Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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sie bei dem Land­hau­se an­lang­ten, wur­den sie von Pil­ler­ault, den Ra­g­ons, dem Abbé Loraux und dem Rich­ter Po­pi­not mit Bli­cken und Be­grü­ßun­gen so emp­fan­gen, daß Cäsar sich wohl­fühl­te; alle wa­ren be­wegt, daß die­ser Mann im­mer noch so er­schi­en wie am Tage nach dem Her­ein­bre­chen sei­nes Un­glücks.

      »Geht ein biß­chen im Wäld­chen von Aul­nay spa­zie­ren,« sag­te der On­kel Pil­ler­ault und leg­te Cäsars Hand in Kon­stan­zens, »und nehmt An­selm und Cäsa­ri­ne mit! Um vier Uhr er­war­ten wir euch zu­rück.«

      »Die ar­men Leu­te, wir wür­den sie nur ge­nie­ren,« sag­te Frau Ra­gon, ge­rührt von der ech­ten Trau­er ih­res Schuld­ners, »er wird bald wie­der froh wer­den.«

      »Das nennt man Reue ohne Schuld«, sag­te der Abbé Loraux.

      »Er konn­te nur durch das Un­glück groß wer­den«, sag­te der Rich­ter.

      Ver­ges­sen kön­nen, das ist das große Ge­heim­nis star­ker, schöp­fe­ri­scher Per­sön­lich­kei­ten, ver­ges­sen, wie die Na­tur, die vom Ver­gan­ge­nen nichts weiß und zu je­der Stun­de das Mys­te­ri­um der un­er­müd­li­chen Zeu­gung sich er­neu­ern läßt. Schwa­che Exis­ten­zen, wie Bi­rot­teau, ver­har­ren in ih­rem Kum­mer, an­statt aus der Er­fah­rung eine Leh­re zu zie­hen, sie sät­ti­gen sich mit ihm und ver­nut­zen sich, in­dem sie tag­aus tagein ihr gan­zes Un­glück von An­fang an wie­der über­den­ken. Als die bei­den Paa­re den Weg nach dem Wäld­chen von Aul­nay be­tre­ten hat­ten, das einen der rei­zends­ten Ab­hän­ge in der Um­ge­bung von Pa­ris be­krönt, und sich der la­chen­de Blick auf das Vallée-aux-Loups öff­ne­te, lös­ten sich bei der Schön­heit des Ta­ges, der An­mut der Land­schaft, dem ers­ten Grün und den sü­ßen Erin­ne­run­gen an den schöns­ten Tag sei­ner Ju­gend die Fes­seln von Cäsars See­le; er preß­te den Arm sei­ner Frau an sein po­chen­des Herz, sein Auge ver­lor die glä­ser­ne Starr­heit und ließ den Glanz der Freu­de auf­leuch­ten.

      »End­lich ken­ne ich dich wie­der, mein ar­mer Cäsar«, sag­te Kon­stan­ze zu ih­rem Man­ne. »Ich den­ke, es geht uns jetzt so gut, daß wir uns ab und zu auch eine klei­ne Freu­de ge­stat­ten dür­fen.«

      »Darf ich das denn?« sag­te der arme Mann. »Ach, Kon­stan­ze, dei­ne Lie­be ist das ein­zi­ge Gut, das mir noch ge­blie­ben ist. Ja, ich habe al­les ver­lo­ren, so­gar das Ver­trau­en zu mir, ich füh­le kei­ne Kraft mehr in mir, mein ein­zi­ger Wunsch ist, noch so lan­ge zu le­ben, bis ich mei­ne ir­di­schen Ver­pflich­tun­gen er­füllt habe. Du, lie­bes Weib, du, die du für mich im­mer die Vor­sicht und die Klug­heit warst, du, die klar ge­se­hen hat, du, die du dir kei­ne Vor­wür­fe zu ma­chen brauchst, du kannst dir eine Freu­de gön­nen: ich al­lein bin un­ter uns drei­en der Schul­di­ge. Vor an­dert­halb Jah­ren, bei die­sem ver­häng­nis­vol­len Fes­te, da sah ich mei­ne Kon­stan­ze, das ein­zi­ge Weib, das ich ge­liebt habe, viel­leicht in noch strah­len­de­rer Schön­heit vor mir als das jun­ge Mäd­chen, mit dem ich vor zwan­zig Jah­ren auf die­sem Wege wan­del­te, auf dem jetzt un­se­re Kin­der ge­hen! … In an­dert­halb Jah­ren habe ich die­se Schön­heit, mei­nen Stolz, mei­nen be­rech­tig­ten Stolz, ver­nich­tet … Je bes­ser ich dich ken­ne, um so mehr lie­be ich dich. Ach, Liebs­te,« sag­te er mit ei­nem Tone, der sei­ner Frau ans Herz ging, »ich woll­te, daß du mich lie­ber schel­test, als daß ich se­hen muß, wie du dich be­mühst, mir mei­nen Kum­mer zu lin­dern.«

      »Und ich, ich habe nicht ge­dacht,« er­wi­der­te sie, »daß nach zwan­zig­jäh­ri­ger Ehe die Lie­be ei­ner Frau zu ih­rem Man­ne noch in­ni­ger wer­den könn­te.«

      Die­se Wor­te lie­ßen Cäsar für einen Au­gen­blick all sein Un­glück ver­ges­sen, denn für ein Herz wie das sei­ne be­deu­te­ten sie einen Schatz. Und so ging er bei­na­he hei­ter auf »ih­ren« Baum zu, der zu­fäl­li­ger­wei­se nicht ab­ge­schla­gen wor­den war. Das Ehe­paar ließ sich un­ter ihm nie­der und sah auf An­selm und Cäsa­ri­ne, die um die­sel­be Wie­se her­um­gin­gen, ohne es zu mer­ken, und die wahr­schein­lich glaub­ten, den an­dern noch im­mer vor­aus zu ge­hen.

      »Lie­bes Fräu­lein,« sag­te An­selm, »hal­ten Sie mich für so nied­rig ge­sinnt und so hab­gie­rig, daß ich den An­teil Ihres Va­ters an dem Hui­le Cé­pha­li­que er­wor­ben habe, um ihn für mich aus­zu­nut­zen? Mit Freu­den be­wah­re ich sei­ne Hälf­te für ihn auf und lege sie für ihn an. Und wenn mir da­bei Wert­pa­pie­re zwei­fel­haft er­schei­nen, so über­neh­me ich sie auf mei­ne Rech­nung. Wir kön­nen ein­an­der erst am Tage nach der Re­ha­bi­li­tie­rung Ihres Va­ters an­ge­hö­ren, aber ich be­schleu­ni­ge die­ses Da­tum mit all der Kraft, die die Lie­be ver­leiht.«

      Der Lie­ben­de hat­te sich wohl ge­hü­tet, sein Ge­heim­nis sei­ner Schwie­ger­mut­ter zu ver­ra­ten. Auch bei den harm­lo­ses­ten Ver­lieb­ten ist im­mer der Wunsch le­ben­dig, in den Au­gen ih­rer Ge­lieb­ten groß zu er­schei­nen.

      »Und wird das bald sein?« frag­te sie.

      »Bald«, er­wi­der­te Po­pi­not. Die­se Ant­wort wur­de in ei­nem so zu Her­zen ge­hen­den Ton ge­ge­ben, daß die züch­ti­ge, rei­ne Cäsa­ri­ne ih­rem ge­lieb­ten An­selm ihre Stirn dar­bot, auf die er einen hei­ßen, aber re­spekt­vol­len Kuß drück­te – so­viel Adel lag in der Hal­tung die­ses Kin­des.

      »Al­les geht gut, Papa«, sag­te sie mit schlau­em Ge­sicht zu Cäsar. »Sei nett, plau­de­re mit uns und lege dei­ne fins­te­re Mie­ne ab.«

      Als die so in­nig ver­ein­te Fa­mi­lie in Pil­ler­aults Haus zu­rück­kehr­te, be­merk­te Cäsar, ein so schlech­ter Beo­b­ach­ter er sonst war, doch in Ra­g­ons We­sen eine Ver­än­de­rung, die auf ein wich­ti­ges Er­eig­nis schlie­ßen ließ. Auch Frau Ra­g­ons Be­grü­ßung war so lie­bens­wür­dig, als ob ihr Blick und ihr Ton Cäsar zu ver­ste­hen ge­ben woll­ten: »Wir sind be­zahlt.«

      Beim Nach­tisch er­schi­en der No­tar von Sceaux; Pil­ler­ault bat ihn, Platz zu neh­men, und sah Bi­rot­teau an, der eine Über­ra­schung zu ah­nen be­gann, ohne sich ihre Be­deu­tung er­klä­ren zu kön­nen.

      »Lie­ber Nef­fe, in die­sen an­dert­halb Jah­ren ha­ben die Er­spar­nis­se dei­ner Frau, dei­ner Toch­ter und die dei­ni­gen zwan­zig­tau­send Fran­ken er­bracht. Ich habe drei­ßig­tau­send Fran­ken als Kon­kurs­di­vi­den­de emp­fan­gen; wir kön­nen also dei­nen Gläu­bi­gern fünf­zig­tau­send Fran­ken be­zah­len. Herr Ra­gon hat als Di­vi­den­de eben­falls drei­ßig­tau­send Fran­ken er­hal­ten; der Herr No­tar bringt dir da­her eine Quit­tung, daß dei­ne Freun­de voll, mit Zin­sen, be­zahlt sind. Der Rest der Sum­me liegt bei Crot­tat, zur Be­frie­di­gung Lour­dois’, der Mut­ter Ma­dou, des Mau­rer- und Tisch­ler­meis­ters und dei­ner dring­lichs­ten Gläu­bi­ger. Im nächs­ten Jah­re wol­len wir wei­ter se­hen. Mit ge­dul­di­gem Aus­har­ren er­reicht man viel.«

      Bi­rot­te­aus Freu­de war un­be­schreib­lich und wei­nend warf er sich dem On­kel in die Arme.

      »Heu­te darf er sein Kreuz wie­der an­le­gen«, sag­te Ra­gon zum Abbé Loraux.

      Der Beicht­va­ter be­fes­tig­te das rote Band am Knopf­loch des An­ge­stell­ten, der sich wäh­rend des Abends zwan­zig­mal im Spie­gel be­sah und eine Freu­de be­zeig­te, über wel­che Leu­te, die sich für er­ha­ben über so et­was hal­ten, ge­lacht hät­ten, die aber die gu­ten Bür­gers­leu­te durch­aus na­tür­lich fan­den. Am nächs­ten Tage be­gab sich Bi­rot­teau zu Frau Ma­dou.

      »Ach,


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