Die ganz Großen. Georg Markus

Die ganz Großen - Georg Markus


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entfernten Verwandten, dem Hofschauspieler Josef Moser, der als Episodist am Burgtheater engagiert war. Ihm zu Ehren sollte sich Johann Julier später Hans Moser nennen.

      Mit siebzehn Jahren war er also ein mehr oder weniger ausgebildeter Schauspieler und verließ seinen Posten in der Buchhaltung eines Lederwarengeschäfts, um zum Theater zu gehen. Damals, knapp vor der Jahrhundertwende, existierten drei Kategorien von Bühnenhäusern: die großen Theater in Berlin, Wien und Prag, von denen ein Anfänger nur träumen konnte, sowie hervorragende deutschsprachige Bühnen in der sogenannten »Provinz«: Reichenberg, Aussig, Czernowitz, Pilsen, Graz, Linz. Doch auch dort hatte kein Prinzipal Interesse an dem 1,58 Meter kleinen, ambitionierten Schauspieler aus Wien.

      Blieb nur die »Schmiere«, die unterste Stufe des Theaterbetriebs. Schmutzige Gasthaussäle in Friedek-Mistek, Guben, Namslau, Neutitschein. Hans Moser war dazu verdammt, dort aufzutreten. Jahre vergingen, und er kehrte immer wieder – mit kurzen Unterbrechungen durch etwas bessere Engagements in der »Provinz« – zurück zur »Schmiere«. Er spielte die jugendlichen Liebhaber, für deren Darstellung er wirklich nicht geschaffen war, hatte aber auch Chor- und Statisterieverpflichtung, musste Kulissen schieben und Theaterzettel austragen.

      Einmal sah er eine Chance, dieser Tätigkeit zu entkommen. Josef Jarno war im Jahre 1902 auf ihn aufmerksam geworden und engagierte den damals 22-Jährigen an das Wiener Theater in der Josefstadt. Doch selbst der große Theatermann erkannte Mosers Genie nicht, bemerkte nicht die komödiantische Begabung dieses Mannes, ließ ihn fünf Jahre lang in winzigen Episodenrollen auftreten.

      Enttäuscht und verzweifelt verließ Moser seine Heimatstadt und bereiste wieder »Provinz« und »Schmiere«, wo man ihm wenigstens etwas größere Rollen anvertraute. Keiner wollte an ihn glauben, nur er selbst wusste von seinem Talent, wie er viel später – 1926, bereits als berühmter Mann – in einem Zeitungsinterview feststellte, das ich in einer der Kisten fand. »Eines möchte ich schon sagen: Das, was ich heute kann, habe ich vor zwanzig Jahren schon gekonnt. Um kein Haar war ich damals anders als heute, ganz gewiss nicht.«

      1910 lernte er die Frau kennen, die sich sowohl für sein Privatleben als auch für sein berufliches Fortkommen als Glücksfall erweisen sollte. Blanca Hirschler, zehn Jahre jünger als er, nahm seine Karriere in die Hand. Gemeinsam klapperten sie Kabaretts, Varietés und Nachtlokale ab, sie studierte mit ihm neue Rollen ein, handelte Verträge aus, kümmerte sich um Engagements. Vor allem aber machte sie ihm Mut und half, seine Depressionen zu überwinden.

      Nach zahlreichen Absagen durch einschlägige Etablissements sprach er im Jahre 1912 im Kabarett »Max und Moritz« in der Wiener Annagasse vor – und wurde aufgenommen. Für kleine Rollen zwar, aber er konnte endlich als Komiker auf sich aufmerksam machen. Das Kabarett sollte sich als ideales Sprungbrett erweisen. Noch im selben Jahr holte ihn der berühmte Kabarettist Heinrich Eisenbach an sein »Budapester Orpheum« in der Taborstraße in Wiens Leopoldstadt. Moser stand jetzt mit den großen Komikern seiner Zeit auf der Bühne, und sein Weg schien gesichert.

      Doch das Glück blieb nur ganz kurz auf seiner Seite. Der Erste Weltkrieg bricht aus, der 34-Jährige wird eingezogen, verbringt vier Jahre im Feld. Endlich heimgekehrt – und stolzer Vater geworden –, muss er wieder ganz von vorn beginnen.

      Während des Krieges träumte er davon, das zu spielen, womit seine berühmten Kollegen im Eisenbach-Ensemble ihre Erfolge feierten: Solonummern.

      1922 tritt er im Varieté »Reklame« auf der Praterstraße in einer kleinen Rolle in dem Einakter Nachtasyl auf. Im Ensemble des Varietés befindet sich eine junge Soubrette namens Friedl Weiss, die jeden Abend nach der Vorstellung, wie Moser bemerkte, vom berühmten Librettisten Fritz Löhner-Beda – der für Franz Lehár den Text zur Operette Das Land des Lächelns schrieb – abgeholt wurde. Wie sich bald herausstellte, war die Schauspielerin mit dem angesehenen Schriftsteller verlobt.

      Hans Moser witterte seine Chance, wie mir Friedl Weiss viele Jahre später erzählte. »Eines Tages klopfte Herr Moser an meine Garderobentür, trat ein und sagte: ›Frau Weiss, ich bin ein armer kleiner Schauspieler, Sie sind doch immer in Begleitung des Herrn Löhner-Beda. Ich hätte eine Bitte an den Herrn Doktor. Vielleicht könnte er mir eine Soloszene schreiben, das wäre sehr wichtig für mich.‹ «

      Wie zu erwarten, explodierte der stets unter Zeitdruck stehende Löhner-Beda, als er durch seine Verlobte vom Wunsch des unbekannten Schauspielers erfuhr: »Immer kümmerst du dich um die anderen, ich komm’ nicht einmal dazu, dir eine neue Nummer zu schreiben, und das wäre viel wichtiger.«

      Moser ließ nicht locker und klopfte schon am nächsten Abend wieder an der Garderobentür des Fräulein Weiss. »No, was hat er gesagt, der Herr Doktor?«

      »Sehr gut schaut’s nicht aus, Herr Moser. Aber passen S’ auf, wenn ich heut aus dem Theater geh, wird er draußen auf mich warten. Da werde ich Sie ihm vorstellen.«

      Gesagt, getan. »Herr Doktor Beda – Hans Moser!«

      »Ja, meine Freundin hat mir schon von Ihnen erzählt«, stöhnte der Vielbeschäftigte. »Ich soll Ihnen was schreiben. Was hätten S’ denn gern?«

      »A Type, Herr Doktor, wenn S’ mir eine Type schreiben könnten, das wär sehr gut, wissen S’, so was Wienerisches.«

      »Was für eine Type denn?«

      »Ich hab’ mir dacht, einen Garderober oder einen Hausmeister oder so was halt.«

      »Also gut, ich werd’s versuchen«, erwiderte Löhner-Beda – wohl um den Schauspieler loszuwerden. »Kommen S’ halt morgen vor der Vorstellung ins Dobner

      Pünktlich, wie vereinbart, betrat Moser am nächsten Abend das beliebte Künstlercafé am Naschmarkt. Fritz Löhner-Beda saß an seinem Stammtisch, hatte die Vereinbarung aber längst vergessen. Er bat um Entschuldigung, sperrte sich eine dreiviertel Stunde lang in die Herrentoilette ein – und kam mit einem fertigen Einakter zurück. Der Titel lautete: Ich bin der Hausmeister vom Siebenerhaus.

      Löhner-Beda hatte Moser die Szene eines »Hausdrachens« überlassen, der seine »Macht« gegenüber den Wohnungsmietern ausspielte, ohne dabei die Armut und die Erbärmlichkeit seines eigenen Daseins zu erkennen.

      Der Direktor des Varieté »Reklame« war sofort begeistert, als er davon erfuhr. »Was, ein Sketch vom Löhner-Beda? Schon gekauft, das ist doch klar.« Drei Tage später spielte Hans Moser mit dem Hausmeister vom Siebenerhaus seine erste Solonummer.

      Endlich und zum ersten Mal in seinem Leben bekam der jetzt schon 42 Jahre alt gewordene Schauspieler die Chance, sein überragendes Talent unter Beweis stellen zu können. Löhner-Beda war begeistert, als er sah, wie Moser seine Nummer »anlegte«. Er lud Gott und die Welt ins Varieté »Reklame«, und Moser wurde zum Gesprächsthema in Wien. Die berühmte Komikerin Gisela Werbezirk wünschte sich Moser nun als Partner für das von Karl Farkas an der Neuen Wiener Bühne inszenierte Lustspiel Frau Lohengrin.

      Nach zwei weiteren Nummern, die Löhner-Beda für ihn verfasst hatte – Der Patient und Der Heiratsvermittler – ging Moser 1923 daran, sich selbst eine Solonummer zu schreiben. Die Idee erwies sich als durchschlagender Erfolg, er spielte die Rolle sein Leben lang: Der Dienstmann.

      Robert Stolz sah Moser als Dienstmann und empfahl ihn dem Direktor des Ronacher, der ihn sofort für seine neue Revue Wien gib’ acht! engagierte. Eduard Sekler, der Regisseur des Programms, erinnerte sich viel später: »Damals, im Ronacher, hat Moser, als Dienstmann verkleidet, zum ersten Mal genuschelt. Wir inszenierten die Kofferszene, und irgendwie ergab sich diese eigentümliche Sprechweise. Sie sollte ihm zur Eigenart werden. Und da er merkte, dass das dem Publikum gefiel, hat er es eben beibehalten.«

      Einer anderen Version zufolge sei das Nuscheln krankheitsbedingt, durch eine Verkrümmung des Moser’schen Kehlkopfs, entstanden.

      Wie auch immer, das Ronacher war – im Gegensatz zu den bisherigen Kellerbühnen – ein großes Theater. Zeitungskritiken erschienen, und Anton Kuh schrieb 1924 von dem »bald in Pallenberg-Nähe rückenden Hans Moser«. Eines Abends kam kein Geringerer als Charlie Chaplin, auf Kurzbesuch in Wien, ins Ronacher.


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