten über ein Fallissement in einer Stadt erfüllt, die Sitz eines Obergerichts war, und wo die Beamten, die mit den Kridaren unter einer Decke steckten, sich so dicke Kautschukmäntel anzogen, daß der Mantel der Justiz ein Loch bekam. Es war erforderlich, wegen begründeten Verdachts die Verhandlung über diesen Konkurs einem andern Gerichtshof zu übertragen. Denn in dem Ort, wo dieser Konkurs ausgebrochen war, war weder ein unparteiischer Konkursverwalter, noch Agent, noch Richter aufzutreiben.
Dieses skandalöse Verfahren ist in Paris so allgemein bekannt, daß jeder Kaufmann, so wenig er auch von Geschäften in Anspruch genommen sein mag, wofern er nicht an dem Konkurse mit einem erheblichen Betrage beteiligt ist, das Fallissement als ein Unglück, gegen das man nicht versichert ist, hinnimmt, es auf Gewinn- und Verlustkonto abschreibt und nicht die Torheit begeht, auch noch seine Zeit zu opfern; er kümmert sich lieber um seine Geschäfte. Was den kleinen Händler anlangt, der vor jedem Monatsende sich ängstigt, seinen Karren mühsam weiterschiebt und den ein teurer Prozeß von endloser Dauer, auf den er sich einlassen soll, ohne sich ein klares Bild davon machen zu können, mit Entsetzen erfüllt, so macht er es wie die großen Kaufleute, senkt betrübt das Haupt und trägt seinen Verlust.
Die großen Kaufleute melden gar nicht mehr Konkurs an, sondern sie liquidieren nach getroffenem gütlichem Übereinkommen; die Gläubiger erklären sich mit dem, was man ihnen bietet, für abgefunden. Man vermeidet so die Schande, die gesetzlichen Fristen, die Honorare für die Anwälte und die Verschleuderung der Waren. Jedermann ist überzeugt, daß bei einem Konkurs weniger herauskommt als bei einer Liquidation, und so gibt es in Paris mehr Liquidationen als Konkurse.
Der Akt, der von den Syndicis gespielt wird, ist dazu bestimmt, zu beweisen, daß kein Syndicus bestechlich ist, und daß zwischen ihnen und dem Kridar nicht das geringste Einverständnis vorliegt. Das Publikum, das mehr oder weniger selber einmal Syndicus gewesen ist, weiß, daß jeder Syndicus ein »gedeckter« Gläubiger ist. Es hört zu, glaubt, was es will, und erscheint schließlich an dem Tage, wo der Vergleich vorgeschlagen wird, nachdem drei Monate damit hingebracht worden sind, die Forderungen aus den Aktiven und Passiven festzustellen. Die provisorischen Syndici erstatten alsdann der Versammlung einen kleinen Bericht, dessen Formulierung im allgemeinen folgendermaßen lautet:
»Meine Herren, unsere Forderungen betragen rund eine Million. Wir haben unseren Mann abgetakelt wie eine gescheiterte Fregatte. Die Nägel, das Eisen, das Holz, das Kupfer haben insgesamt dreihunderttausend Franken erbracht. Es entfallen also dreißig Prozent auf unsere Forderungen. Froh, daß wir soviel herausbekommen haben, während unser Schuldner uns nur hunderttausend Franken hätte lassen können, erklären wir ihn für einen Aristides, beantragen eine Anerkennungsbelohnung und eine Ehrenkrone für ihn und schlagen vor, ihm seine Aktiva zu belassen, indem wir ihm zehn bis zwölf Jahre Zeit gewähren, um uns noch fünfzig Prozent nachzuzahlen, die er so gütig ist, uns zu versprechen. Hier ist der Vergleich, kommen Sie an den Schreibtisch und unterzeichnen Sie ihn.«
Auf diese Rede hin beglückwünschen sich die frohen Kaufleute und umarmen sich. Nach der gerichtlichen Beglaubigung des Vergleichs wird der Kridar wieder ein Kaufmann wie vorher; man gibt ihm seine Aktiva zurück, er eröffnet sein Geschäft wieder, ohne daß ihm das Recht benommen ist, mit der zugesagten Dividende nochmals Konkurs zu machen, so einen kleinen Nachkonkurs, der oft vorkommt, wie wenn eine Mutter neun Monate nach der Hochzeit ihrer Tochter ein Kind zur Welt bringt.
Kommt ein Vergleich nicht zustande, so wählen die Gläubiger nunmehr die definitiven Syndici und treffen außergewöhnliche Vorkehrungen, indem sie sich zusammentun, um das Vermögen und das Geschäft ihres Schuldners zu Gelde zu machen, wobei sie ihre Hand auch auf alles das legen,