Der Günstling. Helmut Stalder

Der Günstling - Helmut Stalder


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Bandagen gekämpft, um das Kartell der Annoni, Volpi und Lorenzi am Gotthard zu schützen. Eine Zeit lang verbietet Mailand den Gebrüdern Grimm, Mys und Konsorten gar die Einfuhr von Gütern über den Simplonpass, um sie auf die Gotthardachse zu zwingen. Der Widerstand Mailands, Pestepidemien mit unvermeidlichen Passsperren und eine allgemeine Konjunkturbaisse in Italien beeinträchtigen zeitweilig Stockalpers Fuhren. Da er aber strategisch und langfristig denkt, hält er an seinem Ziel fest, den Passverkehr in seine Hand zu bekommen und in Schwung zu bringen. Dabei geht er äusserst systematisch und zielstrebig vor, wie es sich in den darauffolgenden Jahren zeigen wird.

       Gute Partien

      Zunächst wandelt der junge Geschäftsmann allerdings auf Freiersfüssen. Er sattelt sein Pferd, reitet aber nicht »Rott ab« zu den edlen Familien in Sitten und Leuk, sondern »Rott auf«. In Ernen, am Oberlauf des Rotten, wie die Rhone im Wallis genannt wird, klopft er bei der angesehenen und begüterten Familie Zum Brunnen an. Sie ist seit Langem mit der Familie Stockalper verbunden und hatte einst mit Moritz Zum Brunnen, einem Vertrauten von Stockalpers Urgrossvater Peter I. Stockalper, auch einen Landeshauptmann gestellt. Kaspar Stockalpers Auserwählte ist die jüngste Tochter des Hauses, die sechzehnjährige Magdalena. Am 30. September 1635 wird Verlobung gefeiert, der Ehevertrag aufgesetzt und die standesgemäss aufwendige Hochzeit auf den 1. November arrangiert. In der Kirche von Glis segnet der Pfarrer »mit Bystand der 250 Ehrenpersonen« die Ehe ein. Danach gibt das Brautpaar ein mehrtägiges rauschendes Fest, wie es sich bei der Verbindung zweier notabler Familien gehört. Glücklich berichtet der Gemahl von den Feierlichkeiten: »Solche Solemnitet bis auf den achten Tag mit Freyden, Rhuw, Lust und Gunst continuiert wird. Der Allmächtige lasse firbass herüber seine Gnad und Sägen erscheinen zu seiner Ehr und unserer zeitlichen und ewigen Wollfahrt. Als dies geschah, war ich 26 und sie 16 Jahre alt.«42

      Für die Wohlfahrt des jungen Paares ist ausreichend gesorgt. Magdalena bringt als Mitgift unter anderem ein Haus, Äcker und Wiesen in die Ehe. Stockalper beziffert ihre Güter, die er in seinen Gebrauch nimmt und veräussert, auf 3600 Pfund, einen Realwert von mehr als 100 Kühen.43 Durch den Verkauf des Frauenguts wird er Schuldner der Erbengemeinschaft Zum Brunnen, aber lange zögert er nicht, mit dem Geld privat, geschäftlich und politisch zu wirtschaften. Der alte Stammsitz soll zum repräsentablen Heim des jungen Paares werden. Die Pläne hat er bereits seit einiger Zeit bereit. »Errichte im Norden des grossväterlichen Hauses einen vorzüglichen und kraftvollen Anbau; aus Stall und Heuboden forme einen heizbaren Saal, aus halbem Hof eine Halle und darüber eine vornehme Stube; im Hofgarten statte das Haus behaglich aus; im Hof ziehe einen Turm hoch, erneuere das Haus, Plätze und Gärten mach’ elegant.«44 Die Erweiterungsbauten am alten Stockalperhaus umfassen unter anderem den grossen nördlichen Anbau, einen kleinen, schmucken, italienisch anmutenden Arkadenhof, einen repräsentativen Haupteingang in einen neuen Treppenturm, eine Hauskapelle und den »Dreikönigssaal« im ersten Stock, mutmasslich das repräsentative Zentrum, von dem aus Stockalper die nächsten Jahrzehnte seine wirtschaftlichen und politischen Geschäfte dirigieren wird. Den Wahlspruch, den noch sein Urgrossvater Peter I. Stockalper in das Gewölbe vor dem Eingang zum Saal hatte schreiben lassen, lässt er stehen: »Soli Deo Honor et Gloria 1532« – »Gott allein sei Ehr’ und Ruhm«. Im neuen Zentralraum lässt er in den Spickeln über Türen und Fenstern zahlreiche Sentenzen anbringen, die sein Leben und Wirken begleiten sollen, und später wird sein Adelswappen, das ihm Kaiser Ferdinand III. 1653 verleihen wird, die Decke zieren.45 Mehrere Jahre wird sich die Veredlung des alten Stammsitzes hinziehen, aber bald ist er so weit hergerichtet, dass das junge Paar einziehen kann. »Nachdem ich ein Jahr lang im väterlichen Hause gewohnt hatte, zog ich am 31. Oktober 1636 mit meiner Frau und den übrigen Hausleuten in mein eigenes Haus, das einst meinen Großeltern und Urgrosseltern gehörte.«46 Ein knappes Jahr später bringt Magdalena eine Tochter zur Welt. »Am 19. Oktober, im Zeichen der Fische, vor dem Vollmond, als die Sonne im Skorpion stand, an einem Donnerstag, wurde mir Kaspar Stockalper, Notar, Säckelmeister und Verwalter des Eisenbergwerkes von Brig, meine Tochter Anna von meiner geliebten Gattin Magdalena Zum Brunnen geboren und am 25. Oktober zu Glis durch den ehrwürdigen Kaplan Peter Niggili getauft«, notiert der junge Vater.47

      Durch die Heirat mit Magdalena kommt Stockalper auch in die Verwandtschaft mit Hieronymus Welschen.48 Dieser ist Bewirtschafter und Mitbesitzer des hoch verschuldeten Eisenbergwerks im Grund eingangs des Gantertals bei Brig, das – weil Eisen für die Landschaft ein wichtiger Rohstoff ist – unter dem Patronat der Burger von Brig steht. Sie suchen nach vielen gescheiterten Sanierungsanläufen nach einer Möglichkeit, das Werk weiterzuführen.49 Stockalper hatte sich schon eine Weile für das heruntergewirtschaftete Unternehmen interessiert, jetzt sieht er sich in einer guten Position, den Fuss ins Montangeschäft zu setzen. Landeshauptmann Michael Mageran, der mit Eifer andere Bergwerke betreibt, hatte auch ein Auge auf die Briger Eisenverhüttung geworfen und im Landrat angedroht, dass, falls Brig das Werk nicht auf Vordermann bringe, er selbst es im Namen der Landschaft »guberniren« und Ordnung schaffen werde.50 Der Landrat hatte den Brigern 1634 ein Ultimatum gestellt und war willens, das Bergwerk, das auch als Rüstungsbetrieb zu sehen ist, dem amtierenden Landeshauptmann zu übertragen. Er möge es »an sich ziehen und Anordnung geben, dass solche dem Vatterlandt nutzlich Mineralien und Ärtzen ersucht und aus der Erden gezogen werden«.51 Zu gerne würde Mageran das Bergwerk übernehmen und sich als Unternehmer mitten im oppositionellen Zenden Brig einnisten. Stockalper hat den Leuker Salz- und Handelsherrn insgeheim zum Vorbild genommen, eifert ihm nach und will in seine Fussstapfen treten. Im Transitgeschäft ist er bereits im Begriff, ihn abzulösen. Nun bietet sich die Möglichkeit, ihm im Montangeschäft in die Parade zu fahren. Auch aus politischen Gründen muss er den Konkurrenten aus Leuk von Brig fernhalten und ihm den Zugriff auf das Bergwerk verwehren. Dazu hat er 1634 ein Abwehrkonzept entworfen, »ne Ferrifodina in potestatem D. Mageran caderet« – »damit die Eisengrube nicht in die Gewalt Magerans falle«.52

      Ende 1635 ist die Lage im Bergwerk wegen langer Abwesenheiten von Hieronymus Welschen auf der Landvogtei Monthey noch immer desolat. Am 14. Januar 1636 schreitet Stockalper zur Tat: Er organisiert in seinem Haus eine Versammlung massgebender Vertreter von Brig, in der auch etliche seiner Verwandten zugegen sind, so sein Bruder und Briger Kastlan Michael Stockalper, sein Bruder und Zendenweibel Johann Stockalper, Burgerschreiber Peter Stockalper und alt Säckelmeister Johann Owlig. Welschen, der »durch sein Hin- und Wegreysen ihme von uns vor etlichen Jaren anbefolne Bergwerk unnitzig sthen lassen«, wird von dieser Versammlung ohne Federlesens abgesetzt. Stattdessen beruft sie eine vierköpfige Verwaltung mit Schreiber Christoph Perrig, alt Säckelmeister Johannes Brinlen, Hans Michael Heiss und Kaspar Stockalper als Kurial. Diese kommissarische Verwaltung soll das Bergwerk auf Vordermann bringen.53

      Das erweist sich in den kommenden Monaten jedoch als schwierig, auch weil missliebige Mitglieder des Führungsgremiums wie der ehemalige Verwalter Johannes Brinlen Obstruktion betreiben und versuchen, Mageran in die Hände zu spielen. Als die Gefahr offensichtlich wird, dass dieser sich kraft der Vollmachten des Landrates in den Besitz des Bergwerkes drängen könnte, ruft Stockalper erneut die Burger in seinem Haus zusammen. Es wird ein Heimspiel. Sicheren Schrittes steigt der 27-jährige seinen Gästen voraus die Treppe hoch, bittet die ehrenwerte Gesellschaft in seine Räumlichkeiten und eröffnet den Plan: Er will im Bergwerk das alleinige Sagen. Die Burgerschaft soll ihn als einzigen Administrator einsetzen, mit einer beratenden Kommission aus Briger Burgern an der Seite. Als Verwalter will er das Werk auf eigenes Risiko in Pacht nehmen, den Schuldenberg von 6000 Pfund abtragen, in die Anlagen investieren und die Verhüttung rentabel machen. Das ist ein grosses unternehmerisches Wagnis. Aber Stockalper erkennt wie beim Transitgeschäft ein Vakuum, in das er vorstossen kann, sieht die längerfristige Perspektive der kriegswichtigen Eisenproduktion und hat die Mittel, Risiken einzugehen und Misserfolge durchzustehen. So geschieht es: »Am 6. November 1636 wurde in meinem Hause der Vertrag wegen des Eisenbergwerkes (im Grund) zwischen den Herren Burgern von Brig und mir zuerst aufgerichtet. Anwesend waren mehr als 50 Burger, und zwar von den vornehmsten. Dieser Vertrag wurde dann 1637 im Burgerhause von mehr als 100 Burgern feierlich bestätigt.«54 Gleichzeitig trifft der Bannstrahl alt Säckelmeister Johannes Brinlen und dessen Bruder alt Kastlan Kaspar Brinlen, die sich nach wie vor als


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