Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
Der Kammerdiener hörte zu, ohne daß Cäsar es wahrnahm; als er ihn endlich bemerkte, hielt er verwirrt inne und fuhr erst fort, nachdem ihm du Tillet einen Spornstoß gegeben hatte: »Weiter, weiter, ich höre zu«, sagte der Bankier zerstreut. Der arme Mensch war in Schweiß gebadet, der aber zu Eis wurde, als du Tillet ihn scharf ansah und seine hellen goldgetigerten Pupillen auf ihn richtete, deren diabolischer Glanz ihm bis ins Herz drang.
»Mein lieber Prinzipal, die Bank hat sich geweigert, die Wechsel zu nehmen, die von Ihnen ausgestellt und von der Firma Claparon an Gigonnet mit dem Vermerk ›ohne Garantie‹ weitergegeben worden sind; ist das meine Schuld? Wie konnten Sie, ein ehemaliger Handelsrichter, eine solche Dummheit machen? Ich bin in erster Reihe Bankier. Ich kann Ihnen wohl Geld borgen, aber ich kann doch meine Unterschrift nicht einem Refus der Bank aussetzen. Meine ganze Existenz beruht auf Kredit. Das ist bei uns allen so. Wollen Sie Geld haben?«
»Können Sie mir soviel geben, wie ich brauche?«
»Das kommt auf die Höhe der Summe an. Wieviel brauchen Sie?«
»Dreißigtausend Franken.«
»Da fällt mir ja der Schornstein auf den Kopf«, sagte du Tillet und brach in ein Gelächter aus.
Als er dieses Gelächter wahrnahm, glaubte der Parfümhändler, getäuscht von dem Luxus du Tillets, es als das Lachen eines Mannes ansehen zu können, für den ein solcher Betrag eine Kleinigkeit war, und atmete auf. Du Tillet klingelte.
»Schicken Sie meinen Kassierer herauf.«
»Er ist noch nicht da, Herr du Tillet«, antwortete der Kammerdiener.
»Diese Kerls machen sich über mich lustig! Es ist halb neun, man könnte bis dahin bereits Geschäfte für eine Million gemacht haben.«
Fünf Minuten darauf erschien Herr Legras.
»Wieviel haben wir in der Kasse?«
»Nur zwanzigtausend Franken. Sie haben Auftrag gegeben, für dreißigtausend Franken Rente gegen Kasse zu kaufen, die am fünfzehnten zu bezahlen sind.«
»Richtig, ich bin noch im Schlafe.«
Der Kassierer warf einen scheelen Blick auf Birotteau und entfernte sich.
»Wenn die Wahrheit von der Erde verbannt werden sollte, so würde sie das letzte Wort, das sie noch zu sagen hätte, einem Kassierer anvertrauen. Haben Sie nicht an der Firma des kleinen Popinot, der sich jüngst etabliert hat, einen Anteil?« sagte er nach einer schrecklich langen Pause, während deren dem Parfümhändler der Schweiß von der Stirne rann.
»Ja,« erwiderte Birotteau harmlos, »glauben Sie, daß Sie Wechsel von ihm über eine erhebliche Summe eskomptieren könnten?«
»Bringen Sie mir Akzepte von ihm über fünfzigtausend Franken, ich werde sie zu einem erträglichen Zinssatz bei einem gewissen Gobseck unterbringen, der nicht schwer zu behandeln ist, wenn er viel Geld, und er hat viel Geld, anzulegen hat.«
Birotteau, der nicht merkte, wie die Bankiers ihn, gleich einem Ball, mit Raketts, einer dem andern zuwarfen, kehrte mit blutendem Herzen nach Hause zurück; aber Konstanze hatte bereits gemerkt, daß jeder Kredit ausgeschlossen war. Wenn drei Bankiers abgelehnt hatten, dann mußten schon alle über einen so bekannten Mann, wie der Beigeordnete war, sich untereinander verständigt haben; dementsprechend konnte man auch von der Bank von Frankreich nichts mehr erhoffen.
»Versuche zu prolongieren«, sagte Konstanze, »und geh zu Claparon, der ja dein Teilhaber ist, und zu all denen, die am fünfzehnten fällige Wechsel von dir in Händen haben, und schlage ihnen eine Prolongation vor. Es wird dann immer noch Zeit sein, mit Popinots Wechseln zu den Wucherern zu gehen.«
»Morgen ist der dreizehnte!« sagte Birotteau ganz gebrochen.
Er hatte, wie der Stil seines Prospekts gezeigt hat, ein sanguinisches Temperament, das bei Aufregungen und Nachgrübeln riesig viel Körperkraft verbraucht und durchaus des Schlafes bedarf, um diese Verluste wieder einzubringen. Cäsarine führte ihren Vater in den Salon und spielte ihm, um ihn aufzumuntern, »Rousseaus Traum«, ein sehr hübsches Stück von Herold, vor, während Konstanze mit einer Handarbeit daneben saß. Der arme Mann streckte sich auf einer Ottomane aus, und jedesmal, wenn er seinen Blick auf seine Frau richtete, antwortete ihm ein liebevolles Lächeln; so schlief er ein.
»Der arme Mann,« sagte Konstanze, »welche Qualen stehen ihm noch bevor! Wenn er sie nur aushalten kann.«
»Was ist dir denn, Mama?« sagte Cäsarine, als sie ihre Mutter in Tränen sah.
»Mein liebes Kind, ich sehe den Bankrott kommen. Wenn der Vater seine Bilanz vorlegen muß, dürfen wir niemandes Mitleid mehr anrufen. Mach dich gefaßt darauf, mein Kind, ein einfaches Ladenmädchen zu werden. Wenn ich sehen werde, daß du dein Geschick mutig auf dich nimmst, dann werde auch ich die Kraft haben, ein neues Leben anzufangen. Ich kenne den Vater, er wird seinen Gläubigern auch nicht einen Heller entziehen, ich selbst werde auf meine Anrechte verzichten, es wird alles, was wir besitzen, verkauft werden. Du, mein Kind, kannst morgen deine Schmucksachen und deine Kleider zu Onkel Pillerault bringen, du bist zu nichts verpflichtet.«
Cäsarine wurde von grenzenlosem Schrecken ergriffen, als sie diese mit frommer Selbstverständlichkeit gesprochenen Worte vernahm. Sie dachte daran, Anselm aufzusuchen, aber ihr Zartgefühl sträubte sich dagegen.
Am nächsten Morgen fand sich Birotteau um neun Uhr in der Rue de Provence ein, von einer ganz anderen Angst gepeinigt als der, die er schon durchgemacht hatte. Kredit beanspruchen ist im Geschäftsleben eine ganz einfache Sache. Es geschieht jeden Tag, daß man, wenn man etwas unternimmt, genötigt ist, Kapital aufzutreiben; aber Prolongation zu verlangen, das verhält sich, in der kaufmännischen Jurisprudenz, dazu, wie das Polizeigericht zum Schwurgericht, es ist der erste Schritt, der zum Bankrott führt, wie das Vergehen zum Verbrechen. Das Geheimnis der Schwierigkeit und Unfähigkeit, zu zahlen, ist aus den eigenen Händen in fremde geraten. Ein Kaufmann liefert sich dem andern Kaufmann an Händen und Füßen gebunden aus, und Gutherzigkeit gehört nicht zu den Tugenden der Börse.
Der Parfümhändler, der einst mit Augen, die von Selbstvertrauen strahlten, durch die Straßen von Paris geschritten war, zögerte jetzt, von Zweifeln geplagt, zu dem Bankier Claparon hineinzugehen; er begann allmählich zu begreifen, daß bei den Bankiers das Herz nur ein Muskel ist. Claparon erschien ihm so brutal in seiner plumpen Lustigkeit, er erinnerte