Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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zwi­schen be­vor­zug­ten und ge­schä­dig­ten Gläu­bi­gern kei­ne Ei­ni­gung zu er­zie­len ist, oder wenn der Ver­gleich gar zu be­trü­ge­risch und wenn die Ma­jo­ri­tät, de­ren der Schuld­ner be­darf, zwei­fel­haft ist. Aber bei ei­nem Fal­lis­se­ment, wo al­les zu Gel­de ge­macht ist wie bei ei­nem, wo ein Gau­ner sich mit al­len ge­ei­nigt hat, ist die Gläu­bi­ger­ver­samm­lung nur eine For­ma­li­tät. Pil­ler­ault ging zu al­len Gläu­bi­gern und bat sie ein­zeln, dem An­walt eine Voll­macht aus­zu­stel­len. Alle, aus­ge­nom­men du Til­let, hat­ten mit Cäsar auf­rich­ti­ges Mit­leid, nach­dem sie ihn zu­grun­de ge­rich­tet hat­ten. Je­der wuß­te, wie sich der Par­füm­händ­ler be­nom­men hat­te, in wel­cher Ord­nung sei­ne Bü­cher und wie klar sei­ne Ge­schäf­te wa­ren. Alle Gläu­bi­ger wa­ren froh, daß sich un­ter ih­nen kein »lus­ti­ger« Gläu­bi­ger be­fand. Mo­li­neux, der erst Agent, dann Syn­di­cus war, hat­te bei Cäsar al­les, was der arme Mann be­saß, vor­ge­fun­den, so­gar den Stich von Hero und Le­an­der, den ihm Po­pi­not ge­schenkt hat­te, sei­ne ei­ge­nen Schmuck­sa­chen, sei­ne Bril­lant­na­del, sei­ne gol­de­nen Schuh­schnal­len, sei­ne bei­den Ta­schen­uh­ren – alle die Din­ge, die selbst ein eh­ren­haf­ter Mann mit­ge­nom­men hät­te, ohne zu fürch­ten, daß er sich da­mit ei­ner Unehr­lich­keit schul­dig ma­chen kön­ne. Auch Kon­stan­ze hat­te ih­ren be­schei­de­nen Schmuck zu­rück­ge­las­sen. Die­se rüh­ren­de Un­ter­wer­fung un­ter das Ge­setz er­reg­te in der Han­dels­welt großes Auf­se­hen. Bi­rot­te­aus Fein­de er­klär­ten das für ein Zei­chen von Dumm­heit; aber die ver­stän­di­gen Leu­te sa­hen es in sei­nem wah­ren Lich­te als einen wun­der­ba­ren Über­schwang von Ehr­lich­keit an. In zwei Mo­na­ten war die Mei­nung der Bör­se um­ge­schla­gen. Die gleich­gül­tigs­ten Leu­te ge­stan­den, daß die­ses Fal­lis­se­ment eine der sel­tens­ten Merk­wür­dig­kei­ten in der Pa­ri­ser Ge­schäfts­welt sei. So ta­ten auch die Gläu­bi­ger, nach­dem sie er­fah­ren hat­ten, daß sie etwa sech­zig Pro­zent er­hal­ten wür­den, al­les, was Pil­ler­ault wünsch­te. Da es nur sehr we­ni­ge Kon­kurs­an­wäl­te gibt, hat­ten meh­re­re Gläu­bi­ger den­sel­ben An­walt be­voll­mäch­tigt. Pil­ler­ault ge­lang es schließ­lich, die furcht­ba­re Ver­samm­lung auf drei An­wäl­te, ihn selbst, Ra­gon, zwei Syn­di­ci und den Kon­kurs­ver­wal­ter zu be­schrän­ken.

      Am Mor­gen die­ses fei­er­li­chen Ta­ges sag­te Pil­ler­ault zu sei­nem Nef­fen: »Cäsar, du kannst ohne Angst heu­te in dei­ne Gläu­bi­ger­ver­samm­lung ge­hen, du wirst dort nie­man­den vor­fin­den.«

      Ra­gon woll­te sei­nen Schuld­ner be­glei­ten. Als sein Exnach­fol­ger die schwa­che, hei­se­re Stim­me des frü­he­ren Chefs der Ro­sen­kö­ni­gin ver­nahm, erblaß­te er; aber der gute klei­ne Alte öff­ne­te sei­ne Arme und Bi­rot­teau stürz­te sich hin­ein, wie in die Arme ei­nes Va­ters, und die bei­den Par­füm­händ­ler über­schwemm­ten ein­an­der mit ih­ren Trä­nen. Bi­rot­teau faß­te wie­der Mut, als er so viel nach­sich­ti­ge Güte sah, und stieg mit dem On­kel in den Wa­gen. Pünkt­lich um ein­halb elf Uhr er­schie­nen alle drei im Klos­ter Saint-Mer­ri, wo da­mals das Han­dels­ge­richt un­ter­ge­bracht war. Um die­se Stun­de be­fand sich nie­mand in dem für die Gläu­bi­ger­ver­samm­lun­gen be­stimm­ten Saa­le. Tag und Stun­de wa­ren mit den Syn­di­cis und dem Kon­kurs­ver­wal­ter ver­ein­bart wor­den. Die An­wäl­te wa­ren als Ver­tre­ter ih­rer Kli­en­ten er­schie­nen. So konn­te nichts Cäsar Bi­rot­teau ängs­ti­gen. Gleich­wohl trat der arme Mann nicht ohne tie­fe Er­schüt­te­rung in das Ar­beits­zim­mer des Herrn Ca­mu­sot, das zu­fäl­lig frü­her das sei­ni­ge ge­we­sen war, und er zit­ter­te da­vor, in den Ver­samm­lungs­saal ge­hen zu müs­sen.

      »Es ist kalt,« sag­te Ca­mu­sot zu Bi­rot­teau, »die Her­ren wer­den lie­ber hier blei­ben wol­len, an­statt daß wir in dem Saa­le frie­ren. Neh­men Sie Platz, mei­ne Her­ren.«

      Alle setz­ten sich und der Rich­ter gab sei­nen Ses­sel dem ver­wirr­ten Bi­rot­teau. Die An­wäl­te und die Syn­di­ci un­ter­zeich­ne­ten.

      »Da Sie Ihr gan­zes Ver­mö­gen zur Ver­fü­gung ge­stellt ha­ben,« sag­te Ca­mu­sot zu Bi­rot­teau, »so ha­ben die Gläu­bi­ger ein­stim­mig be­schlos­sen, auf den Rest ih­rer For­de­run­gen zu ver­zich­ten; der Text Ihres Ver­gleichs ist so ab­ge­faßt, daß das Ihren Kum­mer lin­dern wird; Ihr An­walt wird ihn so­fort le­ga­li­sie­ren las­sen; Sie sind nun frei. Alle Han­dels­rich­ter, mein ver­ehr­ter Herr Bi­rot­teau,« sag­te Ca­mu­sot und drück­te ihm die Hand, »sind schmerz­lich be­rührt von Ih­rer Lage, aber nicht über­rascht von Ihrem Mut, und es gibt nie­man­den, der Ih­rer Ehren­haf­tig­keit nicht Aner­ken­nung zollt. In Ihrem Un­glück ha­ben Sie sich Ih­rer Stel­lung hier wür­dig ge­zeigt. Seit zwan­zig Jah­ren ste­he ich im Ge­schäfts­le­ben, und es ist erst das zwei­te­mal, daß ich sehe, wie ein ins Un­glück ge­ra­te­ner Kauf­mann da­durch noch in der all­ge­mei­nen Ach­tung ge­stie­gen ist.«

      Bi­rot­teau drück­te dem Rich­ter die Hand mit Trä­nen in den Au­gen. Als Ca­mu­sot ihn frag­te, was er nun zu tun ge­den­ke, ant­wor­te­te er, daß er ar­bei­ten wol­le, um sei­ne Gläu­bi­ger voll be­zah­len zu kön­nen.

      »Wenn Sie zur Er­fül­lung die­ses ed­len Vor­ha­bens ei­ni­ge Tau­send Fran­ken nö­tig ha­ben, so kön­nen Sie sie im­mer bei mir fin­den,« sag­te Ca­mu­sot, »ich wür­de sie mit dem größ­ten Ver­gnü­gen her­ge­ben, um Zeu­ge ei­ner Hand­lungs­wei­se zu sein, die in Pa­ris ziem­lich sel­ten vor­kommt.«

      Pil­ler­ault, Ra­gon und Bi­rot­teau zo­gen sich zu­rück.

      »Na?« sag­te Pil­ler­ault an der Tür des Ge­richts­ge­bäu­des, »es hat den Hals nicht ge­kos­tet.«

      »Ich habe Ihre Hand da­bei er­kannt, lie­ber On­kel«, sag­te der arme Mann ge­rührt.

      »Da Ihre An­ge­le­gen­heit nun er­le­digt ist und wir nur ein paar Schritt bis zur Rue des Cinq-Dia­mants ha­ben, wol­len wir mei­nen Nef­fen be­su­chen«, sag­te Ra­gon zu ihm.

      Es war ein bit­te­res Ge­fühl für Bi­rot­teau, als er Kon­stan­ze in dem klei­nen, nied­ri­gen, dunklen Bu­reau im Zwi­schen­stock über dem La­den sit­zen sah, wo ein rie­si­ges, ein Drit­tel ih­res Fens­ters be­de­cken­des Schild mit der Auf­schrift A. Po­pi­not das Licht weg­nahm.

      »Das ist ei­ner von Alex­an­ders Of­fi­zie­ren«, sag­te Bi­rot­teau mit Gal­gen­hu­mor, in­dem er auf das Schild zeig­te.

      Die­se ge­zwun­ge­ne Lus­tig­keit, hin­ter der auch et­was von dem nai­ven un­ver­wüst­li­chen Ge­fühl von Über­le­gen­heit, die Bi­rot­teau sich zu­schrieb, ver­steckt war, ließ Ra­gon trotz sei­ner sieb­zig Jah­re er­zit­tern. Cäsar sah jetzt, wie sei­ne Frau her­un­ter­kam, um Brie­fe von Po­pi­not un­ter­zeich­nen zu las­sen; er konn­te sei­ne Trä­nen nicht zu­rück­hal­ten und erblaß­te.

      »Gu­ten Tag, lie­ber Cäsar«, be­grüß­te sie ihn mit lä­cheln­der Mie­ne.

      »Ich brau­che dich nicht zu fra­gen, ob du dich hier wohl fühlst«, sag­te Cäsar und sah Po­pi­not an.

      »Wie bei ei­nem Soh­ne«, er­wi­der­te sie mit so zärt­li­chem Aus­druck, daß er tief er­grif­fen wur­de.

      Bi­rot­teau um­arm­te Po­pi­not und sag­te: »Ich habe für im­mer das Recht ver­lo­ren, dich mei­nen Sohn nen­nen zu dür­fen.«

      »Wir wol­len die Hoff­nung


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