Im Bett mit dem Teufel. Dolores Schmidinger

Im Bett mit dem Teufel - Dolores Schmidinger


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der Mama – »vielleicht jetzt auch bei dieser Tür herein?« Ihr Scherz bleibt unbemerkt.

      »Nein, glaub ich nicht. Ich habe gesagt, ich bin in der Stadt unterwegs. Weißt’, heute ist ja die ›Lange Nacht der Kirchen‹.«

      »Aha«, sagt die Eva, steht auf und geht Richtung Schlafzimmer, wo im Türrahmen ein mit Ketten befestigter Ledersitz baumelt.

      »Gefällt dir meine Liebesschaukel?«, fragt der Wolfgang und sagt dann mit weinerlicher Stimme:

      »Ich kann jetzt noch nicht, sie spukt mir im Kopf herum, die Mama.«

      Und wie auf Stichwort läutet sein Smartphone, das heißt, es meldet sich mit dem Rockklassiker »Born to be wild«, und sie kann sehen, dass »Mama« am Display erscheint. Der Wolfgang meldet sich umgehend. »Grüß dich Mama, ja ja, … in der Kapuzinerkirche, … ja, herrlich die Kaisergruft … du, ich kann jetzt nicht reden … das is ja pietätlos, telefonieren in einer Kirche … ja, ich meld mich morgen, baba.« »Entschuldige«, sagt der Wolfgang zur Eva, »Aber jetzt ist mir alles vergangen.«

      Und die Eva verlässt die peinlich aufgeräumte Wohnung mit der baumelnden Liebesschaukel. Vor der Tür zieht sie Bilanz: Das Einzige, das heute Abend angekettet war, war die Türmatte.

      Sie ist jetzt bei Lagerhalle angekommen und fährt in den Hof, wo es Parkplätze gibt. Der Regieassistent steht vor der Tür und tippt vorwurfsvoll auf seine Armbanduhr.

      Eva

      Ende August 1994

      Die Schulterpolster kommen langsam aus der Mode. Die Eva trägt einen schwarzen Rock, der kurz über dem Knie zu Ende ist, und einen schwarzen Leinenblazer, trotz der Hitze. Ihre blonden, kurzen Haare leuchten viel zu gelb für ein Begräbnis. Die kleine Gruppe der Trauernden ist um das Grab ihrer Mutter versammelt und Evas sechsjährige Tochter Franziska weint um die Großmutter. Sie hat einen verschmierten Mund von dem Eis, das sie vorhin gegessen hat, und die Tränen rinnen ihr in den klebrigen rosa Bart, den das Eis hinterlassen hat. Evas Vater, der Herr Magister Traxler, schaut möglichst betroffen drein, obwohl die junge Freundin schon zu Hause auf ihn wartet. Und der Paul, der trauernde Schwiegersohn, dem alles furchtbar peinlich ist, fotografiert, damit er sich hinter der Kamera verstecken kann. Die Eva beobachtet das alles, sie ist nicht besonders aufgewühlt, das wird später kommen, wenn sie allein ist.

      Alle werfen eine kleine Schaufel Erde auf den Sarg in der Grube, das Trinkgeld für den Mann, der die Schaufel übergibt, in den Händen bereit. Die Eva gibt dem Mann fünf Schilling. Er riecht nach Bier und wird das Geld versaufen. Die Eva hat auch ein Vierterl getrunken, vorher.

      Am Nebengrab steht ein mittelgroßer Mann, ungefähr Mitte dreißig, mit einem runden, gutmütigen Gesicht und hellbraunen, kurzgeschnittenen Haaren. Er trägt ein blaugraues Seidenhemd und hat die Ärmeln aufgekrempelt. Er ist gerade dabei, auf dem Grab unter dem steinernen Kreuz frische rote Rosen in eine Vase zu geben. Daneben steht eine Gießkanne aus Metall.

      Er schaut zu ihr herüber.

      Soeben wirft eine ältere Dame Erde ins Grab von Evas Mutter und schluchzt herzzerreißend. Die Eva hat keine Ahnung, wer die Dame ist, und fragt sich, ob die vielleicht das falsche Begräbnis erwischt hat.

      Und plötzlich steht der Mann vom Nebengrab bei der Eva und gibt ihr eine seiner roten Rosen.

      »Ihre Mutter ist gut aufgehoben an dem Platz. Sehen Sie, da wächst eine Birke. Das ist gut, die liebliche Birke bedeutet Reinigung, Loslassen, Neuanfang.«

      Und er geht wieder zu seinem Grab.

      Vom Ottakringer Friedhof fährt die Trauergesellschaft stadteinwärts, denn die Leichenfeier findet in einem Wirtshaus auf der Wilhelminenstraße statt. Der geizige Herr Magister Traxler hat mit dem Wirt einen günstigen Preis ausgehandelt. Ein Freund der Familie Traxler hält eine Rede und spricht von der aufopfernden Pflege, die der Herr Magister Traxler der Verstorbenen hat angedeihen lassen.

      Dabei hat er seine herzkranke Frau in ein Spital abgeschoben, wo die Betten im Zimmer zahlreich waren und die Krankenschwestern unfreundlich. Die Eva spürt die Wut in sich aufsteigen und trinkt noch ein Vierterl Rot.

      »Du, ich geh jetzt«, sagt der Ehemann, »du weißt, ich muss noch in die Redaktion.« Der Paul Matuschka ist Journalist und muss immer in die Redaktion, wenn ihm die Situation nicht angenehm ist. Die Franziska hat ihren Schmerz vergessen und sitzt bei der Gertrud am Schoß, einer älteren Nachbarin der Traxlers, die der Mutter immer heimlich die Aufputschmittel besorgt hat, die kleinen, gelben »Reactivan«.

      Sie machen Flieger aus Papierservietten und schießen damit auf den Hirschkopf, der an der Wand hängt.

      Am nächsten Tag macht die Eva wieder einen Friedhofsbesuch. Nach einem kurzen Haltmachen bei der Mutter geht sie hinüber zum Grab, wo der Mann die Rosen eingewässert hat. Sie liest die Inschrift am Grabstein: »Hier ruht die allseits geliebte Katharina Kaunitz Hackenberg, 1914–1985, deren Astralleib in eine andere Inkarnation übergehen wird.«

      »Astralleib, Inkarnation?«, der Mann ist wohl einer von den Esoterikern, die jetzt wie Schwammerln aus der Erde sprießen, seit die katholische Kirche ihren Glamour eingebüßt hat.

      Kaunitz Hackenberg. Soll sie im Telefonbuch nachschauen, ob es einen männlichen Kaunitz Hackenberg gibt? »Traxler«, sagt sie zu sich selbst, »da ist ja nichts dabei, man kann sich ja für die nette Geste mit der Rose bedanken …«, aber dann murmelt sie, »und jetzt hör auf, dich zu belügen, du bist an diesem Mann interessiert und nicht an seinen Rosen.«

      Die Eva verliebt sich gerne. Sie mag die Adrenalinausschüttung. Drum hat sie es mit dem Treusein nie so genau genommen.

      Vor sieben Jahren hat sie den Paul kennengelernt, und diesmal sollte es wirklich etwas Ernstes sein. Eine gutbürgerliche Angelegenheit mit Kindern, Maßküche und ewiger Treue. Sie ziehen in ein Reihenhaus im oberen Teil von Ottakring, das von einer Genossenschaft vergeben wird, und den zu zahlenden Anteil spendet der geizige Herr Magister Traxler in Anbetracht des schwangeren Bauches seiner Tochter. Der verliebte Paul ist entzückend, bei der Eva ist es gar nicht so das große Gefühl, aber der Paul bemüht sich um sie, umwirbt sie mit Gedichten, Fotocollagen und der Versicherung, dass er einer der »Neuen Männer« ist, der die Hausarbeitsteilung in die Tat umsetzt. Der Paul ist sehr überzeugend, wenn er will.

      Und dann wird geheiratet, sie im langen weißen Brautkleid, im Empirestil, damit das Bäuchlein Platz hat, und einem kleinen Schleier über dem Gesicht. Den hat ihr Paul nach »Jetzt dürfen Sie die Braut küssen« mit einer zärtlichen Geste nach hinten geschoben, und sogar der Herr Magister Traxler war gerührt.

      Es gibt natürlich ein Fotoalbum »Hochzeit 1988«, wo am Deckblatt zwei Tauben turteln.

      Und sie gelten als Musterehepaar, bei ihren Freunden. Der dunkelhaarige Paul Matuschka, gut verdienender Journalist, der in seiner Freizeit noch Sachbücher schreibt, die Eva gern gesehener Gast in Volkstheater und Josefstadt und beschäftigt bei Fernsehproduktionen. Man kann ihren Typ gut gebrauchen. Die drahtige, kleine Frau mit dem blonden Kurzhaarschnitt. Mit einem rundlichen Gesicht und großen, grünen Augen. Die »Meg Ryan für Arme« sagen die Kollegen hinter ihrem Rücken.

      Und wenn für ein Interview die Fotografen da sind, kann man in den Zeitungen Bilder sehen, wo das glückliche Ehepaar mit der glücklichen, kleinen Tochter posiert.

      Doch jetzt, nach sechs Jahren, ist der »perfekte neue Mann« längst nicht mehr der verliebte Gedichteschreiber, sondern ein missgelaunter Ehemann, der sich bei den gemeinsamen Mahlzeiten hinter einem Buch versteckt.

      Und die ehelichen Pflichten … die werden immer seltener vollzogen. Man spricht nicht über die erotischen Fantasien und eventuelle Wünsche. Man schläft bei, und jeder konzentriert sich auf den inneren Pornofilm, den er ablaufen lässt, ohne den anderen dabei teilhaben zu lassen.

      Ewige Treue wollte die Eva exerzieren, aber die Lust auf was Neues wird immer stärker.

      »Mir kommen die Hormone schon bei den Ohren heraus«, sagt sie zu ihrer Freundin Rita, einer


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