Im Bett mit dem Teufel. Dolores Schmidinger

Im Bett mit dem Teufel - Dolores Schmidinger


Скачать книгу

      Und jetzt gibt es den allgemeinen Tumult und die Wangenküsse, und der Christof öffnet eine Sektflasche.

      Und die Franziska muss die Kerzen ausblasen.

      »Wünsch dir was!«, sagt der Christof, und die Franziska pustet so gut sie kann und wünscht sich wieder was ganz Unvernünftiges: dass der hervorragend gebaute Trainer, den sie vorige Woche im Fitnessstudio kennengelernt hat, endlich anruft. Aber den kann man wohl abschreiben, er hat sich nicht mehr gemeldet, schade drum. Wahrscheinlich ist er schwul.

      In ihrer wilden Zeit zwischen 15 und 18 hat die Franziska wahllos mit verschiedenen Männern geschlafen, aber dann hat sie den Max getroffen. Die erste große Liebe. Die Franziska seufzt. Seit die Fünfjahresbeziehung mit dem Max in die Brüche gegangen ist – und wohlgemerkt, sie hat Schluss gemacht –, seither ist nichts Brauchbares in Sicht. Aber sie ist vorsichtig mit dem Verlieben, sie will nicht wie ihre Mutter sein, die nach jeder Beziehungspleite stundenlang auf der Couch gelegen ist und geheult hat.

      Obwohl sie weiß, dass sie der Eva sehr ähnlich ist, möchte sie nicht mit ihr verglichen werden.

      Und sie sagt auch nur ungern, dass ihre Mutter die Schauspielerin aus dem Fernsehen ist, die Eva Traxler. Sie will ohne berühmten Namen Karriere machen. Franziska Matuschka, die Karrierefrau.

      Eva

      September 1994

      Die Eva ist jetzt drei Tage lang immer die Erste beim Postkasten gewesen und es war drei Tage lang immer ein gelbes, dickes Kuvert drinnen. Wieder mit Kopien aus der Zeitschrift »Urlicht«, wieder mit rotem Bleistift einige Phrasen unterstrichen »… dass die Beimischung der Begierde im Grunde die Liebe zerstört …« oder »… das Seelenleben wird von irdischen Trieben verdunkelt …« und dann ein Artikel über Alkoholismus mit dem Bild einer zirrhotischen Leber daneben.

      Am vierten Tag ist eine Postkarte dabei, auf deren Vorderseite zwei nackte kleine Engel sich einen zärtlichen Kuss geben, auf der Rückseite ein handgeschriebenes Gedicht:

      »›Auf die Hände küsst die Achtung,

      Freundschaft auf die off ’ne Stirn,

      Auf die Wange Wohlgefallen,

      Sel’ge Liebe auf den Mund;

      Auf’s geschlossne Aug’ die Sehnsucht,

      In die hohle Hand Verlangen,

      Arm und Nacken die Begierde;

      Üb’rall sonst hin Raserei!

      Franz Grillparzer.‹

      Komm, komm Geliebte, ich bin in Raserei!

      Dein Joachim«

      Und sie kommt und er erwartet sie beim Haustor und sie schauen sich an und sie weiß, dass sie für diesen Augenblick alle Verlustängste gerne auf sich nimmt.

      Joachim

      September 1994

      Der Joachim macht gerade eine Rezitationsübung mit einem neuen Schüler.

      Er hat einige fixe Klienten, die im Kreis der »Gnostischen Heilsbringer« zu finden sind, denn Sprachgestaltung gilt als sehr wichtig, das betont der Herr Professor immer wieder. »Die Seele muss sich in die Vokale und Konsonanten hineinleben, und der Sinn der Worte ist zweitrangig.«

      Der Joachim hat auch noch in der »Presse« eine Annonce aufgegeben. Die »Presse« ist ein halbwegs seriöses Organ der Berichterstattung.

      Und heute hat er einen Schüler, der sich auf diese Annonce gemeldet hat.

      Der will Schauspieler werden und hat die Aufnahmsprüfung im Reinhardt-Seminar nicht geschafft.

      Der Jüngling ist neunzehn und hat gerade maturiert. Er heißt auch noch Mike, englisch ausgesprochen, als ob es im Deutschen nicht genügend schöne Namen gäbe! Er kommt gerade von seiner Maturareise aus Mallorca zurück, so erzählt er. Man sieht ihm an, dass er in der Sonne gewesen ist, denn er hat sich einen Sonnenbrand geholt. Seine Wangen sind krebsrot und von seiner Nase blättert die Haut ab. Er ist blond, ein hochaufgeschossener schlaksiger Kerl mit einem stark ausgebildeten Adamsapfel. Bei Männern wächst der Kehlkopf ja nach außen. Und wenn dieser stark ausgebildet ist, kündigt sich schon seine Wiedergeburt an, in einer fernen Zeit, wo der Kehlkopf die Geschlechtsorgane ersetzten wird, um neue Menschen zu gebären.

      Er spricht diese entsetzliche, leicht genäselte Jugendsprache, die jetzt modern geworden ist.

      Sogar im Burgtheater wird nicht mehr auf die Artikulation geachtet und die Schauspieler sprechen schlampig und unverständlich. Wo ist das herrliche Deutsch eines Oskar Werner geblieben?

      Der Joachim sitzt im Lehnstuhl im Herrenzimmer, und hat den Schüler in der Mitte des Zimmers platziert, der Perserteppich von der Großmutter liegt dort, an einigen Stellen schon ein wenig abgewetzt.

      Er hat diesem Mike das Libretto von »Die Götterdämmerung« in die Hand gegeben und die Seite mit der herrlichen Arie der Brünnhilde am Ende der Oper aufgeschlagen. »Götterdämmerung.« Er muss unwillkürlich lachen, dieser junge Mann ist fürwahr aus einer Generation, wo die Götter verdämmern und der Materialismus sich breitmacht.

      »Ich spreche Ihnen vor und Sie müssen dann wiederholen«, sagt er und beginnt – natürlich auswendig – zu rezitieren:

      »›Starke Scheite

      schichtet mir dort

      am Rande des Rheines zuhauf!‹

      Nachsprechen!«, befiehlt er.

      Der Mike spricht nach: »Starke Scheite

      schichtet mir dort

      am Rande des Rheines zuhauf!«, und es klingt, als ob er das Telefonbuch heruntersagen würde. Oh mein Gott, der ist ein hoffnungsloser Fall.

      »Sie müssen jeden Vokal, jeden Konsonanten deutlich betonen!«, der Joachim versucht, nicht ungeduldig zu werden.

      »›St-ar-ke Schei-te schich-tet mir dort

      am Ra-n-de des Rhein-es zuhauf!‹«

      Der Jüngling wiederholt die herrlichen Worte schlampig und undeutlich, und der Joachim rezitiert den nächsten Absatz:

      »›Hoch und hell

      lodre die Glut,

      die den edlen Leib

      des hehrsten Helden verzehrt.‹ Sprechen Sie nach!«

      Doch dieser Mike sagt auf einmal: »Und wen will die Brünnhilde auf dem Scheiterhaufen verbrennen? Ich kenne die Oper nämlich nicht!«

      Jetzt wird der Joachim wütend: »Das brauchst du auch nicht, nachsprechen musst du, einfach nachsprechen!«

      »Aber ich muss doch den Schmerz dieser Brünnhilde spüren, damit ich diese Worte richtig interpretieren kann!«

      »Ja, ja, ich weiß, so einen Schwachsinn erzählen sie euch auf den Schauspielschulen! Sich hineinfühlen! Der Inhalt ist völlig unwichtig, es muss deklamiert werden! Die Welt ist arm geworden. Das Höhere ist verloren gegangen, die Kultur, wie sie einmal war! Du sollst zuhören und nachmachen. Pass auf:

      »Sein Ross führet daher,

      dass mit mir dem Recken es folge:

      denn des Helden heiligste

      Ehre zu teilen,

      verlangt mein eigener Leib.

      Vollbringt Brünnhildes Wunsch!

      Umflöss’ es Flosshilde ewig!

      Deine Krötengestalt,

      deiner Stimme Gekrächz,

      o dürft’ ich staunend und stumm

      sie nur hören und sehn!«


Скачать книгу