Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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ei­ner Stun­de, die un­ter den Au­gen des stum­men Pil­ler­ault ab­ge­hal­ten wur­de, schüt­tel­te der An­walt den Kopf und sah Pil­ler­ault an.

      »Gnä­di­ge Frau,« sag­te er mit der schreck­li­chen Kalt­blü­tig­keit des Ge­schäfts­man­nes, »es muß Kon­kurs an­ge­mel­det wer­den. An­ge­nom­men selbst, daß Sie mit ir­gend­ei­nem Kunst­griff mor­gen zah­len kön­nen, es sind doch min­des­tens drei­hun­dert­tau­send Fran­ken zu be­zah­len, be­vor man die Ter­rains be­lei­hen kann. Ge­gen­über den Pas­si­ven von fünf­hun­dert­fünf­zig­tau­send Fran­ken ha­ben Sie Ak­ti­va, die sehr schön, sehr ge­winn­brin­gend, aber nicht rea­li­sier­bar sind, und in ab­seh­ba­rer Zeit muß der Zu­sam­men­bruch doch er­fol­gen. Nach mei­ner An­sicht ist es bes­ser, aus dem Fens­ter zu sprin­gen, als sich die Trep­pe hin­ab­fal­len zu las­sen.«

      »Das ist auch mei­ne Mei­nung, mein Kind«, sag­te Pil­ler­ault.

      Frau Kon­stan­ze und Pil­ler­ault be­glei­te­ten Der­ville hin­aus.

      »Du ar­mer Va­ter«, sag­te Cäsa­ri­ne, die sich lei­se er­ho­ben hat­te, um einen Kuß auf Cäsars Stirn zu drücken. »An­selm hat also nicht hel­fen kön­nen?« frag­te sie, als der On­kel und die Mut­ter zu­rück­ka­men.

      »Der Un­dank­ba­re!« rief Cäsar, der von die­sem Na­men an der ein­zi­gen Stel­le sei­nes Ge­dächt­nis­ses, die noch Emp­fin­dung hat­te, ge­trof­fen wur­de, wie eine Kla­vier­tas­te er­klingt, wenn der Ham­mer ihre Sai­ten an­ge­schla­gen hat.

      Von dem Au­gen­blick an, da die­ses Wort ihm wie ein Fluch ent­ge­gen­ge­schleu­dert wor­den war, hat­te der klei­ne Po­pi­not nicht einen Mo­ment Schlaf oder Ruhe ge­habt. Der un­glück­li­che Jun­ge ver­wünsch­te sei­nen On­kel und be­gab sich zu ihm. Um des­sen alte Ju­ris­ten­er­fah­rung zu wi­der­le­gen, wand­te er die Be­red­sam­keit des Lie­ben­den auf und hoff­te, da­mit einen Mann um­stim­men zu kön­nen, an dem Men­schen­wor­te ab­glit­ten wie Was­ser an ei­nem Wachs­tuch, einen Rich­ter!

      »Vom Stand­punk­te des Kauf­manns aus«, sag­te er, »ist es all­ge­mein ge­stat­tet, daß der tä­ti­ge Ge­sell­schaf­ter dem stil­len Ge­sell­schaf­ter einen ge­wis­sen Be­trag auf den Ge­winn im vor­aus aus­zahlt, und un­se­re Ge­sell­schaft wird Ge­winn brin­gen. Nach ge­nau­er Prü­fung mei­ner Ge­schäfts­la­ge füh­le ich mich stark ge­nug, die vier­zig­tau­send Fran­ken in drei Mo­na­ten zah­len zu kön­nen. Cäsars Ehren­haf­tig­keit läßt kei­nen Zwei­fel dar­über zu, daß er die vier­zig­tau­send Fran­ken zum Ein­lö­sen sei­ner Wech­sel ver­wen­den wird. Wenn er also auch Kon­kurs an­mel­den müß­te, so könn­ten uns die Gläu­bi­ger kei­ner­lei Vor­wür­fe ma­chen! Und im üb­ri­gen, lie­ber On­kel, will ich lie­ber vier­zig­tau­send Fran­ken ver­lie­ren als Cäsa­ri­ne. In die­sem Au­gen­blick hat sie si­cher schon mei­ne Wei­ge­rung er­fah­ren und wird mich ver­ach­ten. Ich habe ge­sagt, ich wol­le für mei­nen Wohl­tä­ter mein Blut hin­ge­ben! Ich ste­he jetzt so wie ein jun­ger Ma­tro­se, der beim Schiff­bruch sei­nem Ka­pi­tän die Hand hin­reicht, wie ein Sol­dat, der mit sei­nem Ge­ne­ral fal­len will.«

      »Du bist ein bra­ves Herz, aber ein schlech­ter Kauf­mann, mei­ne Ach­tung bleibt dir«, sag­te der Rich­ter und drück­te sei­nem Nef­fen die Hand. »Ich habe viel über die Sa­che nach­ge­dacht,« fuhr er fort, »ich weiß, daß du bis über die Ohren in Cäsa­ri­ne ver­liebt bist, ich glau­be, es ist doch mög­lich, daß du den For­de­run­gen des Her­zens wie des Han­dels­rechts ge­nü­gen kannst.«

      »Ach, lie­ber On­kel, wenn Sie einen sol­chen Aus­weg ge­fun­den ha­ben, so ret­ten Sie mir mei­ne Ehre.«

      »Schie­ße Bi­rot­teau fünf­zig­tau­send Fran­ken vor, in­dem du dir gleich­zei­tig ein Rück­kaufs­recht auf sei­nen An­teil an eu­rem Öl­ge­schäft ver­trags­mä­ßig si­cherst, das ein Ei­gen­tums­recht dar­stellt, ich wer­de dir den Ver­trag auf­set­zen.«

      An­selm um­arm­te sei­nen On­kel, eil­te nach Hau­se, stell­te Wech­sel über fünf­zig­tau­send Fran­ken aus und rann­te von der Rue des Cinq-Dia­mants nach der Place Ven­dô­me, wo er in dem Au­gen­blick ein­traf, als Cäsa­ri­ne, ihre Mut­ter und der On­kel Pil­ler­ault den Par­füm­händ­ler an­blick­ten, über­rascht von dem Gra­be­ston, mit dem er das Wort »Un­dank­ba­rer!« als Ant­wort auf die Fra­ge sei­ner Toch­ter aus­ge­spro­chen hat­te. Die Tür öff­ne­te sich und Po­pi­not er­schi­en.

      8

      »Mein ge­lieb­ter, teu­rer Prin­zi­pal,« sag­te er und trock­ne­te sich die schweiß­trie­fen­de Stirn, »hier neh­men Sie, was Sie ge­wünscht ha­ben.« Da­bei reich­te er ihm die Wech­sel hin. »Ja­wohl, ich habe mei­ne Ge­schäfts­la­ge ge­nau ge­prüft, ha­ben Sie kei­ne Angst, ich wer­de zah­len, nur ret­ten Sie, ret­ten Sie Ihre Ehre!«

      »Ach, sei­ner war ich ganz si­cher«, rief Cäsa­ri­ne und drück­te krampf­haft Po­pi­nots Hand.

      Frau Kon­stan­ze um­arm­te Po­pi­not, der Par­füm­händ­ler rich­te­te sich in die Höhe, wie der Ge­rech­te sich aus dem Gra­be er­hebt, wenn die Po­sau­ne des jüngs­ten Ge­richts er­tönt! Dann streck­te er mit wahn­sin­ni­ger Hast die Hand aus, um die ge­stem­pel­ten Pa­pie­re zu er­grei­fen.

      »Ei­nen Au­gen­blick,« sag­te da der furcht­ba­re On­kel Pil­ler­ault und ent­riß Po­pi­not die Wech­sel, »einen Au­gen­blick!«

      Und die vier Fa­mi­li­en­glie­der, Cäsar und sei­ne Frau, Cäsa­ri­ne und Po­pi­not, be­stürzt über das Vor­ge­hen und den Ton des On­kels, sa­hen mit Schre­cken, wie er die Wech­sel zer­riß und ins Feu­er warf, ohne daß ihn ei­ner dar­an hin­dern konn­te.

      »On­kel!«

      »On­kel!«

      »On­kel!«

      »Herr!«

      Die vier Stim­men und die vier Her­zen wur­den in ei­nem ein­zi­gen er­schre­cken­den Zu­sam­men­klang laut. Da faß­te der On­kel Pil­ler­ault Po­pi­not um den Hals, drück­te ihn ans Herz und küß­te ihn auf die Stirn.

      »Du bist es wert, daß alle, die ein Herz ha­ben, dich lie­ben. Hät­te ich eine Toch­ter und be­sä­ße sie eine Mil­li­on und du hät­test nichts als das da (da­bei zeig­te er auf die schwar­ze Asche der Wech­sel), so wä­ret ihr, wenn sie dich lieb­te, in vier­zehn Ta­gen Mann und Frau. Dein Prin­zi­pal«, sag­te er und wies auf Cäsar, »ist nicht bei Sin­nen. Lie­ber Nef­fe,« fuhr Pil­ler­ault in erns­tem Tone fort und wand­te sich an den Par­füm­händ­ler, »lie­ber Nef­fe, ma­che dir kei­ne Il­lu­sio­nen mehr! Ge­schäf­te macht man mit Ta­lern, aber nicht mit schö­nen Ge­füh­len. Dies hier war er­ha­ben, aber es nützt nichts. Ich bin zwei Stun­den auf der Bör­se ge­we­sen, du hast nicht mehr für einen Hel­ler Kre­dit: alle re­de­ten über dei­nen Un­ter­gang, über die ver­wei­ger­ten Pro­lon­ga­tio­nen, über dei­ne fehl­ge­schla­ge­nen Bitt­gän­ge zu meh­re­ren Ban­kiers, über dei­ne über­mä­ßi­gen Aus­ga­ben, daß du sechs Stock hin­auf­ge­klet­tert bist, um von ei­nem Haus­be­sit­zer, der schwatz­haft wie eine Els­ter ist, die Pro­lon­ga­ti­on ei­nes Wech­sels über zwölf­hun­dert Fran­ken zu er­bit­ten, über dei­nen Ball, den du ge­ge­ben hast, um dei­ne Ver­le­gen­hei­ten zu be­män­teln. Man ist so­gar so weit ge­gan­gen, zu sa­gen, du ha­best gar nichts bei Ro­guin ste­hen ge­habt. Nach dei­nen Fein­den zu ur­tei­len, ist Ro­guin nur ein Vor­wand. Ei­ner


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