Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
sehe, daß man Ihnen nichts zu erklären braucht, wir werden also kurz sein,« sagte Pillerault, »Sie haben Wechsel an die Order von Claparon in Händen?«
»Ja.«
»Wollen Sie fünfzigtausend Franken davon gegen Wechsel des Herrn Popinot hier eintauschen, wohl verstanden mit einem Abzug?«
Gigonnet nahm seine scheußliche grüne Mütze ab, die man für angewachsen hätte halten können, zeigte auf seinen kahlen Schädel von der Farbe frischer Butter, verzog sein Gesicht zu einer Grimasse wie Voltaire und sagte: »Wenn Sie mich mit Haaröl bezahlen wollen, was soll ich damit anfangen?«
»Wenn Sie scherzen wollen, dann können wir uns zurückziehen«, sagte Pillerault.
»Sie reden wie ein Weiser, der Sie ja auch sind«, sagte Gigonnet mit schmeichelhaftem Lächeln.
»Nun, und wenn ich die Wechsel des Herrn Popinot girieren würde?« sagte Pillerault, indem er einen letzten Angriff versuchte.
»Sie sind so gut wie ungemünztes Gold, Herr Pillerault, aber ich brauche kein Gold, ich will bloß mein Geld haben.«
Pillerault und Popinot grüßten und entfernten sich. Am Fuße der Treppe wankten Popinot noch die Beine.
»Ist das ein Mensch?« sagte er zu Pillerault.
»Man behauptet es«, erwiderte der Alte. »Behalte diese kurze Besprechung für immer im Gedächtnis, Anselm! Du hast hier das Bankwesen ohne die Tünche seiner liebenswürdigen äußeren Formen zu Gesicht bekommen. Unerwartete Ereignisse sind die Schraube an der Kelter, wir sind die Trauben und die Bankiers sind die Bottiche. Das Terraingeschäft ist sicher gut; Gigonnet oder einer seiner Hintermänner wollen Cäsar erwürgen und sich seiner Haut bemächtigen: damit ist alles gesagt, eine Hilfe ist unmöglich. So ist die Bankwelt, wende dich niemals an sie!«
Nach dem schrecklichen Vormittag, an dem Frau Birotteau zum erstenmal die Adressen der Leute, die ihr Geld holen wollten, notieren und den Bankboten ohne Zahlung zurückschicken mußte, sah die tapfere Frau, die glücklich war, ihrem Manne diesen Jammer ersparen zu können, um elf Uhr Pillerault und Popinot zurückkommen, auf die sie mit immer wachsender Angst gewartet hatte; sie las die Entscheidung auf ihren Gesichtern. Die Anmeldung des Konkurses war unvermeidlich geworden.
»Der Kummer wird ihn töten«, sagte die arme Frau.
»Ich möchte es ihm wünschen,« sagte Pillerault ernst, »aber er ist so fromm, daß unter diesen Umständen nur sein Beichtvater, der Abbé Loraux, ihm helfen kann.«
Pillerault, Popinot und Konstanze warteten, bis ein Kommis den Abbé Loraux geholt hatte, bevor sie die Bilanz, die Cölestin fertiggestellt hatte, Cäsar zur Unterschrift vorlegen wollten. Die Kommis waren in Verzweiflung, denn sie verehrten ihren Prinzipal. Um vier Uhr erschien der gute Priester, Konstanze setzte ihn in Kenntnis von dem Unglück, das über sie hereingebrochen war, und der Abbé ging hinauf, wie ein Soldat, der auf die Bresche steigt.
»Ich weiß, weshalb Sie kommen«, rief ihm Birotteau entgegen.
»Mein Sohn,« sagte der Priester, »Ihre Ergebenheit in den Willen Gottes ist mir seit langem bekannt; jetzt handelt es sich darum, sie auch zu betätigen; halten Sie Ihren Blick immer auf das Kreuz gerichtet, hören Sie nicht auf, es anzuschauen, und denken Sie dabei an die Demütigungen, mit denen der Erlöser der Menschheit geprüft worden ist. Denken Sie an die Angstgefühle seiner Passion, dann werden Sie die Kränkungen, die Gott über Sie verhängt hat, besser ertragen können …«
»Mein Bruder, der Abbé, hat mich schon darauf vorbereitet«, sagte Cäsar und zeigte den Brief, den er von neuem gelesen hatte, seinem Beichtvater.
»Sie haben einen guten Bruder,« sagte Loraux, »eine tugendhafte, liebevolle Frau, eine zärtliche Tochter, zwei echte Freunde, Ihren Onkel und den guten Anselm, zwei nachsichtige Gläubiger, die Ragons; alle diese guten Herzen werden beständig Balsam auf Ihre Wunden gießen und Ihnen Ihr Kreuz tragen helfen. Versprechen Sie mir, die Standhaftigkeit eines Märtyrers zu zeigen und den Schlag zu ertragen, ohne schwach zu werden.« Der Abbé hustete, um Pillerault anzuzeigen, daß er im Salon sei.
»Meine Ergebung ist unbegrenzt«, sagte Cäsar ruhig. »Die Unehre ist da, ich darf an nichts anderes denken, als meine Ehre wieder herzustellen.«
Der Ton des armen Parfümhändlers und sein Aussehen überraschten Cäsarine und den Priester. Gleichwohl war nichts natürlicher. Alle Menschen ertragen eher ein feststehendes, unabänderliches Unglück als die schreckliche Ungewißheit eines Schicksals, das sie von einem Augenblick zum andern zwischen höchster Freude und tiefstem Jammer hin und her schwanken läßt.
9
»Zwanzig Jahre bin ich in einem Traume befangen gewesen, heute bin ich erwacht mit meinem Knüttel in der Hand«, sagte Cäsar, der wieder der alte Bauer aus der Touraine geworden war.
Als er diese Worte vernahm, umarmte Pillerault seinen Neffen. Jetzt bemerkte Cäsar seine Frau, Anselm und Cölestin. Die Papiere, die der erste Kommis in der Hand hielt, sagten alles. Cäsar betrachtete mit ruhigem Gesicht die Gruppe, aus der alle Blicke traurig, aber voller Liebe auf ihn gerichtet waren.
»Einen Augenblick!« sagte er, nahm sein Ordenskreuz ab und reichte es dem Abbé Loraux, »Sie werden es mir wiedergeben, wenn ich es wieder in Ehren tragen darf. Cölestin,« fügte er hinzu, »setzen Sie mein Entlassungsgesuch als Beigeordneter auf. Der Herr Abbé wird Ihnen den Brief diktieren, datieren Sie ihn vom vierzehnten und lassen Sie ihn von Raguet zu Herrn von Billardière bringen.«
Cölestin und der Abbé Loraux gingen hinunter. Eine Viertelstunde lang herrschte tiefes Schweigen in Cäsars Zimmer. Seine Standhaftigkeit überraschte die Familie. Als Cölestin und der Abbé zurückkamen, unterzeichnete Cäsar sein Entlassungsgesuch. Als aber der Onkel Pillerault ihm die Bilanz vorlegte, konnte der arme Mann ein furchtbares nervöses Zusammenzucken nicht unterdrücken.
»Mein Gott, erbarme dich meiner«, sagte er, als er unterschrieb und das Schriftstück Cölestin hinreichte.
»Herr Birotteau,« sagte jetzt Anselm Popinot, und über seine Stirn ergoß sich ein helles Leuchten, »gnädige Frau, erweisen Sie mir die Ehre, mir die Hand Fräulein Cäsarines zu bewilligen.«
Bei diesen Worten füllten sich die Augen aller Anwesenden mit Tränen, nur Cäsars nicht,