Im Bett mit dem Teufel. Dolores Schmidinger

Im Bett mit dem Teufel - Dolores Schmidinger


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ich habe Angst!«

      Und die Großmutter spricht zu ihm:

      »Es ist mir nicht recht, dass diese Frau in meinem Bett liegt. Noch dazu auf meiner Seite. Ich glaube, sie will meine Zähne stehlen!«

      Die Großmutter spricht von dem Glas am Nachtkästchen, in dem sie ihre Zahnprothese aufbewahrt hat. Und jetzt bemerkt der Joachim auch, dass sie keine Zähne im Mund hat. Dass ihr Mund sich in Falten legt und dass beim Sprechen ein leichtes Zischen hörbar wird.

      »Dass der Trieb dich übermannt!«, äfft sie ihn nach. »Ich habe mein Leben lang keine Erfüllung in der Liebe gefunden, und schau, wie gut es mir geht!«

      »Bei Frauen ist das anders«, belehrt sie jetzt der Joachim, »die haben kein so starkes Triebleben wie ein Mann. Ein Mann muss kämpfen mit der Natur, um das Begehren abzutöten. Ich habe gekämpft und bin besiegt worden von Luzifer, dem Verführer.«

      Er legt die Arme auf den Tisch und bettet seinen Kopf darauf.

      »Du fehlst mir, Oma!«, sagt er dann. Als er sich wieder gerade hinsetzt, ist der Geist verschwunden. Hat sich in Luft aufgelöst.

       Franziska

      4. 7. 2014

      Die Franziska ist heute wieder die Erste in der Redaktion vom »Wiener Bezirksblatt« im »Media Quarter Marx«. Es war heute Morgen noch recht kühl, als sie von der U-Bahn-Station »Schlachthausgasse« durch die Baumgasse gegangen ist. Beim Würstelstand hat sie die Seite gewechselt. Als Veganerin kann man da nicht vorbeigehen. Aber manchmal weht der Geruch auch auf die andere Straßenseite herüber und hie und da kommt dann der Gusto auf etwas Fleischliches. Aber sie hat vor einem Dreivierteljahr eine Doku gesehen über Massentierhaltung und geschworen, kein Fleisch mehr zu essen.

      Nach gründlichen Recherchen im Internet ist sie dann zum Entschluss gekommen, überhaupt auf tierische Produkte zu verzichten. Nicht dass sie eine militante Tierschützerin wäre, aber dass die Ausbeutung von Tieren mit dem katastrophalen Zustand unserer Umwelt zusammenhängt, hat schließlich den Anstoß zu ihrem heroischen Entschluss gegeben.

      Als der Christof, der Chefredakteur, um neun auftaucht, sitzt sie schon an ihrem Schreibtisch.

      »Ich hab gestern recherchiert wegen des Kasernengeländes in Penzing. Das ist jetzt tatsächlich verkauft worden«, sagt sie. »Und die Pflanzen hab ich gegossen. Der Ficus Benjamini war schon ganz fertig. Der braucht viel Wasser!«

      »Aha«, sagt der Christof, der keine Ahnung hat, was ein Ficus Benjamini ist. Er setzt seinen Apple in Gang. »Schon wieder ist sie vor mir da, das geht ja gar nicht!«

      »Ja klar, merkst du nicht, dass ich einen Umsturz plane?«, Die Franziska schaut ihn ernsthaft an: »Ich will an die Macht!«

      Sie weiß, dass der Christof ihre Arbeit zu schätzen weiß.

      Die Franziska hat eine schwierige Phase gehabt in der Pubertät, und ihre Mutter war ganz einfach zu wenig da, um ständig nach den Hausaufgaben zu fragen oder den Inhalt ihrer Schultasche zu kontrollieren.

      Also haben es in der fünften Klasse die Lehrerinnen mit ihr aufgegeben. Das heißt – in Wirklichkeit hat sie selber aufgegeben. Die Schule am Rand des Ottakringer »Cottage« war auch nicht die richtige für sie. Eine Schule mit dem Einzugsgebiet, wo die Villen und die Einfamilienhäuser sind. Eine Schule für die »anständigen« Leute.

      Und sie hat ihre Punk-Phase gehabt. Das heißt, sie haben sich »Emos« genannt, damals Anfang des 21. Jahrhunderts.

      Man hat die Haare stufig geschnitten und meistens schwarz gefärbt. Aber die Franziska hat es so weit getrieben, dass sie eines Tages in der spießigen Schule mit blauen Haaren aufgetaucht ist. Wirklich blitzblau. Die Unterlippe war zwei Mal gepierct, die Augen mit tiefschwarzem Kajal dick umrandet und die Augenbrauen zu einem dünnen Strich geschminkt. Man hat Manga-Cartoons gelesen, die Musik von Tokio Hotel gehört und die Klamotten von »Emily the Strange« getragen.

      Sie haben sich als böse Kinder verkleidet, die nicht erwachsen werden wollen. Warum das Ganze? Man hat nicht so viel hinterfragt mit 14, man wollte einfach anders sein als die Mädchen mit den gebügelten Jeans und den Polo-Shirts von Ralph Lauren. Als sie eines Tages mit einem kunstvoll zerrissenen Leiberl aufgetaucht ist, hat ihre Mathematiklehrerin, die Frau Professor Degenhardt, die zugleich Klassenvorsteherin war, ihr Entsetzen in Zynismus verpackt:

      »Habt’s ihr zu Haus’ keine Waschmaschin’?«

      Und da war es der Franziska zu viel. Die Frau Professor hat das Zerfetzte gleichgesetzt mit »ungewaschen«, und sauber gewaschen ist die Franziska immer gewesen. Im Gegensatz zur Frau Professor Degenhardt, die an heißen Tagen schon einmal leicht säuerlich gerochen hat. Und da hat die Franziska der Lehrerin geantwortet:

      »Ich dusche mich sicher mehr als Sie, Frau Professor! Und jetzt lecken Sie mich am Arsch!«

      Was eine sofortige Suspendierung von diesem Institut zur Folge gehabt hat. Danach hat es ihre Mutter, auf Rat einer Psychologin, in einer anderen Schule mit ihr versucht. Eine Schule mit einem »toleranteren« Lehrkörper. Die Franziska hat nur mehr eine sehr blasse Erinnerung an diese Schule, sie war genau zwei Mal dort. Dafür kennt sie alle Lokale in der Umgebung.

      Zwei Jahre ist sie dann faul herumgesessen und hat das Leben genossen, mit einem Gastspiel bei einem Tierarzt als Sprechstundenhilfe und als Hospitantin bei einer JosefstadtProduktion, ein Job, den ihr die Eva verschafft hat. Ihre Mutter ist ratlos gewesen und hat ihr Geld gegeben, um Zuwendung zu zeigen. Und der Papa hat sich gar nicht um die Franziska gekümmert – gerade einen kurzer Besuch am Geburtstag oder zu Weihnachten war sie ihm wert.

      Und auf Lernen hat sie null Bock gehabt. Das Einzige, was ihr Spaß gemacht hat, war das Geigespielen. Sie hat nämlich als Kind im Theater der Jugend ein Stück gesehen, wo ein geigenspielender Fuchs auf die Bühne gekommen war.

      Das hat die Achtjährige so beeindruckt, dass sie unbedingt auch eine Geige haben wollte. Mit heiligen Schwüren, jeden Tag eine Stunde zu üben, hat sie dann »Geige« auf den Weihnachtswunschzettel gesetzt.

      Also ist dieses Instrument unter dem Weihnachtsbaum gelegen und zum Erstaunen der Eltern hat die Franziska das Geigenspielen ernst genommen und tatsächlich fast täglich geübt. Und schon bald ist aus unerträglichen Quietschgeräuschen eine erkennbare Melodie geworden.

      Aber in der Pubertät hat sie nicht einmal das Instrument aus dem Blues herausholen können.

      Ihre Emo-Freundinnen haben sich die Unterarme geritzt und die Franziska hat es eines Tages auch probiert. Mit einer Rasierklinge hat sie sich einen Schnitt unter der Armbeuge zugefügt. Es hat wehgetan und sie hat dann immer Stulpen oder lange Handschuhe getragen, damit die Mutter die Selbstverletzung nicht sehen konnte. Und dann ist sie auf den Geschmack gekommen. Nach jedem Schnitt ins Fleisch hat sie eine unglaubliche Erleichterung gespürt, so als ob ihr der Überdruck im Körper durch ein Ventil ausgeblasen worden wäre.

      Die Mutter hat sie zu einer Psychologin geschleift, doch die Franziska hat diese Frau nur blöd gefunden und ihre Methoden noch blöder. Einem leeren Sessel gegenüberzusitzen und so zu tun, als säße die Mama dort, und dann mit ihr ein Gespräch zu führen – wie idiotisch ist das!? Und sie ist einfach nicht mehr hingegangen.

      Und dann hat sie diese teure Kamera von ihrer Mutter bekommen. Eine Canon Eos mit Teleobjektiv, und nach einigen Schnappschüssen, wo die Freunde und Freundinnen mit blöden Gesichtern und einer Bierdose in der Hand in die Kamera grinsen, hat das Fotografieren sie eines Tages zu interessieren begonnen.

      Die Mutter war gleich total begeistert von den Ambitionen ihrer Tochter und wollte sie in der künstlerischen Volkshochschule anmelden, aber da hat die Franziska gestreikt. Sie wollte nicht wieder durch die Intervention ihrer berühmten Mutter in einem Bereich Fuß fassen.

      Es war dann ein glücklicher Zufall – andere würden sagen, es war Schicksal –, dass sie bei einer Premiere diese Lisa Fränkel kennengelernt hat. Eine Dame um die vierzig mit kurzen grauen Haaren und einem militant lesbischen


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