Der Günstling. Helmut Stalder

Der Günstling - Helmut Stalder


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lässt er in den nächsten Jahren auf 2,5 Meter verbreitern, sodass Saumtiere kreuzen können, verlegt sie zum Teil auf sichereres und weniger steiles Gelände und lässt sie mit Steinplatten und Trittsteinen versehen. Zudem lässt er Brücken, Trassen, Stützmauern, Befestigungen und Wasserableitungen bauen, übernimmt und errichtet Zollstationen, Magazine, Warenlager, Susten, Gasthäuser und Schutzbauten. Für die Abwicklung des Verkehrs verpflichtet er Säumer, Fuhrleute, Lagerhalter, örtliche Faktoristen und Verwalter. Er verschafft sich die Sust- und Beförderungsrechte, vereinnahmt bestehende Transportgenossenschaften entlang der Route, verhandelt Tarifordnungen und Transportreglemente.

      Die Ballengeteilschaften, zunftartig organisierte Säumereigenossenschaften von Brig und Simplon, die bisher den Transport auf den Wegstücken von Brig bis zur Passhöhe und von dort bis Varzo bestritten, stellen sich sukzessive in seinen Dienst. Jene von Simplon schliessen 1651 einen Vertrag mit ihm, jene von Brig erhalten zuerst eine neue Ordnung aufgedrängt und übergeben ihm schliesslich 1669 nach zähen Verhandlungen alle Rechte, »so sie hent auf der Susten und deren Lauben, das ich daruf ken bawen nach meinem Belieben, allein den Pas, im Fall der Not, auf die Susten, Lauben, so doch mein ist«.78 Bis zu 200 Ballenführer beschäftigt er zu dieser Zeit. Ausgehend von seinem Transportmonopol kreiert er so ein integriertes, leistungsfähiges Verkehrssystem im Transitkorridor der Rhone, das zum Rückgrat seines Imperiums werden wird.79

      Bei der Vergabe des Transportmonopols nutzt Stockalper die Gunst der Stunde, um sich möglichst auch alle andern staatlichen Monopole zu verschaffen. Das erste, das er sich 1639 sichert, ist das Schneckenmonopol. Das ist keineswegs kurios, sondern ein gutes Geschäft nach dem Motto: Kleinvieh macht auch Mist. Schnecken gelten nicht als Fleisch und sind deshalb in Fastenzeiten ein beliebtes Nahrungsmittel und besonders in Frankreich generell als Delikatesse geschätzt. Zudem verschliessen sie sich selbst und sind damit haltbar und transportfähig. Stockalper betrieb das Schneckengewerbe schon einige Zeit, nachdem es vorher anderen Pächtern vorbehalten war. Gegen eine jährliche Abgabe von 27 Kronen für zwölf Jahre lässt er sich nun das alleinige Recht verschreiben, im Wallis Schnecken aufzukaufen und zu exportieren.80 Jeweils von Herbst bis Januar kauft er den Bauern jedes Quantum »gedeckelter Schneggen« ab, 3000 Stück für etwa 70 Batzen.

      Vier Jahre später übernimmt Stockalper weitere lukrative Monopole des Landes aus dem Portfolio der Mageran-Erben, nämlich jenes für den Handel mit Lärchenharz und Lärchenschwamm. Lärchenharz, auch »Lertschinen« genannt, dient vor allem als Lösungsmittel, der »Agaric« genannte Lärchenschwamm wird als Arzneimittel und Zunder verwendet. Mit den Monopolvergaben beabsichtigt der Landrat, am Fiskus vorbeiziehende Exporte zu unterbinden, damit die Einnahmen den Landleuten und die Abgaben der Staatskasse zugute kommen. Waren diese Monopole für Lärchenharz und Lärcheschwamm vorher mit dem Salzmonopol verknüpft und wie das Transitmonopol in den Händen von Mageran, so überträgt sie der Landrat 1643 für zehn Jahre gegen eine Gebühr von jährlich fünfzig Silberkronen an Stockalper.81 Damit hat der junge Multiunternehmer die Magerani-Familie fünf Jahre nach dem Tod des allmächtigen Handelsherrn im Montangeschäft in die zweite Reihe verwiesen und sie sowohl aus dem Transit- und Handelsgeschäft als auch aus der Monopolwirtschaft weitgehend verdrängt – bis auf den Salzhandel, wo die Magerani noch bis 1647 das Monopol halten.

      Politisch kommt Stockalper in seinem »annus prosperrimus« in unheimlichem Tempo und ebensolcher Leichtigkeit in wichtige Positionen.82 Offenbar trauen seine Landsleute dem sprachgewandten, weitgereisten, geschäftlich und politisch gewieften Mann aus Brig nun alles zu. Nur wenige Monate im Amt des Grosskastlans von Brig und erstmals als Abgeordneter im Landrat, wird er mit einer heiklen Mission betraut: »Am 5. März wurde ich zu Leuk auf dem Landrat durch die erlauchten Herren Landeshauptmann und Abgeordnete aller 7 Zenden nach Solothurn zu Seiner Excellenz dem Ambassador Meliand gesandt, um namens des Landes Wallis über die strittigen Punkte wegen der Kriegszüge und der gewohnten Pensionen zu verhandeln.«83

      Frankreich hatte mit dem Wallis Verträge zur Rekrutierung mehrerer Söldnerkompanien und zahlte dafür Staatspensionen und Jahrgelder. Diese wurden an die Zenden und Gemeinden sowie an frankreichfreundliche Persönlichkeiten verteilt und machten einen beträchtlichen Teil der öffentlichen Einnahmen und auch der Einkünfte der beteiligten Oberschicht aus. Doch Frankreich war mit der Auszahlung der Pensionen seit geraumer Zeit in Verzug. Zudem wollte das Wallis schon länger nicht mehr nur Freikompanien nach Frankreich schicken, sondern einen geschlossenen Verband unter Walliser Kommando. Darüber soll Stockalper in Solothurn mit dem französischen Ambassador Blaise Méliand verhandeln und bei ihm ein »Frid- und Jhargeld« für die Landschaft locker machen. Er tut dies erfolgreich. Am 20. April kehrt er zurück mit 12838 französischen Pfund und »darüber hinaus beladen mit grenzenlosen Ehren und Versprechungen«.84

      Dass Stockalper bei derlei Missionen nicht nur die Interessen des Wallis im Auge hat, sondern auch die eigenen, wird sich bald zeigen. Die Kontakte zum Ambassador in Solothurn und der Vertrauenskredit, den er sich mit seiner ersten Mission erwirbt, ermöglichen ihm wenig später selbst den Einstieg ins Söldnergeschäft und damit den Aufbau eines weiteren, profitablen Geschäftszweigs. Zudem gewinnt Stockalper im Wallis schon mit der ersten Mission Einfluss auf die Verteilung der Pensionen, die an die Zenden und in die Taschen einiger weniger Notablen fliessen.85 Darüber hinaus empfiehlt er sich für militärische Chargen. Am 4. Juni 1639, nach der Rückkehr von seiner ersten Mission, wird er in seinem Zenden Brig zum Zendenhauptmann gewählt, nach dem Bannerherrn der zweithöchste Offizier des Zenden und Kommandant über die waffenfähige Mannschaft von Brig. Bannerherr wird sein Freund Georg Michlig-Supersaxo (1601–1676) von Naters.86

      Die Kriegsangst ist unvermindert gross in dieser Zeit. Der Dreissigjährige Krieg steht inzwischen in seinem 21. Jahr, und ständig bleibt das Alpengebiet mit seinen strategisch wichtigen Pässen im Fokus der Krieg führenden Mächte. Die Eidgenossenschaft ist innerlich gespalten in protestantische und katholische Orte, aussenpolitisch handlungsunfähig und verfügt nicht einmal über eine zentrale Militärorganisation zum Schutz des Territoriums. Gezwungenermassen praktizierte die Eidgenossenschaft mitten im europäischen Ringen – bisher mit durchzogenem Erfolg – die »Kunst des Stillesitzens«.87 Als sich 1629 die Kämpfe um die Bündner Pässe verschärften, der Kaiser die Öffnung der Gebirgswege forderte und sein Oberbefehlshaber Albrecht von Wallenstein seine Armee am Bodensee konzentrierte, raffte sich die Tagsatzung erstmals zur einhelligen Zurückweisung eines Truppendurchzugs auf, »da es […] zur Erhaltung des freien Standes kein köstlicheres Kleinod gibt, als die Pässe in der Gewalt zu haben«.88 Gleichwohl wurden danach fallweise Durchzüge fremder Heere gewährt, auch weil man militärisch kaum in der Lage gewesen wäre, sie zu verhindern. Aber es kam auch zu mutwilligen, groben Grenzverletzungen, wie im September 1633, als der schwedische General Gustav Karlsson Horn mit 6000 Mann durch Stein am Rhein und den Thurgau marschierte, um das kaisertreue Konstanz zu belagern. Dieser Vorfall riss die reformierten und katholischen Orte um ein Haar in einen Bruderkrieg, führte jedoch letztlich zu einem Umdenken. Es setzte sich die Einsicht durch, dass die Eidgenossenschaft mit ihren bei allen Seiten begehrten Pässen nur zu schützen sei, wenn sie sich gegenüber den Kriegsparteien neutral verhalte und sich gemeinsam verteidige. An der Tagsatzung im Mai 1637 beschlossen die Abgeordneten deshalb, »die Pässe wohl verschlossen zu halten« und jedem Ort, der von fremdem Volk angegriffen werde, »mit Leib und Gut und ganzem Vermögen bei[zu]springen, wie solches redlichen Eidgenossen gebührt«.89

      Diese Absichtserklärung wurde schon bald auf die Probe gestellt, als Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar, der mit seinen Truppen im Bistum Basel einquartiert war, Ende Januar 1638 überraschend mit 6000 Soldaten durch baslerisches Gebiet ins österreichische Fricktal hineinstiess und Waldshut, Laufenburg, Säckingen und Rheinfelden an sich brachte. Im Februar bekräftigten Reformierte und Katholiken an der Tagsatzung einhellig, ihre Festungen und Truppen zu verstärken und »niemanden den Pass durch die eidgenössischen Lande zu gestatten und jeden allen Ernstes davon abzuhalten«.90 Die Sammlung fremder Kriegstruppen am Oberrhein, die das Fürstbistum Basel mit der Besetzung Delsbergs durch die Schweden stark in Mitleidenschaft zog, und insbesondere die Eroberung der Festung Breisach im Dezember 1638 durch Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar beunruhigten die Eidgenossen stark. Im Januar 1639 rückten sie enger zusammen. Die Konferenz der katholischen Orte in Luzern zeigte


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