Im Bett mit dem Teufel. Dolores Schmidinger
Unterwäsche vom Boden auf und versucht dann, den Reißverschluss auf der Rückseite ihres Kleides möglichst würdevoll zu schließen. Sie will ihre Sandalen anziehen, doch eine ist unters Bett gerutscht, und die Eva muss auf allen vieren kriechen, um die Sandale hervorzuholen. Das ist eine Stellung, in der es schwer ist, Würde zu bewahren, sie kommt sich vor, wie ein apportierender Hund.
Sie muss sich beeilen. Um fünf spätestens ist die Franziska vom Kindergarten abzuholen. Zu Hause wartet schon die Frau Christl, der sie das Kind übergeben wird, weil die Eva in die Vorstellung muss. Die Frau Christl Kirschbichler ist 64 und kommt aus dem Weinviertel. Sie hat blonde, dauergewellte Haare und blaue Augen in einem erstaunlich glatten Gesicht. Um ihre Taille runden sich die Spuren von sieben Geburten, die sie »erledigt« hat. Ihr Mann war ein gewalttätiger Alkoholiker und hat die Frau Christl nicht gut behandelt, wenn er vom Wirtshaus nach Hause gekommen ist. Dazwischen hat er ihr die Kinder gemacht. Darum hat sie eines Tages die Koffer gepackt und ist mit den Kindern auf und davon. Nach Wien, wo sie eine Stelle als Hausmeisterin angenommen hat und dazu noch zu verschiedenen Leuten putzen gegangen ist. Und eines Tages hat sie jemand zum Babysitten engagiert, aufgrund der Tatsache, dass die Frau Christl mit ihrem zahlreichen Nachwuchs doch Erfahrung in der Aufzucht von Kindern haben müsse.
Und die Christl ist zur Kinderhüterin avanciert, obwohl sie wahrscheinlich mehr als genug hat von den Bangerten. Und so ist sie als Kinderfrau in den Haushalt Matuschka-Traxler gekommen. Sie ist verlässlich und hat sich gleich strikt geweigert, mit den Eltern der kleinen Franziska per Du zu werden. Da würde es an Respekt fehlen. Und natürlich nennt sie die Eva nicht bei ihrem Künstlernamen, sondern sagt mit ihrer grellen Stimme und im Weinviertler Dialekt »Frau Matuschka«.
Wenn die Eva gegangen ist, wird sie die Franziska vor den Fernseher setzen. Der Herr Matuschka ist heute Abend nicht zu Hause, er geht mit seinem Verleger abendessen.
In der Theatergarderobe wartet schon die Rita, der die Eva sofort von ihrem Abenteuer berichten wird.
»Also ich würde mich auf so einen grusligen Typen nicht einlassen«, sagt sie, nachdem die Eva ihre Geschichte beendet hat. »Der hat dir doch wirklich eine Puffn an die Rippen gesetzt?«
»Nur im Spaß …«
»Na da hört sich bei mir der Spaß auf! Sei um Gottes Willen vorsichtig!«
Ja, ja, sie wird vorsichtig sein.
Eigentlich wartet man, bis der Mann anruft. Und wenn er nicht anruft? Am nächsten Tag um zwei Uhr Nachmittag hat die Eva Schweißperlen auf der Stirn, um drei zittern die Hände und sie muss ein großes Bier trinken. Danach hat sie Mut.
Die Eva arbeitet aktiv für eine Frauengruppe, die sich für den Feminismus einsetzt, und es wäre ja gelacht, wenn man sich über die alten Regeln nicht hinwegsetzen könnte. Sie wählt seine Nummer. Er meldet sich nicht. Vier Mal ruft sie an innerhalb der nächsten Stunde, und vier Mal lässt sie es ganz lange läuten. Und abends probiert sie es noch einmal. Drei Tage hat sie nichts von ihm gehört. Je mehr er sie zappeln lässt, umso mehr will sie ihn haben. Sie ist ganz wahnsinnig nach ihm, kann an nichts anderes denken. Die Eva weiß, dass es sie heiß macht, wenn jemand sie schlecht behandelt, aber so eine rasende Sehnsucht hat sie noch nie gespürt. Das macht ihr Sorgen.
Die Eva geht um neun aus dem Haus zur Probe. Bei der Gartentür ist der Postkasten, und der Briefträger war anscheinend schon da, denn aus dem grünen Schlitz schaut ein dickes, gelbes Kuvert heraus. Sie öffnet den Postkasten, und das Kuvert fällt heraus.
Die Eva bückt sich und hebt es auf, darauf ist mit altmodischer, schnörkeliger Handschrift ihr Name und ihre Adresse geschrieben und als Absender Joachim Kaunitz Hackenberg, Wien 1160. Sie lässt die Handtasche fallen – sie ist spät dran – egal, sie hat Schweiß auf der Stirn und öffnet das Kuvert. Drin befindet sich kein Liebesbrief, keine persönliche Nachricht, sondern ein Pack von kopierten Zeitungsartikeln im A3-Format. Die Quelle der Kopien ist eine Zeitschrift, die den Namen »Urlicht. Monatsblatt der Gnostischen Heilsbringer« trägt. Einiges ist mit rotem Bleistift angestrichen. Als Erstes sieht sie: »Die Weiber sind die Posaunen des Teufels«, dann einige Seiten später: »Die Lust ist ein Dämon, den es auszurotten gilt« und noch weiter hinten: »… schon die Rosenkreuzer sagten: ›Die Frau, die Vergnügen am Beyschlafe findet, ist eine Hure.‹«
Sie geht zurück ins Haus und macht sich eine Flasche Bier auf, weil ihre Hände so zittern. Dann geht sie auf die Probe. Als sie nachher ins Auto steigt, kann sie nicht anders, sie muss wieder bei ihm anrufen. Er meldet sich nicht, was hat sie anderes erwartet?
Liebeskummer, schon nach einmal miteinander schlafen? Sie hat nicht gewusst, dass die Angst sie so scharfmacht. Ziemlich verzweifelt gibt sie auf und geht in den Supermarkt, den Wocheneinkauf erledigen. Da kommt einiges zusammen. Obst, Gemüse – sie schaut darauf, dass die Franziska ihre Vitamine bekommt. Es gibt auch nicht viele Süßigkeiten und für das Frühstück ein Vollkornmüsli. Und batterienweise Cola, der Paul ist colasüchtig. Na ja, und auch Rotwein und Bier …
Die Eva weiß, dass sie eine Alkoholikerin ist, aber immerhin – sie hat es unter Kontrolle.
»Ich kann sehr vernünftig mit dem Alkohol umgehen!«, prahlt sie vor ihren Freunden. »Erst trinken, nachdem die Sonne untergegangen ist.«
Na ja, das mit dem Bier heute Morgen war ja eine Ausnahme.
Um fünf holt sie dann die Tochter vom Kindergarten ab.
Kaum ins Auto, auf den Kindersitz verfrachtet, beschwert sich die Franziska über die Kindergärtnerin, die Tante Manuela.
»Der Sascha hat sich heute beim Spielen wehgetan und hat zu weinen angefangen«, sagt die Franziska ernsthaft, »und die Tante Manuela hat gesagt, er soll aufhören, weil Buben nicht heulen dürfen.« Sie nagt an ihrem (gesunden!) Schokoriegel. »Und du sagst doch immer, dass die Buben weinen dürfen und Mädchen mit Autos spielen sollen!«
»Die Tante Manuela ist eine blöde Kuh«, will die Eva sagen, bremst sich aber in letzter Sekunde ein auf eine kindergerechte Version. »Die Tante Manuela ist eine … Tante, die Blödsinn redet. Ich werde morgen mit ihr darüber sprechen.«
Zu Hause riecht es nach chemisch erzeugtem Flieder, denn die Frau Christl sprüht, immer mit Raumspray, nachdem sie Evas Aschenbecher ausgeleert hat. Und sie tut das nachhaltig, um zu demonstrieren, dass der Zigarettenkonsum der Frau Matuschka zu hoch ist.
Joachim
September 1994
Der Joachim hat schlecht geschlafen. Mitten in der Nacht ist er aufgewacht, und die Stimmen waren wieder da. Sie sind aus dem Keller gekommen. Er ist aufgestanden und hat das Haus durchsucht, ob irgendjemand sich da unten aufhalten würde. Aber er hat niemand vorgefunden. Die Heizungsrohre haben wohl geknackt.
Vor zwei Monaten hat das mit den Stimmen angefangen. Zuerst hat er gedacht, die Nachbarn hätten wieder einmal den Fernseher zu laut aufgedreht, aber dann ist es ihm klar geworden, dass die Stimmen hier in seinem Haus zu ihm gesprochen haben.
Zuerst hat er nichts verstehen können, es war ganz einfach ein sinnloses Gebrabbel, aber dann ist ihm klar geworden, dass sie über ihn reden, höhnisch hinter seinem Rücken sich über ihn lustig machen.
Aber was noch ungewöhnlicher ist: Seit ein paar Wochen besucht ihn der Geist seiner Großmutter.
Und heute Morgen sitzt sie wieder neben ihm am Frühstückstisch. Sie trägt das Nachthemd aus rosa Flanell und darüber einen Schlafrock aus geblümtem Frottee.
Fast zehn Jahre hat er mit dieser Frau in einem Bett geschlafen, das erzeugt eine enge Bindung. Er kennt ihr Schnarchen, das Geräusch ihrer Furze, aber auch ihre Wärme und Zärtlichkeit, wenn sie ihn vor dem Einschlafen mütterlich an sich gedrückt hat.
Eigentlich freut er sich, dass sie ihm erschienen ist, denn er hat einige Fragen an sie.
»Oma, sag mir, was ich tun soll!«, sagt er und streicht sich ein Brot mit selbst gemachter Marmelade. Er überlegt kurz, ob er ihr auch ein Brot machen soll, aber dann fällt ihm ein, dass Geister keine Nahrung benötigen. »Ich habe