Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
sagte sie.
»So gehöre ich also endlich zur Familie und habe ein Recht darauf, mich mit ihren Angelegenheiten zu befassen«, sagte er mit eigenartigem Ausdruck.
Anselm stürzte fort, um seine Freude, die allzusehr mit dem Schmerze seines Prinzipals in Kontrast gestanden hätte, nicht zu zeigen. Anselm war gewiß nicht etwa froh über den Konkurs, aber die Liebe ist so rücksichtslos, so egoistisch! Auch Cäsarine empfand eine Herzenserregung, die mit ihrer bitteren Betrübnis nicht in Einklang stand.
»Da wir einmal so weit sind,« sagte Pillerault leise zu Konstanze, »so wollen wir auch gleich alles ins reine bringen.«
Frau Birotteau ließ einen Laut des Schmerzes, nicht der Zustimmung, hören.
»Lieber Neffe,« sagte Pillerault und wandte sich an Cäsar, »was gedenkst du nun zu tun?«
»Mein Geschäft weiterbetreiben.«
»Ich bin anderer Meinung«, sagte Pillerault. »Liquidiere, verteile die Aktiva an deine Gläubiger und etabliere dich nicht wieder in Paris. Ich habe mich oft in eine Lage wie die deinige versetzt … (Oh, im Geschäftsleben soll man auf alles gefaßt sein! Der Kaufmann, der nicht damit rechnet, daß er auch einmal bankrott werden kann, ist wie ein General, der als sicher annimmt, daß er niemals geschlagen werden kann, er ist nur ein halber Kaufmann.) Ich würde niemals das Geschäft weiterführen. Wie? Immer vor den Leuten erröten müssen, die man geschädigt hat, ihre mißtrauischen Blicke, ihre stillen Vorwürfe ertragen! Ich kann auch die Guillotine begreifen! … Ein Augenblick, und alles ist vorüber. Aber zu empfinden, wie Einem der Kopf neu wächst und jeden Tag wieder abgeschlagen wird, das ist eine Marter, der ich mich entziehen würde. Gewiß setzen viele Leute ihr Geschäft wieder fort, als ob gar nichts passiert wäre! Um so besser für sie! Dann sind sie widerstandsfähiger als Joseph Pillerault. Kaufst du gegen bar, so sagen sie, du hast etwas hinterzogen; hast du nichts, dann kannst du niemals wieder in die Höhe kommen. Mach ein Ende! Gib ihnen deine Aktiva hin, laß sie dein Geschäft verkaufen und fang etwas anderes an.«
»Aber was?« sagte Cäsar.
»Suche dir doch eine Stellung«, sagte Pillerault. »Du verfügst doch über Protektion! Da sind der Herzog und die Herzogin von Lenoncourt, Frau von Mortsauf, Herr von Vandenesse, schreib ihnen, suche sie auf, sie werden dich schon bei Hofe mit einem Gehalt von etwa tausend Talern unterbringen; deine Frau wird ebensoviel verdienen, deine Tochter vielleicht auch. Deine Lage ist also nicht verzweifelt. Zu dritt könnt ihr etwa zehntausend Franken jährlich zusammenbringen. Dann kannst du in zehn Jahren hunderttausend Franken abzahlen, denn von dem, was ihr verdient, wirst du doch nichts für dich behalten wollen; die beiden Frauen bekommen von mir fünfzehnhundert Franken für ihre persönlichen Ausgaben, und was dich selbst anlangt, so wird sich schon Rat finden.«
Konstanze, aber nicht Cäsar, ließ sich diesen klugen Vorschlag durch den Kopf gehen. Pillerault begab sich zur Börse, die damals in einer provisorischen runden, aus Holz errichteten Halle abgehalten wurde, deren Eingang sich an der Rue Faydeau befand. Der Konkurs des bekannten und beneideten Parfümhändlers, der sich schon herumgesprochen hatte, verursachte allgemeine Aufregung bei den Großhändlern, die damals zur konstitutionellen Partei gehörten. Diese liberalen Kaufleute betrachteten Birotteaus Fest als einen kecken Angriff auf ihre Anschauungen. Die Oppositionellen beanspruchten für sich das Monopol der Popularität. Den König zu lieben, das sollte den Royalisten gestattet sein, aber das Vaterland zu lieben, das war das Privileg der Linken; das Volk gehörte ihr zu eigen. Die Regierung hatte nicht das Recht, durch ihre Organe ein Fest feiern zu lassen aus einem Anlaß, den die Liberalen ausschließlich für sich ausbeuten wollten. Der Sturz eines Schützlings des Hofes, eines Regierungsanhängers, eines unverbesserlichen Royalisten, der am 18. Vendémiaire die Freiheit beschimpft hatte, indem er gegen die glorreiche französische Revolution kämpfte, dieser Sturz wurde mit Freudentänzen und Beifallsbezeugungen von der Börse begrüßt. Pillerault wollte sich eingehend über die herrschenden Ansichten unterrichten. In der lärmendsten Gruppe sah er du Tillet, Gobenheim-Keller, Nucingen, den alten Guillaume und seinen Schwiegersohn Joseph Lebas, Claparon, Gigonnet, Mongenod, Camusot, Gobseck, Adolph Keller, Palma, Chiffreville, Matifat, Grindot und Lourdois.
»Wie vorsichtig man sein muß!« sagte Gobenheim zu du Tillet, »es hat nur an einem Haar gehangen und meine Schwäger hätten Birotteau einen Kredit gewährt!«
»Ich sitze mit zehntausend Franken drin, die er von mir vor vierzehn Tagen entliehen hat, und die ich ihm auf seine bloße Unterschrift gegeben habe«, sagte du Tillet. »Aber er hat mir früher mal einen Dienst erwiesen, ich werde um den Verlust nicht trauern.«
»Er hat es gemacht wie alle andern, Ihr Herr Neffe,« sagte Lourdois zu Pillerault, »er hat Feste gegeben! Daß ein Schwindler Sand in die Augen zu streuen versucht, um das Vertrauen zu erhöhen, das verstehe ich; aber wie kann ein Mann, der zu der Auslese der rechtschaffenen Leute gezählt wurde, zu diesem Köder des alten Charlatanismus greifen, auf den wir immer noch anbeißen!«
»Wie die Blutegel«, sagte Gobseck.
»Man darf nur Leuten trauen, die in solchen Löchern wohnen wie Claparon«, sagte Gigonnet.
»Na,« sagte der dicke Baron von Nucingen zu du Tillet, »Se haben mir wollen spielen ’n Schabernack, daß Se mir haben geschickt den Pirotteau. Ich weiß nich,« fuhr er fort, indem er sich an Gobenheim, den Fabrikanten, wandte, »warum er sich nich hat holen lassen von mir funfzigtausend Franken, ich hätt se ihm gegeben.«
»Ach nein, Herr Baron«, sagte Joseph Lebas. »Sie wußten recht gut, daß die Bank seine Wechsel nicht nehmen wollte, Sie haben sie ja vom Aufsichtsrate zurückweisen lassen. Die Angelegenheit dieses armen Mannes, für den ich immer noch die größte Achtung hege, hängt mit ganz besonderen Umständen zusammen …«
Pillerault drückte Joseph Lebas die Hand.
»Es ist in der Tat unmöglich,« sagte Mongenod, »sich zu erklären, wie das gekommen ist, wenn man nicht annimmt, daß hinter Gigonnet Bankleute stecken, die das Terraingeschäft an der Madeleine ruinieren wollen.«
»Es ist ihm gegangen, wie es immer Leuten gehen wird, die aus ihrem eigentlichen Wirkungskreise heraustreten«, unterbrach Claparon Mongenod. »Hätte er sein Huile Céphalique selbst herausgebracht, anstatt sich darauf zu legen, uns die Pariser Terrains zu verteuern,