Der Meister und der Mörder. Margarete von Schwarzkopf

Der Meister und der Mörder - Margarete von Schwarzkopf


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Warum hätte sie ausgerechnet durch meine Straße fahren sollen? Wollte sie zu mir? Aber die Frau, die eine auffallend große Sonnenbrille trug, machte nicht den Versuch, den Wagen anzuhalten. Ich schien unter Halluzinationen zu leiden. Dennoch merkte ich, wie mich die Frage zunehmend beunruhigte, wo meine Freundin abgeblieben war.

      Cromwells Schatten

      Warchester Castle, im August des Jahres des Herrn 1648

      Die Wolken über dem See haben die Sonne verschluckt. Ein Gewitter braut sich zusammen. Der Wind reißt die ersten Blätter von den Bäumen und wirbelt sie durch den Park. Die Schwäne sind ans Ufer geflüchtet. Die Zeichen stehen auf Sturm. Doch nicht nur in der Natur, sondern vor allem in der Politik. Die dunkle Front rückt täglich näher. Zwei große Schlachten haben die Royalisten schon gegen Oliver Cromwells gut gerüstete Armeen verloren, bei Marston Moor 1644 und bei Naseby im Jahr darauf. Eine dritte große Auseinandersetzung droht. Die Angst reitet ihr voran. In Warchester Castle versucht man, dieses Gefühl von Ungewissheit zu verdrängen. Doch das gelingt immer schlechter. Bisher sind wir hier noch glimpflich davongekommen, aber ich fürchte, dass alles bald in Scherben fällt.

      Wie so oft habe ich mich in den vergangenen Tagen in den dämmrigen Saal zurückgezogen und stehe auch jetzt wieder vor dem Gemälde, das mein Herr, Henry, der fünfte Earl of Warchester, erst vor wenigen Wochen hat auffrischen lassen, da es allzu lange in einer dunklen Ecke der mächtigen Eingangshalle gehangen hatte und seine kraftvollen Farben zu verblassen drohten.

      Was für ein Bild! Ein riesiger Drache steht vor dem in eine funkelnde Rüstung gehüllten Ritter Georg. Neben dem grünen Ungeheuer eine zarte Frauengestalt, die in ihren Händen ein Band hält, das um den schuppigen Hals des Ungeheuers geschlungen ist. Der Drache blutet aus einer tiefen Wunde. Aber noch ist er nicht besiegt. Der heilige Georg, Schutzpatron Englands, scheint in diesem auf Ewigkeit festgefrorenen Augenblick erneut auf das Tier loszustürmen, bereit zum letzten Gefecht. Töten wird er, wie die Legende erzählt, das Untier nicht, nur schwer verwunden, um es dann in die Stadt zu bringen, deren Bevölkerung sich angesichts des ruhmreichen Sieges des tapferen römischen Offiziers zu der neuen Religion, dem Christentum, bekennen wird.

      Grübelnd sehe ich das Bild an, dessen Bedeutung mir in diesen Tagen so nahegeht wie nie zuvor. Können wir, die Anhänger des Königs, den Drachen bezwingen, die Armee von Oliver Cromwell, die unser Land Stück für Stück erobert und die Royalisten zurückdrängt? Der Drache – das sind seine gut ausgerüsteten Männer, die »Roundheads« mit ihren kurz geschorenen Haaren und fast runden Helmen. Was vermögen die Truppen des Königs gegen sie noch auszurichten? Die Zeichen stehen in der Tat auf Sturm. Seltsamerweise tröstet mich heute der Anblick des Heiligen nicht. Neben ihm hängt eine hübsche toskanische Landschaft, die von einem wenig bekannten Maler namens Giovanni dell’Ombra stammt, genannt Il Biondo. Dem Florentiner Paolo Uccello kann Il Biondo nicht das Wasser reichen, doch beruhigt der liebliche Anblick von Pinien und Zypressen heute eher mein Gemüt als Sankt Georgs zum Stoß erhobene Lanze.

      Mein Herr ist gestern ins Schloss zurückgekehrt, das Gesicht von Sorgen gezeichnet. Seine Gattin, Lady Annabell, und seine drei Söhne James, Charles und Robert begrüßten ihn liebevoll, was aber kein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern vermochte. Die beiden Töchter Elizabeth und Margret bekamen die Rückkehr ihres Vaters nicht mit. Sie waren schon zu Bett gegangen. Sie sind ja erst sieben und drei Jahre alt.

      Der Earl rief mich eine Stunde nach seiner Heimkehr zu sich in die Bibliothek. Er legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: »Stuart, ich glaube nicht mehr, dass wir Cromwell bezwingen werden. Es steht schlecht um unsere Sache, aber wir werden bis zum letzten Blutstropfen kämpfen und unseren König nicht verraten. General George Hitchins, einer der Offiziere Cromwells, hat mir ein Angebot zukommen lassen. Falls wir uns ergeben und dem Commonwealth die Treue schwören, werden er und seine Armee uns verschonen. Im Falle eines Sieges seiner Truppen jedoch sieht er keine Chance auf Gnade. Dann sind die Tage von Warchester Castle gezählt. Doch ich bin kein Verräter. Falls Ihr aber zurück nach Irland wollt, Stuart, dann wäre jetzt noch Zeit zu gehen.« Er nahm den Arm von meiner Schulter und verließ den Raum, ohne auf meine Antwort zu warten.

      Ich starrte ihm nach, mein Kopf und mein Herz schwer vor Kummer. Seit acht Jahren lebe ich nun schon in diesem Schloss auf dem Gut der Warchesters. Mein Heimatland ist Irland, geboren wurde ich in Cork. Aber schon als Kind verschlug es mich nach Dublin, wo ich bei einer Tante aufwuchs, da meine Eltern beide der Malaria erlagen, als ich erst fünf Jahre alt war. Tante Theodora kümmerte sich recht liebevoll um mich, sorgte dafür, dass ich eine gute Ausbildung bekam und im erst wenige Jahrzehnte zuvor von Königin Elizabeth gegründeten Trinity College studieren durfte. Ich war katholisch getauft, aber Tante Theodora riet mir, der englischen Kirche beizutreten, um meine Zukunft zu sichern, wie sie sagte. Ich sollte eigentlich Geistlicher werden, doch ich verließ Irland, ehe mein Studium beendet war, und ging nach London. Dort verdingte ich mich im Jahre 1630 – ich war damals Mitte zwanzig – bei einem Advokaten als Schreiber. Zehn Jahre lebte ich in London, heiratete die Tochter eines Medicus, der aber seine eigene Tochter nicht retten konnte. Meine geliebte Rose starb nach nur zwei Jahren Ehe bei der Geburt unseres Sohnes Liam. Ich war außer mir vor Gram, kehrte mit dem Kind heim nach Irland und übergab den Kleinen meiner Cousine Jane zur Pflege, die ihn wie ihr eigenes Kind aufnahm und aufzog.

      In jenen dunklen Tagen erhielt ich dank der Fürsprache des Advokaten, dem ich zehn Jahre treu gedient hatte, das Angebot, als Chronist in die Dienste des Earl of Warchester zu treten. Sein Anwesen liegt in der Nähe des Lake District in einer wunderschönen Landschaft mit Hügeln und weiten Wäldern. Das Schloss wurde zu Zeiten Heinrichs VIII. erbaut, eine Mischung aus Burganlage und Schloss.

      Der Earl besitzt eine wunderbare Sammlung von Gemälden aus Italien, vor allem aus Florenz, und aus Flandern. Oft stehe ich staunend vor diesen Meisterwerken, die zumeist zwischen 1460 und 1620 entstanden sind. Aus jüngster Zeit stammen drei Bilder des großen Flamen Anthonis van Dyck, der in seinen letzten Lebensjahren als Hofmaler unseres Königs Charles in London gelebt hat. Ein Madonnenbild, ein Porträt einer vornehmen Dame mit Kind und vor allem ein Bildnis des Königs schmücken den großen Saal im Schloss. Daneben der Il Biondo mit seiner sonnenbestrahlten Landschaft. Und dann der Uccello. Immer wenn ich davorstehe, fühle ich ein merkwürdiges Kribbeln, als ob das Bild mir etwas sagen möchte. Ich vertraue diese Empfindung nur meinem privaten Tagebuch an, denn der Earl würde mich für verrückt erklären, wenn ich ihm dieses Gefühl schilderte. Aber ich bin Ire, und uns sagt man den sechsten Sinn nach und ein starkes Gespür für gewisse Schwingungen, die sich nicht rational erklären lassen.

      Das Bild hing in der Halle, als ich in den Dienst des Earls trat. Er führte mich damals durch sein Schloss und stand mit mir eine Weile vor dem Gemälde, das neben dem harmlos schönen Il Biondo die Wand schmückte. Langsam wandte er sich zu mir um. »Mein guter O’Sullivan«, sagte er mit seiner etwas schnarrenden Stimme, »es ist schon erstaunlich, dass auch Kunstwerke oft eine merkwürdige Geschichte haben. Man sieht ihnen nicht an, dass sich allerlei dunkle Geschicke mit ihnen verbinden können. Sie sind nicht so unschuldig, wie sie wirken.« Er wies auf die sonnige Landschaft des Biondo. »Selbst dieses so freundlich aussehende Gemälde könnte wohl einige Moritaten erzählen. Und das Bild mit dem heiligen Georg umgeben gewiss noch mehr Rätsel.«

      Ich sah ihn erstaunt und ein wenig verwirrt an.

      »Nun, mein Guter«, fuhr der Earl fort und deutete auf den Drachen. »Dieses Bild hat mein Urgroßvater, der zweite Earl of Warchester, vor gut einhundert Jahren als junger Mann in Florenz bekommen.« Er zeigte auf den Biondo. »Und dieses Landschaftsporträt brachte seine italienische Frau mit in die Ehe. Mein Urgroßvater Clarence befand sich damals auf einer Reise nach Rom. Obgleich König Heinrich sich von Rom getrennt und eine Kirche ohne Papst als Oberhaupt begründet hatte, war mein Vorfahre seinem Glauben treu geblieben. Dadurch verlor er seine Ämter bei Hof und zog sich auf seinen Landbesitz zurück. Jedes Jahr aber begab er sich auf eine Pilgerreise. Canterbury, Köln, Rom – das waren seine Ziele. Auf dieser Reise nach Rom im Jahre 1546 war er bei einem Florentiner Adligen zu Gast, einem Kaufmann namens Arcangelo Buarotti, den mein Ururgroßvater Thomas im Jahre 1530, noch zu der Zeit von Heinrich VIII., bei dessen London-Besuch bewirtet hatte. Mein Urgroßvater erkrankte übrigens 1551 am Englischen Schweiß, dieser entsetzlichen


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