Das späte Glück. Dietmar Grieser

Das späte Glück - Dietmar Grieser


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an seinem Hofe und der »Braut« für den Fall des Ablebens des »Bräutigams« eine jährliche Pension von satten zehntausend Talern.

      Es wird ein schwieriges Gespräch, das die zwei da miteinander zu führen haben: Amalie von Levetzow erkennt, daß der Antrag ernst gemeint ist, daß sie ihn nicht als Scherz abtun kann. Also flüchtet sie sich in die Aufzählung der seitens Goethes Familie zu erwartenden Widerstände: Was würden Sohn August und dessen Gemahlin Ottilie dazu sagen, daß ihnen der Vater eine Stiefmutter ins Haus bringt, die um vieles jünger ist als sie und ihnen womöglich gar ihr Erbe streitig macht? Auch auf diesen Einwand ist der Herzog vorbereitet: Dem »jungen Paar« stünde in Weimar ein eigenes Haus zur Verfügung, dem herrschaftlichen Schloß näher als dem Besitz auf dem Frauenplan. Nur auf Frau von Levet-zows vorsichtig vorgebrachten Hinweis auf den gewaltigen Altersunterschied weiß auch Carl August keine Antwort. Mit dem hinhaltenden Bescheid, man müsse schließlich auch die Meinung Ulrikes einholen, die bisher keinerlei Lust zum Heiraten, ja überhaupt wenig Interesse für die Männerwelt gezeigt habe, geht man auseinander.

      Und wie reagiert Ulrike? Ihr Erschrecken ist wohl noch größer als das der Mutter. Gewiß, auch sie habe den alten Herrn lieb, aber doch nur »wie einen Vater«. Und vielleicht wäre sie sogar bereit, einzuwilligen, um ihm – wie sie es ausdrückt – »nützlich« zu sein. Doch zwei Dinge seien es, die sie letztlich daran hinderten, »ja« zu sagen: die Furcht vor dem Gedanken, sich von den eigenen Leuten, von Mutter und Geschwistern trennen zu müssen, und die Rücksicht auf Goethes Familie.

      Tatsächlich ist in Weimar die Hölle los. Kaum sind die ersten Gerüchte von Goethes Heiratsabsichten in das kleine Fürstentum gedrungen, droht Sohn August mit dem Wegzug nach Berlin: Der große Bruch bahnt sich an. Erst, als die Nachricht von Ulrikes Zurückweisung des Brautwerbers durchsickert, kehren im Haus am Frauenplan wieder Ruhe und Frieden ein: »Ich fange an, zu hoffen, daß alles gut gehen und sich die ganze Geschichte wie ein Traumbild auflösen werde!« schreibt Sohn August an Gattin Ottilie.

      Goethe selber hat indes noch keineswegs aufgegeben. Als Amalie von Levetzow mit ihren drei Töchtern überstürzt abreist, um in Karlsbad unterzutauchen, folgt ihnen der Dichter nur wenige Tage später nach. Das so sehr geliebte Marienbad ist ihm nach dieser bitteren Abfuhr »zur vollkommenen Wüste geworden«. Unbedingt muß er Ulrike wiedersehen, zwischen ihr und ihm ist es ja noch immer zu keinerlei Aussprache gekommen. Statt dessen schickt er ihr einige ihr gewidmete Gedichte an den neuen Aufenthaltsort. »Treulich wie immer, diesmal ungeduldig« kritzelt er auf das beigeheftete Billett.

      Als Goethe kurz darauf in Karlsbad eintrifft, zögert er nicht, dasselbe Quartier zu beziehen, in dem auch die Levetzows untergebracht sind: eine Etage über ihnen, im zweiten Stock des Gasthofs Zum goldenen Strauß. Mit Anstand kommt man über die nächsten zwölf Tage hinweg, bringt, als wäre nichts geschehen, fast die ganze Zeit miteinander zu, feiert auch Goethes Geburtstag in gewohnter Manier. Diener Stadelmann hat einen Tagesausflug organisiert, Frau von Levetzow tischt Rheinwein und Kuchen auf, die Töchter überreichen dem Jubilar einen geschliffenen Becher mit dem berühmten Datum und den Initialen ihrer Vornamen. Daß außer dem U auch ein B und ein A in das Glas eingraviert sind und bei der Gratulationscour alle drei Mädchen gleichrangig zum Zug kommen, zeugt für Frau von Levet-zows kluge Regie.

      Der Tag der Heimreise naht. »Allgemeiner, etwas tumultuarischer Abschied«, notiert Goethe über jenen 5. September 1823. Als erste brechen die Levetzows auf, Ulrike läuft hinauf ins Obergeschoß – zum Abschiedskuß. Aufgewühlt, ja tiefverstört besteigt Goethe die Kutsche, die abfahrbereit vorm Gasthof wartet.

      Die Reise führt ihn zunächst nach Eger, am 13. September trifft er in Jena, am 17. in Weimar ein. Noch unterwegs wird ihm ein für allemal klar, wie es um ihn und das »geliebte Töchterchen« steht: Man wird einander wohl kaum je wiedersehen. Doch wo dem Mann Entsagung auferlegt ist, wächst dem Dichter neue Kraft zu: Goethe nimmt den Schreibkalender, den er für seine Reiseaufzeichnungen verwendet, zur Hand, löst den Bleistift aus der an dem Büchlein befestigten Lasche und geht daran, seiner Niederlage ein neues Werk, ja ein Stück Weltliteratur abzugewinnen: die Marienbader Elegie. So oft der Wagen auf der zwölf Tage langen Strecke anhält und vor allem in jedem der Nachtquartiere überträgt er die eilig hingekritzelte Urfassung des dreiundzwanzigstrophigen Gedichtes Zug um Zug in Reinschrift; bei der Ankunft in Weimar liegen die fünf Folioblätter fertig vor. Er wird sie eigenhändig einbinden – in einen Umschlag aus blauem Karton, dem Blau seines Familienwappens. Und noch etwas: Goethe hütet das Manuskript wie sein intimstes Geheimnis, überläßt es entgegen seiner sonstigen Gewohnheit keiner seiner Hilfskräfte zur Abschrift, gibt es lange nicht aus der Hand.

      Sich selbst zitierend, hat er an den Anfang des Werkes das berühmte Tasso-Wort gestellt: »Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt / Gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide.« Es folgen die dreiundzwanzig Strophen in der auch von ihm nur selten benützten Versform der Stanze. Doch was der Dichter zunächst nur wenigen Auserwählten in mündlichem Vortrag zur Kenntnis bringt, wird in späterer Zeit, wenn die »Elegie« gedruckt vorliegt, über weite Strecken in den allgemeinen Zitatenschatz eingehen: Verse wie »So sahst du sie im frohen Tanze walten / Die lieblichste der lieblichsten Gestalten« oder »So klar beweglich bleibt das Bild der Lieben / Mit Flammenschrift ins treue Herz geschrieben« werden sich tausende und abertausende nicht etwa nur unglücklich Liebender zu eigen machen, werden sie wieder und wieder in ihre Poesiealben eintragen.

      Auch Goethe selber dient die »Elegie«, obwohl er sie (mit der Anrufung der Götter, die ihn »zugrunde richten«) so düster enden läßt, als eine Art Medizin: Immer wieder bittet er Freund Carl Friedrich Zelter, sie ihm vorzulesen. Tatsächlich wirkt die Katastrophe von Marienbad lange in ihm nach: »Drei Monate habe ich mich glücklich gefühlt«, gesteht er einem weiteren seiner Vertrauten, »fast wie ein Ball hin und her geschaukelt, aber nun ruht der Ball wieder in der Ecke, und ich muß mich den Winter durch in meine Dachshöhle vergraben und zusehn, wie ich mich durchflicke.« Im November 1823 erkrankt der Dichter, die Ärzte fürchten um sein Leben. In den acht Jahren, die ihm noch verbleiben, wird es zu keinen größeren Reisen mehr kommen, er wird nie mehr Thüringen verlassen – und schon gar nicht in Richtung Marienbad.

      Und wie geht es mit Ulrike weiter? Auch sie löst sich von dem Ort, dem sie zwar so manche glückliche Stunde verdankt, der aber auch ungeheure Verwirrung in ihr Leben gebracht hat: Das Klebelsbergsche Palais, das zum Gedenken an Großherzog Carl Augusts Aufenthalt nunmehr »Haus Weimar« heißt und das in ihren Besitz übergegangen ist, stößt sie ab; statt dessen zieht sie sich in das nordböhmische Dorf Trziblitz zurück. Im Schloß ihres nunmehrigen Stiefvaters – Mutter Amalie hat sich in zweiter Ehe mit dem Grafen Klebelsberg vermählt – lebt sie das einsame Leben eines Stiftsfräuleins »Zum heiligen Grabe«, das alle Anträge heiratswilliger Männer ausschlägt, neben der Pflege ihrer Liebhabereien eine Spinnschule gründet und ansonsten ganz im Dienst für ihre verwitwete Schwester Bertha und deren Kinder aufgeht. Goethe erfährt von ihrem Verbleib nur aus einem Brief ihrer Mutter. Das »Töchterchen« ist inzwischen fünfundzwanzig, Amalie von Levetzow berichtet nach Weimar:

       »Ulrike ist, wie sie war, gut, sanft, häuslich. Ihre immer gleichbleibende Laune, ihr gefälliges anspruchsloses Wesen macht ihr fast alles aus Bekannten Freunde, was ja als ein Glück anzusehen ist.«

      Lästig sind ihr lediglich die vielen Anfragen und Besuche von Goethe-Verehrern, die aus ihrem Mund Aufschluß über die Ereignisse vom Sommer 1823 erhoffen. Ihr auch durch seine sprachliche Unbeholfenheit berühmt werdendes Diktum »Keine Liebschaft war es nicht!«, mit dem sie als Neunzigjährige Bilanz ziehen wird über die Tage mit »Göthe« (wie sie zu schreiben beliebt), scheint die Bestätigung dafür zu sein, daß sie in ihm wohl am ehesten eine Art Ersatzvater gesehen hat. Im Herbst 1899, also sechsundsiebzig Jahre nach den Geschehnissen von Marienbad, stirbt Baronesse Ulrike von Levetzow in ihrem Altjungfernstübchen auf Schloß Trziblitz bei Leitmeritz; in einem offenen Miniaturtempel im spätklassizistischen Stil wird die Fünfundneunzigjährige beigesetzt.

      Anmerkung für den Literaturtouristen, der gewillt ist, den »Akteuren« der »Marienbader Elegie« an Ort und Stelle nachzuspüren: Aus Schloß Trziblitz (heutiger Ortsname: Trebívlice) wird in späterer Zeit eine Schule und aus Ulrikes Sterbezimmer deren Konferenzraum; das ehemalige Klebelsbergsche


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