Der Meister und der Mörder. Margarete von Schwarzkopf

Der Meister und der Mörder - Margarete von Schwarzkopf


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schob die Teetasse quer über den Tisch und sah ihn unwillig an. »Wir waren leider nicht mehr sehr eng. Soweit ich weiß, erstellte sie Gutachten für verschiedene Auktionshäuser, vor allem für ›Markmann & Co.‹ in Hamburg.« Schwach erinnerte ich mich, dass sie mir vor etwa einem Jahr erzählt hatte, dass sie manchmal für die Fernsehsendung angefragt worden war, in der auch Richard Bernhard seit etlichen Jahren als Experte auftrat. Das hatte mich verwundert, denn in »Gutes für Geld« wurden zwar auch hie und da Bilder angeboten, doch sicherlich keine alten Italiener. Da verkauften Leute eher den Schinken vom Dachboden, der um 1900 oder später in den Besitz der Familie gelangt war, und selten war darunter ein Bild, das mehr als tausend Euro brachte. Letztens hatte es dort Ärger gegeben, weil eine Skizze von Max Liebermann weit unter Preis angeboten und schließlich für lächerliche vierhundertfünfzig Euro gekauft wurde. Das hatte einen Aufruhr auf dem Kunstmarkt ausgelöst, und ein Bekannter von mir, der für ein Museum in Berlin arbeitete, erzählte mir, dass Richard irgendwie in die Sache verwickelt gewesen sei. Er hatte als sogenannter Experte einen viel zu niedrigen Schätzpreis angegeben. Was Christines Funktion bei dieser Sendung gewesen war, habe ich nie erfahren.

      Ich fühlte mich trotz des Tees sehr erschöpft. Schumann bemerkte es. Auf sein Gesicht trat ein weicherer Ausdruck. »Ist gut, Anna«, sagte er. »Sie können jetzt erst mal nach Hause fahren. Wir melden uns.« Er wandte sich an Brink, der in seiner Nähe stand. »Frau Bentorp sollte zu unserer Verfügung bleiben. Sie kannte das Opfer.«

      Opfer? Im Zusammenhang mit meiner lebenslustigen Freundin Christine klang das völlig surreal. Ich nickte Brink zu, raffte meine Handtasche an mich und ging hinaus in das fahle Licht des sinkenden Maitages. Als ich bei meinem Auto ankam, sah ich sofort, dass jemand versucht hatte, die Fahrertür aufzuhebeln. Es gab auffällige Kratzspuren um das Schloss. Aber wahrscheinlich war der Täter gestört worden, denn die Tür war noch immer verschlossen, auch das Fenster unversehrt. Es wunderte mich, dass sich jemand für mein ziemlich betagtes Auto, das ich liebevoll Apollo nannte, interessierte. Mein überspanntes Hirn verfing sich sofort in wilden Theorien. Stand das mit dem Mord in Zusammenhang? Sollte der Täter versucht haben, mit meinem Auto zu entkommen? Das wäre keine sehr gute Wahl gewesen, da Apollo kaum mehr als einhundertzwanzig Stundenkilometer schaffte.

      Ich sah mich um. Auf dem Parkplatz standen einige sehr viel neuere und garantiert schnellere Wagen. Ein paar Cabrios wären leichter zu knacken gewesen. Doch dann fiel mein Blick auf meinen Beifahrersitz. Die rote Mappe. Eher achtlos hatte ich sie dort hingeworfen und fast vergessen. Wie dumm von mir. In mir regte sich mein alter Miss-Marple-Instinkt. Sollte diese Mappe mit der sehr deutlichen Etikettierung etwa das Objekt der Begierde gewesen sein?

      Ich ging um mein Auto herum. Tatsächlich, das Fenster auf der Beifahrerseite war ein Stückchen heruntergedrückt worden. Doch es hatte gehalten. Braver Apollo. Mich aber beschlich ein mulmiges Déjà-vu-Gefühl. Ein altbekanntes Kribbeln im Nacken. Ich glaubte zu spüren, dass mich jemand beobachtete. Mit zitternden Knien stieg ich in den Wagen. Alle drei Sekunden starrte ich in den Rückspiegel, ob mir jemand folgte. Niemand zu sehen. Aber das Kribbeln blieb, als ich über die Schnellstraße in Richtung Hannover fuhr.

      Intermezzo

      Der Raum lag im Halbdunkel. Das einzige Licht kam von einer Lampe, deren Strahl das Bild an der Wand fokussierte. Dieses Bild war seine Leidenschaft, sein Quell der Freude. Doch seit er erfahren hatte, dass dieses Gemälde nur eine, wenn auch gelungene, Fälschung war, schienen die Farben stetig zu verblassen. Das tiefe Grün des Drachen schimmerte nur noch matt, das leuchtende Weiß des mächtigen Schimmels, auf dem der heilige Georg saß, zeigte Grautöne, der rote Mantel des Ritters verschwamm zu einem dunklen Rosé. Dass dies eine optische Täuschung war, wusste er. Nichts hatte sich an dem Bild verändert. Noch immer stürmte Sankt Georg auf seinem strahlend weißen Ross in schimmernder Rüstung und wehendem dunkelroten Mantel auf das tiefgrüne Ungeheuer zu, noch immer erwartete es den Todesstoß, noch immer hielt die zarte junge Frau den Drachen an einem Band. Aber die Erkenntnis, dass er seit so vielen Jahren mit einer Fälschung gelebt hatte, verschob seine Perspektive, trübte seinen Blick und schmerzte ihn jeden Tag mehr.

      Innerlich verfluchte er sich, dass er je den Auftrag erteilt hatte, die Provenienz des Bildes zu erforschen. Wie viel besser wäre es gewesen, das Gemälde weiterhin so zu sehen, wie er es jahrelang voller Freude genossen hatte – als eine frühe Fassung von »Der heilige Georg und der Drache« von Paolo Uccello. Es gab zu diesem Thema noch drei weitere Gemälde des großen Florentiner Malers, dem laut seinem allerersten Biografen Giorgio Vasari »die Natur ein feinsinniges und subtiles Talent geschenkt hatte«. Doch nur zwei von diesen drei bekannten Bildern waren mit seinem Bild vergleichbar, bei dem Uccello eindeutig genaue Studien zur Perspektive betrieben hatte, was sein Markenzeichen werden sollte.

      Hätte er doch nur seine Neugierde gezügelt! Aber irgendwann war der Wunsch in ihm unerträglich geworden, die Geschichte des Bildes zu erfahren, das in einem verborgenen Winkel seines Hauses hing, fernab von neugierigen Blicken und damit gefeit vor möglichen Fragen. Woher stammte das Gemälde ursprünglich, wer hatte es vor langer Zeit besessen? Es gab eine Verbindung des Bildes zu seiner Familie, wie er von seinem Vater erfahren hatte. Im Familienarchiv lag ein Schreiben, das dies bestätigte. Es war im 17. Jahrhundert über Umwege in ihren Besitz gelangt. Doch dann verschwand das Bild aus unbekannten Gründen zu Beginn des 19. Jahrhunderts und war wie durch eine Fügung des Schicksals vor sechzig Jahren zu ihnen zurückgekehrt. Und nun hatte es ihn gedrängt, die Wahrheit zu erfahren.

      Seine Sammlung umfasste eine Vielzahl bedeutender Werke, einige davon auf Auktionen erstanden, andere auf weniger legalen Wegen zu ihm gekommen. Doch dieses eine Gemälde war es, das ihn wirklich faszinierte, von dem eine Ausstrahlung ausging, die ihn immer wieder seltsam berührte. Und nun musste er sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass er eine Fälschung verehrte. »Es könnte sein, dass dies nicht die einzige Fassung ist, die von diesem Werk existiert«, hatte der von ihm beauftragte Detektiv vor zwei Wochen bei einem Treffen gemutmaßt. Dieser Detektiv, geboren in Manchester, war viele Jahre für eine Agentur tätig gewesen, die sich mit der Echtheit und Provenienz von Bildern befasste. Dann aber hatte er sich mit seinem Arbeitgeber überworfen, die Agentur verlassen und arbeitete nun als Freiberufler. Ein tüchtiger Mann, auch wenn seine Weste vielleicht nicht ganz blütenweiß war.

      Zwei Jahre hatte der Detektiv mit der Recherche zu diesem Bild verbracht, zwei teure Jahre. Und dann das niederschmetternde Ergebnis. Er hatte in der British Library in London einen Brief aus dem Jahr 1690 entdeckt, dem er die Wahrheit entnahm. Es hatte einiges an Überredungskünsten bedurft, den Kurator der Abteilung für alte Dokumente, Sir Hugo Stevenson, zu überzeugen, den Brief kopieren zu dürfen. Erst als der Detektiv verriet, für wen er diesen Brief brauchte und dass er vielleicht der Schlüssel zu einem lang verborgenen Geheimnis sein könnte, stimmte der Kurator zu.

      Der Mann in dem abgedunkelten Zimmer hatte zunächst nicht glauben wollen, was er las. Aber der Brief war, wie ihm ein Grafologe bestätigte, authentisch und bezog sich auf genau diesen von ihm gesuchten heiligen Georg. Es war kein Zweifel möglich. Doch anstatt sich den Tatsachen zu fügen, war in ihm der kalte Zorn hochgestiegen. Sein Vater hatte jahrelang nach dem Bild gesucht, bis er endlich auf eine heiße Spur gestoßen war. Er kannte nicht alle Details, weil er damals noch ein Kind gewesen war. Angeblich hatte sein Vater das Bild nach dem Zweiten Weltkrieg einem russischen Emigranten abgekauft. Der Urgroßvater dieses aus Russland geflüchteten Kyril Petronow, ein gewisser Sergej Petronow, hatte es um 1900 in Paris in einer Auktion ersteigert. Von da an hatte es sich im Familienbesitz der Petronows befunden und war ins Exil gerettet worden. Bei seiner Flucht hatte Kyril seine Familie in der Sowjetunion zurückgelassen. Doch dann entschloss er sich, sie doch in den Westen zu holen, und brauchte dringend Geld. Viel besaß er nicht mehr, einige Ikonen, zwei Fabergé-Eier, zwei frühe Iwan Schischkins und dieses italienische Werk. Kyril wollte seine russische Kunst nicht hergeben. Sie erinnerte ihn an seine verlorene Heimat, aber den Italiener, der in seinen Augen zwar ein wenig der Ikonenmalerei des 18. Jahrhunderts ähnelte, verkaufte er ohne Bedauern. Der sonderbare Engländer, dem er das Bild überlassen hatte, zahlte eine anständige Summe.

      Und nun diese Enthüllung! Seit Jahren hatte seine Familie also eine Fälschung wie ihren Augapfel gehütet und verborgen. Was ihn schon als Jungen gewundert hatte, denn andere Bilder wie


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