Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
Gesetzeslücke. Die Regierung sollte sich mit den Interessen der Hausbesitzer befassen. Das ist für den Etat die Hauptsache, wir sind die Grundpfeiler des Steuerwesens.«
»Sie sind gewiß imstande, der Regierung Aufklärungen zu geben,« sagte Pillerault; »aber worin können wir Ihnen in bezug auf unsere Angelegenheit Aufklärungen geben?«
»Ich wünsche zu wissen,« sagte Molineux mit emphatischer Wichtigkeit, »ob Herr Birotteau eine Summe von Herrn Popinot erhalten hat.«
»Nein, Herr Molineux«, sagte Birotteau.
Es folgte nun eine Auseinandersetzung über die Beteiligung Birotteaus bei der Firma Popinot, aus der sich ergab, daß Popinot das Recht auf volle Rückzahlung seiner Vorschüsse hatte, ohne für die halben Kosten der Etablierung, die Birotteau ihm schuldete, als Konkursgläubiger auftreten zu müssen. Der Syndicus Molineux, von Pillerault geschickt behandelt, bequemte sich unmerklich zu liebenswürdigerem Benehmen, ein Beweis, wieviel ihm an der Meinung der Stammgäste des Cafés David gelegen war. Schließlich tröstete er Birotteau und bat ihn, ebenso wie Pillerault, sein bescheidenes Mittagessen mit ihm zu teilen. Wäre der ehemalige Parfümhändler allein gekommen, so hätte er Molineux vielleicht gereizt, und die ganze Sache wäre verschlimmert worden. Bei dieser Gelegenheit, wie bei mancher anderen, war der alte Pillerault sein Schutzengel.
Eine schauderhafte Marter wird vom Handelsgesetzbuch den Kridaren auferlegt: sie müssen in Person, begleitet von den provisorischen Syndicis und dem Konkursverwalter vor der Gläubigerversammlung erscheinen, in der über ihr Schicksal entschieden wird. Für den, der sich über alles hinwegsetzt, wie für den Kaufmann, der sich rächen will, hat dieses traurige Zeremoniell nichts Beängstigendes. Aber für einen Mann wie Cäsar Birotteau bedeutete diese Marter dasselbe, wie der letzte Tag eines zum Tode Verurteilten. Pillerault tat sein möglichstes, um seinem Neffen diesen fürchterlichen Tag ertragbar zu machen.
Molineux ging im Einverständnis mit dem Kridar nun folgendermaßen vor: Der Prozeß über die Grundstücke in der Rue du Faubourg-du-Temple war vor dem Obergericht gewonnen worden. Die Syndici hatten entschieden, daß diese Besitzungen verkauft werden sollten, und Cäsar hatte sich dem nicht widersetzt. Du Tillet, der Wind bekommen hatte, daß von der Regierung der Bau eines Kanals in Aussicht genommen war, der Saint-Denis mit der oberen Seine verbinden sollte, erwarb Birotteaus Grundstücke für siebzigtausend Franken. Die Anrechte Cäsars an den Terrains an der Madeleine wurden an Claparon abgetreten, unter der Bedingung, daß er seinerseits auf alle Ansprüche auf die von Birotteau geschuldete Hälfte der Registrierungskosten des Vertrages verzichtete und sich verpflichtete, den Preis für die Terrains zu erlegen, sobald die Konkursdividende an die Gläubiger ausgezahlt würde. Der Anteil des Parfümhändlers an der Firma Popinot & Co. wurde an Popinot für achtundvierzigtausend Franken verkauft. Das Geschäft der Rosenkönigin kaufte Cölestin Crevel für siebenundfünfzigtausend Franken mit dem Mietsrecht, den Waren, den Möbeln, dem Patent auf die Sultaninnenpaste und das Eau Carminative und dem zwölfjährigen Mietsrecht der Fabrik, deren Inventar ihm gleichfalls überlassen wurde. Die liquiden Aktiva beliefen sich demnach auf hundertfünfundneunzigtausend Franken, zu denen die Syndici noch die siebzigtausend Franken hinzufügen konnten, die Birotteau aus der Liquidation des unseligen Roguin zuflossen. Die gesamten Aktiva betrugen also zweihundertfünfundfünfzigtausend Franken. Da die Passiva vierhundertvierzig ausmachten, so war die Dividende höher als fünfzig Prozent.
Das Fallissement gleicht einer chemischen Operation, aus der ein gewandter Kaufmann wohlbehalten hervorzugehen versteht. Birotteau, der durch und durch in dieser Retorte destilliert worden war, ging so daraus hervor, daß du Tillet wütend darüber war. Er hatte auf einen entehrenden Konkurs gerechnet, und mußte nun sehen, daß hier alles ehrenhaft vor sich gegangen war. Wenig auf einen Gewinn bedacht, denn er hatte die Terrains an der Madeleine an sich gebracht, ohne den Geldbeutel aufzumachen zu brauchen, hätte er den armen Detailhändler gern entehrt, vernichtet und verunglimpft gesehen. Und nun würden die Gläubiger bei der Generalversammlung den Parfümhändler wahrscheinlich im Triumphe herumtragen.
In dem Maße wie Birotteau wieder Mut schöpfte, setzte ihn sein Onkel, als vorsichtiger Arzt, dosenweise in Kenntnis von dem Verlauf des Konkurses. Diese einzelnen grausamen Maßnahmen wirkten wie ebenso viele Nackenschläge. Kein Kaufmann hört ohne Kummer, welchen elenden Preis die Dinge bringen, die ihn so viel Geld und so viele Mühe gekostet haben. Die Nachrichten, die ihm der Onkel mitteilte, machten ihn förmlich erstarren.
»Siebenundfünfzigtausend Franken für die Rosenkönigin! Aber das Lager allein hat mich ja zehntausend und die Einrichtung der Wohnung vierzigtausend Franken gekostet; die Anlage der Fabrik, die Utensilien, die Formen, die Pfannen, dreißigtausend Franken! Selbst bei einem Abzug von fünfzig Prozent befinden sich noch für zehntausend Franken Waren in meinem Laden, und die Paste und das Eau Carminative sind allein ein Landgut wert!«
Diese Jeremiaden des armen zugrunde gerichteten Cäsar erschütterten Pillerault durchaus nicht. Der alte Kaufmann ließ sie über sich ergehen wie ein Pferd vor einer Tür einen Regenguß; aber ihn erschreckte das dumpfe Schweigen, das der Parfümhändler bewahrte, wenn von der Gläubigerversammlung die Rede war. Wenn man versteht, daß in jeder sozialen Sphäre der Mensch seine Eitelkeiten und Schwächen besitzt, was für ein schauderhaftes Martyrium mußte es für diesen Mann sein, als Kridar im Palais des Handelsgerichts zu erscheinen, das er bisher als Richter betreten hatte! Sich dort beschimpfen zu lassen, wo ihm so viele Male für geleistete Dienste der Dank ausgesprochen worden war! Er, Birotteau, dessen unbeugsame Verurteilung der Bankrotteure in der gesamten Pariser Handelswelt bekannt war, er, der gesagt hatte: »Wenn man seinen Konkurs anmeldet, kann man noch ein ehrenhafter Mensch sein, aber aus einer Gläubigerversammlung kommt man als ein Schuft heraus!« Der Onkel suchte sich geeignete Stunden aus, um ihn mit dem Gedanken vertraut zu machen, vor seinen Gläubigern, wie es das Gesetz vorschrieb, erscheinen zu müssen. Aber diese Pflicht war für Birotteau der Tod. Seine stumme Ergebung machte einen starken Eindruck auf Pillerault, der häufig nachts durch die Tür hörte, wie er ausrief: »Niemals, niemals, eher sterbe ich!«
Pillerault,