Die ganz Großen. Georg Markus
sie in Amerika verfilmen wollte. Er hat es – aus Respekt vor Mosers Leistung – nie getan.
Die verschenkten Jahre, die Auftritte mit Chor- und Statisterieverpflichtung, des Kulissenschiebens und Zettelaustragens waren vorbei. Jetzt ging alles Schlag auf Schlag. Das Theater an der Wien stieg durch Operetten aus der »Silbernen Ära« zu neuer Blüte auf. Hubert Marischka holte Moser als »Dritter-Akt-Komiker« für die Uraufführung von Kálmáns Gräfin Mariza und übertrug ihm von da an eine Traumrolle nach der anderen. Als Moser in Bruno Granichstaedtens Operette Der Orlow als Billeteur brillierte, kam Max Reinhardt ins Theater an der Wien, um ihn zu sehen – und sofort zu engagieren.
Von einem Tag zum anderen stand er, der kurz zuvor noch der »Schmiere« angehört hatte, an vorderster Front. Und Moser wurde zu einem der Lieblingsschauspieler Max Reinhardts. Er gab ihm die Rollen, für die nur er geschaffen schien.
Auf der Leinwand allerdings konnte er sich erst durchsetzen, als die Technik den Tonfilm zuließ. Ab Mitte der dreißiger Jahre zählte Moser dann aber auch zu den meistbeschäftigten und bestbezahlten Filmstars. Er drehte 150 Filme, oft so trivialen Inhalts, dass sie ohne Mosers Mitwirkung unvorstellbar wären. Doch sein Auftreten adelte die banalste Handlung, ließ den Unsinn, der da verbreitet wurde, vergessen. Viele der alten Schwarzweißfilme kann man heute nicht mehr ansehen, sie sind langweilig, verstaubt und überholt – es sei denn, der Moser spielt mit.
Moser war bereits 53 Jahr alt, als er – 1933 – in dem Willi-Forst-Film Leise flehen meine Lieder einen kleinen Pfandleiher so überwältigend menschlich darstellte, dass er in einer Zeitung zum ersten Mal als »Volksschauspieler« bezeichnet wurde.
Franz Antel, der in der Nachkriegzeit die meisten Moser-Filme drehte, erklärt die Bedeutung dieses Titels so: »Curd Jürgens und Oskar Werner waren hinreißende Schauspieler. Aber sie haben mit dem Hirn gespielt. Der Moser und der Hörbiger hingegen – die haben mit dem Herzen gespielt. Und deswegen trugen sie, wie nur ganz wenige andere, den Titel Volksschauspieler.«
Das Glück, das die große Karriere und die damit verbundene Popularität brachte, sollte wieder nur auf ein paar Jahre begrenzt sein: Mosers Frau Blanca, die er über alles liebte, musste nach Hitlers Einmarsch in Österreich das Land verlassen, ebenso Tochter Grete, die nach den Nürnberger Rassegesetzen als »Halbjüdin« eingestuft wurde. Auf Jahre war Moser von seiner Familie getrennt, verzweifelt, allein. Berühmt zwar, aber unglücklich.
Seine beiden letzten Lebensjahrzehnte, nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reiches«, waren dann die schönsten seines Lebens. Alles schien perfekt, beruflich wie privat. Nur Tochter Gretl war – das beeinträchtigte die Idylle – in Südamerika geblieben. Sie hatte sich mit ihrer Mutter zerstritten und wurde von ihr, nach Hans Mosers Tod, enterbt. Ein jahrzehntelang andauernder Gerichtsstreit, in dem Grete Hasdeu der Pflichtteil nach dem Erbe ihres Vaters zuerkannt wurde, war die Folge. Jetzt erst, nach Abschluss des Erbschaftsprozesses, konnte auch der künstlerische Nachlass Hans Mosers freigegeben und veröffentlicht werden.
Wie groß der Hass auf ihre Mutter blieb, zeigt ein Brief, den mir Grete Hasdeu im April 1980 aus Buenos Aires schrieb: »Ihn habe ich sehr geliebt. Schade, dass Männer nicht ohne Frauen Kinder bekommen können.«
Mit achtzig hatte Hans Moser sein Comeback als Bühnenschauspieler gefeiert und das Publikum durch tiefe Menschlichkeit berührt, zu der sich nun auch die Weisheit des Alters gesellte. Susi Nicoletti erzählt über die legendären Aufführungen von Schnitzlers Liebelei am Akademietheater, in denen Moser als alter Weiring seine Kollegen dermaßen faszinierte, »dass alle, egal ob Arbeiter oder Schauspieler, während er gespielt hat, hinter der Bühne standen, um ihm zuzuschauen. Wir haben unzählige kleine Löcher in die Kulissen gebohrt, nur um den Moser beobachten zu können. «
Hans Moser starb 83-jährig am 19. Juni 1964. Er war bis kurz vor seinem Tod auf der Bühne und vor der Kamera gestanden, selbst im hohen Alter noch unnachahmlich, unerreicht. Und er ist bis heute unvergessen, und wie man auch nach Jahrzehnten ohne falsches Pathos sagen kann: unersetzlich.
Diesem einen Mimen flicht die Nachwelt Kränze.
Es muss in den frühen Sommertagen des Jahres 1978 gewesen sein, da läutete bei mir zu Hause das Telefon. Ich glaubte meinen Ohren nicht trauen zu können, als sich eine markante Stimme mit den Worten »Hier spricht Paul Hörbiger« meldete. Wäre der Anruf des Filmstars bei einem damals noch jungen und unbekannten Reporter nicht schon außergewöhnlich genug gewesen, so folgte die eigentliche Überraschung erst. Als er mich nämlich fragte, ob ich nicht mit ihm gemeinsam seine Memoiren schreiben wollte.
Paul Hörbiger. 84 war er damals und selbstverständlich längst eine Legende. Seit vielen Jahren hatten sich prominente Autoren und Verlage um die Veröffentlichung der Lebenserinnerungen eines der letzten lebenden Filmstars im deutschen Sprachraum bemüht. Und dieser große alte Mann rief jetzt ausgerechnet bei mir zu Hause an.
Natürlich gab es eine Vorgeschichte. Ein bekannter Verlag hatte einen noch bekannteren deutschen Schriftsteller als »Ghostwriter« für Paul Hörbigers Memoiren engagiert. Nach Jahrzehnten beharrlichen Schweigens zeigte sich der Liebling mehrerer Generationen endlich bereit, sein bewegtes Leben zu erzählen. Doch die Sache ging nicht gut aus. Dem bekannten Schriftsteller kann man vielleicht gar keinen Vorwurf machen: Paul Hörbiger war – wie ich bald erfahren sollte – sicher kein einfacher Partner für ein so schwieriges Projekt. Es gab immer wieder Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden, zum Bruch kam es aber erst, als der Autor dem Schauspieler die ersten Manuskriptseiten für das geplante Buch vorlegte.
Das Urbild des Wiener Charmeurs, die Inkarnation der vom Heurigen genial inspirierten Kaiser-Franz-Joseph-Girardi-Strauß-Schrammel-Walzerseligkeit, blätterte also in seinen Erinnerungen und musste da im Originalton – Zitat Paul Hörbiger – den nicht gerade wienerischen Satz »Das kommt nicht in die Tüte!« lesen.
»Des gibt’s net«, »Aber net mit mir«, »Das könnt’s doch net machen« – das wären wohl seine Worte gewesen. Doch mit einer Tüte hatte ein Paul Hörbiger nichts, aber auch schon gar nichts im Sinn.
Das Manuskriptfragment beiseite gelegt und den bekannten deutschen Schriftsteller um Verständnis gebeten, dass er unter diesen Umständen lieber gar keine Memoiren veröffentlichen würde, war eins.
Paul Hörbiger wollte durchaus sein Leben erzählen. Aber wem? Ein Wiener, das wusste er jetzt, sollte es sein, ein Deutscher kam sozusagen nicht mehr in die Tüte.
Ich hatte das eine oder andere Interview mit ihm geführt und mir dabei offensichtlich sein Vertrauen erworben. Und so kam es dann eines Tages zu dem erwähnten Anruf.
Das Jahr, in dem wir dann intensiv an dem Buch arbeiteten, wird für mich eines der großen Abenteuer meines Lebens bleiben. Unvergesslich, wie der alte Mann, der fast siebzig Jahre Theater- und Filmgeschichte geschrieben hatte, erzählen konnte.
Nein, erzählen ist der falsche Ausdruck. Er erzählte nicht, er spielte. Er war ein solcher Vollblutkomödiant, dass er mir jede Szene seines Lebens vorspielte, vorspielen musste. Ging es beispielsweise um den Mordanschlag, der auf ihn verübt wurde, dann hat er nicht einfach davon erzählt, wie jeder andere das tun würde, sondern er spielte mir das Attentat vor: den Täter, der auf ihn schoss, ebenso wie die geschockte Kronzeugin und sich selbst, das schwerverletzte Opfer. Und er war dabei nie ein Herr in den Achtzigern, sondern immer so jung wie damals, als es passierte.
Tatsächlich, auf den jungen, noch unbekannten Schauspieler Paul Hörbiger war ein Eifersuchtsattentat verübt worden. Das Kapitel »Mordanschlag auf Paul Hörbiger« schien mir freilich ein wenig zu sensationell, man kennt ja derartige »Enthüllungen« aus diversen Biografien. »Ohne Beweis wird uns das kein Mensch glauben«, stimmte er mir zu und befand: »Wir müssen in die Nationalbibliothek gehen.« Er erinnerte sich, dass es damals »in irgendeiner Zeitung« eine winzige Erwähnung des Attentats gegeben hätte.
Das war der Augenblick, da ich zum erstenmal das Handtuch werfen wollte. »In den zwanziger Jahren gab es in Österreich zahllose Zeitungen«, entgegnete ich, »wir wissen weder das Jahr noch den Titel des Blattes und sollen eine winzige