Der Meister und der Mörder. Margarete von Schwarzkopf

Der Meister und der Mörder - Margarete von Schwarzkopf


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sicher, dass sich unter den mehr als einhundert für diese Ausstellung gemeldeten Werken aus Privatbesitz auch eine Fälschung und einige als Original angemeldete Kopien befanden. Wie dem auch sei, diese Schau würde einen interessanten Einblick in die Höhepunkte einiger Privatsammlungen geben. Ich hoffte sogar auf einige Überraschungen, wie ich sie vor einigen Jahren in einem Schloss im Ith erlebt hatte und im Haus meiner Patentante, wo viele Jahre unerkannt ein Ruisdael hing. Jetzt zierte er einen der Säle des Kölner Wallraf-Richartz-Museums.

      Wedel war ein Idealist. Gerade dreißig Jahre alt, sein erster großer Auftrag versetzte ihn in Euphorie, und nun war eines der Bilder für die Ausstellung gestohlen, der Besitzer tot, wahrscheinlich ermordet. Ich war mir unsicher, ob Wedel schon Wind vom Verschwinden des Biondo bekommen hatte, und malte mir seine Reaktion aus, wenn er die grausame Wahrheit erfuhr. In einem »Tatort« oder im Kino mit Pierce Brosnan als Kunstdieb waren solche Geschichten über raffinierte Kunstdiebe vielleicht noch recht unterhaltsam, und die Täter waren nach neunzig Minuten gefasst. Doch in der Realität bedeutete dies einen Alptraum.

      Aber Wedel wusste schon Bescheid, als ich ihn gegen Mittag anrief und ihn bat, unseren Termin auf den übernächsten Tag zu schieben. Er wirkte sehr gedämpft.

      »Die Polizei war auch schon bei mir, Anna. Aber ich konnte ihr nichts zu dem Biondo sagen. Ist nicht meine Kunstrichtung. Ich bin ja eher für die Neuzeit zuständig. Okay, lass uns den Termin auf übermorgen legen. Ich werde dann auch noch die beiden Ausstellungsmacher dazuholen, Frau Rietmüller und Herrn Wegener.«

      Na toll. Die beiden mochten mich nicht besonders. Ihre Ideen für die Hängung der Leihgaben hatte ich eher grässlich gefunden und ihnen meine Ansicht leider auch unverhohlen mitgeteilt. Rüdiger Wegener ging auf die sechzig zu. Es sollte sein letztes großes Projekt sein. Er war auch für die Werbung für die Ausstellung zuständig. Frieda Rietmüller war eine auf »forever young« getrimmte Mittfünfzigerin mit engen Röcken, High Heels, grellblond gefärbtem Haar und einem stets rosa geschminkten Mund. Wegener sah noch recht gut aus mit seiner weißen Mähne und seinen stahlblauen Augen. Doch er liebte zynische Kommentare und lachte am liebsten über seine eigenen, meist misslungenen Witze. Auf diese Begegnung freute ich mich wenig. Aber wie sagt Scarlett O’Hara immer so treffend? »Morgen ist ein anderer Tag.«

      Ich schlief schlecht in dieser Nacht. Mein Gewissen ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Sollte ich Strates Brief Kommissar Schumann zeigen? Zu früh, entschied ich. Irgendwie musste ich selbst herausfinden, wo die von Strate avisierten Dokumente abgeblieben waren. Zu ärgerlich, dass ich das Bild nicht überprüfen konnte. Verblasste Farben, rissiger Rahmen. Was sollte mir das sagen? Und warum war bloß dieses eine Bild gestohlen worden? Hatte der Eindringling nur Zeit gehabt, den Biondo mitzunehmen? Die Flamen waren wertvoller.

      Hinter dieser Tat, so vermutete ich, könnte ein Auftrag stecken. Warum aber Strate töten? Hatte er den Dieb überrascht? Der Täter hatte offenbar gewusst, dass Strate morgens oft einen Spaziergang unternahm und danach allein im Haus war. Wahrscheinlich hatte jemand die Gepflogenheiten des Professors genau ausgekundschaftet. Wie gut, dass Ernestine Wiegand an jenem Morgen offensichtlich später als üblich ins Haus gekommen war. Sonst wäre sie vielleicht auch ein Opfer des Räubers geworden.

      Mit meiner Entscheidung, erst einmal mein eigenes Ding zu machen, folgte ich wieder genau meinem alten Prozedere: Schumann nicht sofort involvieren, sondern erst selbst handeln. Ich redete mir allerdings ein, dass es ja diesmal wirklich ganz harmlos sei – mal eben schauen, ob diese Dokumente irgendwo im Haus lagen. Und selbst wenn das Bild verschwunden war, hätte ich Material für einen kleinen Text. Immerhin besaß ich ein Foto des Biondo. Auch wenn das Bild selbst nicht wiederauftauchte, wäre es verewigt. Wie die Reporterin eines Sensationsblattes sah ich vor meinem inneren Auge schon eine aufregende Story im Katalog.

      Ich hatte nicht vor, Schumann ins Handwerk zu pfuschen. Aber ich konnte ihn auch nicht nach weiteren Informationen fragen. Ob Richard besser über die Ergebnisse des Gerichtsmediziners Bescheid wusste? Er hatte gewisse Quellen. Seit dem Fall mit den keltischen Masken ging er regelmäßig mit Schumanns rechter Hand, dem liebenswürdigen Hartmut Brink, ein Bier trinken. Und wer weiß? Bei einem oder zwei Bier lässt sich gut plaudern … Brink interessierte sich für Kultur und hatte Richard vor einem Jahr sogar zwei sehr schöne Stiche der Residenzstadt Hannover abgekauft. Das hatte mir Richards neue Assistentin Beate Krause kürzlich berichtet, die ich beim Einkaufen getroffen hatte.

      Wahrscheinlich wusste Schumann nicht, dass sein getreuer Hartmut Brink sich mit Richard angefreundet hatte. Schumann lebte in seiner sehr begrenzten Welt zwischen dem Polizeipräsidium und seiner kleinen Wohnung, die er sich vor zwei Jahren gekauft hatte. Er besaß seitdem einen kleinen Hund, einen Mischling aus Mallorca, den ihm seine Ex-Frau Dagmar geschenkt hatte. Gringo, so hieß der kleine Kerl, durfte gelegentlich sogar mit in Schumanns Büro. Er war der Liebling aller Mitarbeiter. Das hatte ich am Rande gehört. Ich selbst hatte Gringo noch nie gesehen. Das könnte sich ja demnächst ändern, falls Schumann sein Versprechen für ein Treffen halten würde.

      Auch am nächsten Morgen grübelte ich während meines eher kargen Frühstücks, bestehend aus einem Kaffee und einem Toast mit Honig, über meine nächsten Schritte nach. Dann löste ich mich aus meinen Gedanken und stand vom Küchentisch auf. Als Erstes musste ich diese Dokumente finden, möglichst vor meinem Treffen mit Wedel. Heute fühlte ich mich sehr viel energischer trotz der wenigen Stunden Schlaf.

      Ehe ich mich recht besann, saß ich in meinem Auto und fuhr in Richtung Kirchrode zu Strates Haus. Es war sicherlich viel wert, dachte ich unwillkürlich. Wer würde es erben? Ein ziemlich großes Haus für den alten Einsiedler, und sicher quollen fast alle Zimmer über von Büchern und Bildern. Keine leichte Aufgabe, diesen Haushalt aufzulösen. Ich sprach aus Erfahrung. Noch immer kämpfte ich mit dem Nachlass meiner Patentante.

      Der weiße Bau mit dunkelrotem Ziegeldach und zwei hohen Schornsteinen lag in einer Seitenstraße der Tiergartenstraße. Im kleinen Vorgarten blühten Stiefmütterchen und die letzten Osterglocken. Vor der Tür wehte ein zerfetztes Polizeiband in der morgendlichen Brise. Keine Neugierigen standen auf der Straße, nur eine Katze strich an mir vorbei, in einem der Häuser schrie ein Kind, ein Hund kläffte. Ein paar Autos parkten am Straßenrand, Menschen sah ich keine.

      Langsam ging ich auf das Haus zu. Ich kam mir wie ein Eindringling vor, was ich streng genommen ja auch war. Vorsichtig schaute ich mich um. Kein Polizist weit und breit. Ich holte tief Luft und klingelte. Nur wenige Sekunden später hörte ich ein Schlurfen und Räuspern. Dann öffnete sich die schwere rostrot gestrichene Haustür, und Ernestine Wiegand spähte durch den Spalt. Sie erkannte mich sofort.

      »Ach, das Fräulein Anna!«, rief sie, als sei ich immer noch Strates Studentin. Damals war ich ihr, seinerzeit eine Frau von knapp vierzig, mehrmals begegnet. Sie hatte schon Heinrich Strate umsorgt und sich danach um seinen Sohn gekümmert.

      »Guten Tag, Ernestine. Es tut mir leid, dass ich Sie störe.«

      »Oh herrje, das tun Sie doch gar nicht! Kommen Sie rein. Die Polizei hat das Haus freigegeben, und ich putze und sortiere ein wenig. Ende der nächsten Woche kommt ein Umzugsunternehmen, das alles ausräumt.«

      »Und dann? Was wird aus Ihnen und aus dem Haus?«

      Ernestine lächelte. Ihr kleines Gesicht mit den vielen Runzeln und den schmalen braungrünen Augen erinnerte an einen Kobold. »Das Haus soll verkauft werden. Das Geld daraus, das weiß ich von dem Herrn Professor selbst noch, geht in eine Stiftung für die Erforschung seltener Erbkrankheiten. Dafür hat er sich in den letzten Jahren interessiert, warum, weiß ich auch nicht.« Sie zupfte an ihrem Schürzenband. »Ja, und ich ziehe Anfang Juni zu meinem Neffen nach Würzburg und werde mich um seinen Haushalt und seine beiden Kinder kümmern. Er ist Arzt und sehr beschäftigt, und seine Frau arbeitet in einem Immobilienbüro. Aber bitte kommen Sie doch ins Wohnzimmer!«

      Die kleine Frau schubste mich fast in den Raum. Alles aufgeräumt, die Teppiche aufgerollt, auf den kleinen Beistelltischen nur noch wenige Silberrahmen mit leicht vergilbten Fotos. Eines zeigte Strate im Kreis von sechs Studenten, darunter war ich. Daneben Bredehoff, Liebherr und Christine Windstetten. Der eine der beiden anderen auf dem Foto musste Konstantin Severin sein, der heute als Gutachter arbeitete und in Berlin lebte. Ich hatte ihn


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