Im Bett mit dem Teufel. Dolores Schmidinger
Bezirk und ist eine gefragte Modefotografin. Und die Lisa hat sich ihrer angenommen und der Franziska mit ihrer teuren Kamera die Grundbegriffe des Fotografierens beigebracht.
Eines Tages, nachdem sie nach einem Shooting für eine Zahnpaste die grinsenden Models am Laptop ansehen und über eine Farbkorrektur der Zähne sprechen, hat die Franziska plötzlich zu weinen angefangen und gestanden, dass sie schon drei Wochen überfällig ist mit ihrer Regel. Da sind sie hinüber gegangen in die Wohnung, wo die Iris, die Partnerin von der Lisa, einen herrlichen Nudelsalat gemacht hat. Dabei ist die Iris gar kein hausfraulicher Typ. Sie trägt hautenge, schwarze Hosen mit einem Nietengürtel, und ihre blonden Haare sind am Oberkopf zu Dreadlocks getürmt.
Sie haben geredet. Man hat aus der Nachtapotheke einen Schwangerschaftstest besorgt und nach dessen Einsatz hat es Entwarnung gegeben. Dann hat die Franziska ihr Herz ausgeschüttet. Über den Typen, der sich aus ihrem Leben vertschüsst hat, über ihre Mutter, über ihre Schnitte am Unterarm und über das Leben sowieso. Und so sind die Lisa und die Iris zwei ganz dicke Freundinnen geworden, solche, die man sogar mitten in der Nacht anrufen kann, wenn man Liebeskummer hat.
Endlich hat ihr eine Arbeit Spaß gemacht und sie hat deshalb schnell gelernt.
Und eines Tages ist ihr ein ganz besonderes Foto gelungen.
Es ist Juli und es gibt ein Shooting für die Herbstkollektion einer Modekette. Der Kunde will unbedingt den Neusiedlersee als Motiv. Romantisch soll es sein und aussehen, als ob es September wäre.
Also stehen zwei Models inmitten von Schilf und seichtem Wasser und posieren in der glühenden Sonne mit dicken Jacken und in Stiefeln mit Stilettoabsätzen.
In einer Pause holt der Maskenbildner vom nächsten Wirt ein Wasserschaff und füllt es mit billigem, aber eiskaltem Prosecco – angeblich das beste Mittel gegen Schwellungen an den Beinen. Und die Franziska schießt ein Foto von den beiden Models, wie sie in dem Wasserschaff die Füße kühlen. Die Lockenwickler in den Haaren, in der Hand das Handy, tippen sie kichernd eine Nachricht auf Facebook ein. Zwei als Modepuppen verkleidete Kinder, die den Ernst des Lebens eine Minute noch hinausschieben. Die Lisa ist begeistert von dem Schnappschuss. Menschen in ganz banalen Situationen zu fotografieren, darauf soll sich die Franziska spezialisieren.
Also schaut sie sich um in Wien. Sie besucht Likörstuben und fotografiert die gestandenen Alkoholiker beim Philosophieren. Verkleidet mit einem Trachtensakko besucht sie einen Nobelheurigen in Heiligenstadt und lichtet die besseren Leute ab, die mit geröteten Gesichtern Fleischlaberl und Erdäpfelsalat verschlingen. Und dann gleich noch eine Schar japanischer Touristen mit Hütchen, während im Hintergrund ein Akkordeonspieler den Mund weit offen hat, weil er wahrscheinlich grade ein Wienerlied singt.
Sie macht Aufnahmen von den hässlichsten Balkonen Wiens, zu deren Füßen sich eine vierspurige Autolawine dahinwälzt, sie fotografiert beim Biohändler im siebenten Bezirk die Umweltbewussten, die ihre überteuerten Karotten im Jutesackerl verstauen, und sie geht auf eine türkische Hochzeit, wo die ledigen Damen in Ausgelassenheit in ihren Abendkleidern im Kreis tanzen.
Zuerst hat sie die Fotos nur in Facebook gestellt, so rein zum Vergnügen, aber die Lisa hat gemeint, dass es vielleicht gescheit wäre, aus dem Hobby einen Beruf zu machen, und damit Geld zu verdienen.
Eines Tages ist die Franziska in der Redaktion vom »Wiener Bezirksblatt« vor dem Schreibtisch vom Christof gestanden und hat gesagt: »Ich glaube, ich bin die Richtige für Sie!«
Und dann hat sie ihm ihre besten Bilder vorgelegt und dazu einen selbstverfassten Artikel über »Die Sicherheit der Wiener Spielplätze«.
Der Christof war beeindruckt und hat gesagt: »Na, dann probier’n wir’s doch einmal!«
Und seither ist sie Redakteurin beim »Wiener Bezirksblatt«, betreut mit dem Ressort »Grätzelberichterstattung für Wien West«.
Die Franziska weiß, dass man sie wegen ihrer Fähigkeiten eingestellt hat, und nicht aufgrund ihres Aussehens, aber sie hat im Lauf ihrer 26 Jahre herausgefunden, dass ein angenehmes Erscheinungsbild nicht schaden kann.
Sie hat ihre braunen Haare jetzt nicht mehr blau gefärbt (manchmal schaut sie sich noch die Bilder an aus ihrer Emo-Zeit, und wundert sich, welche Phasen ein Mensch durchlaufen muss, um erwachsen zu werden). Jetzt geht sie nur mehr verkleidet auf Faschingsbälle. Eigentlich schade, dass man sich so wenig bewahrt vom Rebellischen.
Ihre Haare haben jetzt nur mehr eine rötliche Tönung und sind am Oberkopf zu einem Pferdeschwanz gebunden, die Stirnhaare zu einem klassischen Pony geschnitten. Die großen, braunen Augen werden mit einem Lidstrich à la Audrey Hepburn betont und schwarzes Mascara wird auf den Wimpern aufgetragen. Auf Lippenstift verzichtet sie, sie kann es nicht leiden, wenn man auf Gläsern und Häferln rote Spuren hinterlässt.
Ihr Busen ist nicht allzu groß und wird meistens in einen Push-up-BH verpackt, sie trägt gerne weiße Oberteile darüber und hat sich gerade beim Sommer-Sale mit den neuen, weiten T-Shirts eingedeckt.
Dazu enge Jeans – sie hat makellose Beine. Nur ihre Hüften würden zur Üppigkeit neigen, wenn die Franziska das nicht verhindern würde. Sie geht drei Mal die Woche ins Fitnessstudio trainieren, damit sie keinen bladen Oasch kriegt.
Heute machen alle auf geheimnisvoll. Und die Franziska tut so, als ob sie gar nichts bemerken würde. Sie hat Geburtstag. Am vierten Juli. Als sie noch in der Schule war, ist das recht frustrierend gewesen, denn es hat keine Party gegeben, weil die meisten ihrer Freundinnen schon auf Urlaub waren. Aber jetzt weiß sie das Geburtsdatum zu schätzen – man kann draußen feiern, und der kleine Garten ihrer Mutter eignet sich hervorragend für Sommerfeste.
Am Nachmittag dann wird es auf einmal feierlich.
Der Christof telefoniert und wirft immer wieder verstohlene Blicke zur Franziska hin. Schließlich steht er auf und bittet die Kollegen in den Aufenthaltsraum mit der Küchenzeile, wo bereits Sektgläser auf einem Tablett stehen.
Alle kommen hinter ihren Schreibtischen hervor, der Robert, der für die Politik zuständig ist, die Kerstin von der Kultur, die Dagmar von der Sparte »Freizeit und Wellness« und der Florian, der für die Lokalpolitik arbeitet.
Sogar der Robert hat seine Kopfhörer abgenommen, mit denen er sich sonst von den Geräuschen dieser Welt abschottet, und kommt zum Küchentisch. Ein großer, hagerer Mann mit einem grauen Dreitagesbart, der als ziemlich humorlos gilt.
»Ja, was kann denn das für ein supercooles Geheimnis sein?«, fragt die Dagmar mit gespielter Naivität, und stöckelt mit ihren Versace-Sandalen zur Kaffeemaschine, wo sie eine Kapsel »Ristretto« einlegt. Sie trinkt immer den ganz starken Kaffee, und wundert sich dann, dass sie nachts nicht schlafen kann. Die teuren Schuhe hat sie in irgendeinem Sale ergattert, vermutet die Franziska, die selber gar nicht auf Designerklamotten steht. Die Dagmar ist eine Anwaltstochter, aus besseren Kreisen, und so sieht sie auch aus, mit ihren sorgsam gezausten, blonden Haaren und einem T-Shirt mit Krokodil. Und nicht zu vergessen, einer Handtasche von Luis Vuitton.
Der Florian steht auf und holt einen in giftgrünes Papier gehüllten, geschmacklosen Blumenstrauß unter dem Schreibtisch hervor, den er vergessen hat einzuwässern. Der Florian ist der Jüngste in der Redaktion und hat halblange, schwarze Haare und eine Nerd-Brille mit dickem, schwarzem Rand.
Dann geht auf einmal die Tür auf und die Society-Lady Andrea Buday kommt herein, die ihr Büro im selben Stock hat.
Sie trägt eine riesige Torte vor sich her, wo zwischen kunstvoll platzierten Erdbeeren 26 kleine Kerzen brennen, die siebenundzwanzigste, das Lebenslicht, in der Mitte.
Und jetzt wird gesungen:
»Happy Birthday to you, happy Birthday to you, happy Birthday, liebe Franziska, happy Birthday to you!«
Die Dagmar hat mit dem Singen begonnen und alle tun sich schwer, weil sie viel zu hoch angestimmt hat. Die Buday singt mit lauter Stimme eine Oktave zu tief und trifft die Töne nicht ganz exakt, sodass der feierliche Gesang in einem musikalischen Desaster endet und ein allgemeines Gelächter ausbricht.
»Die Torte is a bisserl schief«, sagt die Buday,