Der Meister und der Mörder. Margarete von Schwarzkopf
besaß. Als Kind hatte ich in Irland leidlich das Bogenschießen und Fechten erlernt, mit Schusswaffen jedoch fühlte ich mich unsicher. Und meine wenigen Schießübungen unter Anleitung von Conrad hatten mir den Spott des übrigen Gesindes eingebracht. Den Dolch aber, dessen Scheide aus Silber getrieben war, besaß ich seit meinen ersten Monaten in London und führte ihn stets bei mir. Benutzt hatte ich ihn noch nie. Ich schob ihn in meinen Ärmel.
Der kupferne Knauf an meiner Tür drehte sich langsam. Mir trat der Schweiß auf die Stirn. Ich bin kein Held, eher ein Stubenhocker, der von Abenteuern lieber in Büchern liest und deshalb auch den Earl bewunderte, der furchtlos in den Kampf für seinen König gezogen war. Ich liebte Ritterromane wie die Abenteuer des Don Quijote de la Mancha, ein Werk, das Thomas Shelton noch zu Lebzeiten des Dichters Cervantes ins Englische zu übersetzen begonnen hatte. Allerdings ein wenig rudimentär, doch immerhin las ich es schon als Jugendlicher mit brennenden Wangen. Mein größtes Vorbild war Ritter Lancelot, Gefolgsmann von König Artus, dessen Geschichte ich in vielfältigen Versionen kannte. Aber Theorie und Praxis klafften bei mir weit auseinander.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und dachte an das Vorbild meiner fiktiven Helden, die der Wirklichkeit fern-, aber meinen Emotionen nahestanden, umfasste mit größter Überwindung den Türknauf und riss die Tür auf. Zuerst konnte ich nichts erkennen, da sich vor mir der dunkle Gang, der in früheren Zeiten stets von Fackeln erhellt worden war, wie ein gähnender Schlund auftat. Als meine Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten, sah ich, wer dort stand. Es war Steven Clarke. Sein dummdreistes Gesicht wirkte im flackernden Kerzenlicht fratzenhaft verzerrt. Er grinste und zeigte dabei sein lückenhaftes Gebiss. Fast die ganze untere Zahnreihe fehlte, dabei konnte er nicht älter als Mitte zwanzig sein.
Ehe ich etwas zu sagen vermochte, drängte er mich zurück und sagte mit seiner näselnden Stimme: »Na, Ire, bist du der letzte Gralsritter und Hüter der Schätze deines toten Herrn?«
Woher wusste dieser Klotz überhaupt, was Gralsritter sind? Dieser lächerliche Gedanke schoss mir trotz meines Schreckens durch den Kopf. Ich versuchte, mich Clarke entgegenzustemmen, aber er war stärker als ich. Er stieß mich in meine Kammer und sah sich um.
»Wo ist denn dieser Heilige, den ihr Papisten anbetet?« Sein breiter Londoner Akzent verriet seine Herkunft. »Den du immer mit so gierigem Blick angeglotzt hast?« Er lachte. Es klang wie das Meckern einer Ziege. »Ich selbst mag zwar diese Götzen nicht und hätte das Bild gerne in Stücke gehackt, aber ich weiß, dass es meinem Herrn gefallen würde. Der ist zwar kein Papist, doch er mag bunte Bilder. Ist ja auch eigentlich Schotte. Da kann man nie so genau wissen, was die so fühlen.«
Ich erstarrte. Hatte ich doch recht gehabt. Steven war ein Spion, der sich in Warchester Castle eingeschleust hatte. Er grinste selbstgefällig.
»Wenn ich meinem Herrn das Bild mit dem Drachen bringe, wird er mich sicher reich entlohnen. Von seinem Kammerdiener habe ich erfahren, dass er diese Heiligendarstellungen schätzt. Dabei ist Thomas Fairfax ein guter Christ und kein Papist. Also, O’Sullivan, rück es raus. Ich werde dich in Ruhe lassen, und du kannst die anderen Bilder mitnehmen. Aber den Georg will ich.«
Steven drängte mich bei diesen Worten immer tiefer in meine Kammer. Es würde nicht lange dauern, bis wir in die Ecke gelangten, wo der Uccello und der Biondo an meinem Bett lehnten. Wie hatte dieser Kerl nur in den Dienst des Earls gelangen können?
Als ob er meine Gedanken erraten hätte, verzog Steven das Gesicht wieder zu einem hässlichen Grinsen. »Der gute alte Conrad, Gott sei seiner Seele gnädig, hat mich ohne viele Fragen aufgenommen. So ein Narr! Was ich hier alles erfahren habe beim gemütlichen Plausch in der Küche, das war recht nützlich.« Er zwinkerte. »Und dann diese kleine irische Kammerzofe! Die konnte ja reden wie ein Wasserfall, und bei einem Becher Ale hat sie so einiges verraten.«
Mich durchzuckten Gefühle, die ich lange nicht mehr gespürt hatte – Eifersucht und Zorn. Ich mochte Bridget, die mich mit ihrer offenen, herzlichen Ausstrahlung an meine lange verstorbene Frau erinnerte. Wütend starrte ich Clarke an. Der lachte laut. »Ist ja nicht verborgen geblieben, dass du das Mädchen magst. Aber jetzt zur Sache. Ich weiß, dass du dieses Drachenbild hier aufbewahrst. Gib es mir, und ich verschwinde. Ich will dir nichts antun.«
Er sah sich in meiner Kammer um. Ich traute ihm nicht, hatte ich doch unter seinem Wams den Umriss einer Pistole entdeckt. Natürlich würde er mich töten, sobald ich ihm den Uccello übergeben hätte. Auf meinem Schreibtisch lag, ebenfalls sorgfältig verpackt, das Bildnis des Jungen von Caravaggio, das ich vor wenigen Stunden als das letzte Geschenk des Earls noch mit Rührung betrachtet hatte. Die beiden anderen Bilder gehörten nicht mir. Für sie fühlte ich mich seltsamerweise stärker verantwortlich als für alle anderen. Vorsichtig zog ich den Dolch aus meinem Ärmel. Mich graute davor, ihn benutzen zu müssen. Doch ein Mann wie Steven Clarke verstand nur die Sprache der Gewalt.
Er bemerkte meinen Blick auf das auf dem Schreibtisch liegende Bild. Sein Grinsen wurde breiter. »Braver Ire«, sagte er und trat an den Tisch. Er ergriff das Gemälde, das durch die Verpackung größer wirkte, als es wirklich war. »Da haben wir ja wohl unseren Drachenbesieger.« Er nahm es an sich und zog mit einem Ruck seine Pistole unter dem Wams hervor. Ich erhob den Dolch, aber Clarke war schneller. Instinktiv sprang ich zur Seite, ein Knall ertönte, ich spürte einen scharfen Schmerz, als hätte mich eine Fackel angesengt, und sank neben meinem Schreibstuhl zu Boden. Ich nahm Clarke wie durch einen schwarzen Schleier wahr. Doch er lud nicht nach, sondern packte das Bild und rannte aus meiner Kammer. Wenig später hörte ich draußen eilige Schritte, und der alte Diener Duncan tauchte aus dem Nebel meiner Wahrnehmung auf. Er stieß bei meinem Anblick einen Schrei aus. Danach versank alles um mich herum.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich in meinem Bett, meine Schulter schmerzte, aber ich spürte sie kaum vor Freude darüber, dass ich lebte. An meinem Bett standen Duncan und seine Frau Lisbeth, die ebenfalls viele Jahre im Schloss gedient hatte. Sie konnte wegen ihres fortschreitenden körperlichen Verfalls, der ihr beim Gehen Qualen bereitete, nur noch kleinere Arbeiten verrichten. Lisbeth galt als kräuterkundige Frau, die zu Geburten gerufen wurde und zu Kranken, vor allem zu Kindern.
Sie fuhr mir mit einem feuchten Tuch über die Stirn und lächelte sanft. »Du musst dich ausruhen, Stuart«, sagte sie leise. »Die Kugel hat deine Schulter nur gestreift und zum Glück nicht durchschlagen. Ich habe die Wunde verbunden. Jetzt trink diesen Kräutertee. Dann wirst du schlafen, und morgen wird es dir besser gehen.« Damit schob sie mir einen Becher an die Lippen. Ich trank in langen Zügen. Ehe ich den beiden weitere Fragen stellen konnte, fielen mir die Augen zu. In meinen wirren Träumen erschien mir Sankt Georg auf einem Pferd, das Feuer spuckte, und der Drache verwandelte sich in eine Fledermaus, die durch die leeren Säle von Warchester Castle huschte.
Am nächsten Morgen brannte die Schulterwunde kaum mehr, ich fühlte mich fast wieder genesen. Doch Lisbeth schüttelte den Kopf, als ich ihr sagte, dass ich bereit sei, schon am nächsten Tag den Wagen mit den restlichen Gemälden nach Ivory Hall zu begleiten. Wir einigten uns, dass ich noch weitere zwei Tage ruhen und dann aufbrechen würde. Ihr Mann trat an mein Bett und sagte: »Dieser treulose Verräter Clarke ist uns entkommen. In der Kammer, die er mit John und Peter teilte, fanden wir eine Bibel. Mehr nicht.«
»Er dient in Wahrheit Sir Thomas Fairfax«, sagte ich.
»Das ist unter unseren Gegnern nicht der schlimmste«, antwortete Duncan. »Er hat unseren König mit Respekt behandelt und zeigt sich von Cromwells Machtplänen nicht völlig überzeugt. Doch ich fürchte, dass er deshalb noch lange nicht zum Royalisten wird.« Der alte Mann seufzte. Mich beschlich eine leise Wehmut, als ich an den Caravaggio dachte, den Clarke an sich genommen hatte. Gleichzeitig erfreute es mich, dass der Drachenritter nicht in die Hände des Schurken gefallen war. Er stand noch immer neben dem Biondo, eingepackt in leinene Tücher.
Zwei Tage später konnte ich Warchester Castle verlassen und erreichte drei Tage darauf Ivory Hall, übergab meiner Herrin die geretteten Bücher und Bilder und erzählte ihr von meinem Abenteuer. Sie lächelte ein wenig und sagte dann: »Es ist traurig, dass Ihr den Caravaggio verloren habt. Nehmt dafür den Biondo als Dank für Eure Mühen und Euren Mut.« Ihre Kammerzofe Bridget umarmte mich stürmisch und weinte an meiner Schulter. »Du hättest sterben können,