Der Meister und der Mörder. Margarete von Schwarzkopf

Der Meister und der Mörder - Margarete von Schwarzkopf


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gierigen Schluck. Dann stellte er es energisch auf den Tisch und fuhr fort: »Professor Strate hatte wohl nur ungern Besucher. Ernestine Wiegand erinnert sich, dass zuletzt vor etwa vier Wochen jemand ins Haus kam. Sie weiß aber nicht, wer es war, und der Besucher ging wohl auch nach knapp einer halben Stunde wieder.«

      »Na ja, sie wird sicher nicht jeden Besucher mitbekommen haben«, warf Richard ein. »Sie ist ja nicht Tag und Nacht im Haus.«

      Schumann nickte. »Da hast du recht. Aber er galt als Einsiedler und hat meistens nur schriftlich mit seinen früheren Kollegen und Studenten verkehrt. Wir überprüfen seine Mails, ob uns da irgendetwas auffällt.«

      Nun hatte Schumann doch mehr verraten, als er eigentlich wollte, denn er brach abrupt ab, fügte dann aber mit leiser Stimme hinzu: »Ich bitte euch, nicht darüber zu sprechen.« Er wandte sich an mich. »Wann hast du Strate zuletzt gesehen, Anna?«

      »Das ist etwa vier Monate her. Ich habe ihn wegen der Auswahl der Bilder besucht, die er dem Museum leihen wollte«, überlegte ich. »Er wollte uns drei Flamen und einen italienischen Renaissancekünstler zur Verfügung stellen und mir dazu noch Unterlagen geben, weil ich diesen italienischen Künstler ehrlich gesagt nicht kenne.«

      Richard grinste. »Und das will was heißen!«

      Dieses breite Lächeln gab den Anstoß, dass für einen Augenblick die Zeit für mich rückwärtszulaufen schien. Plötzlich sah ich uns beide zusammen, wenige Wochen nachdem das Geheimnis der keltischen Masken gelüftet und die Morde im Umfeld dieser Objekte aufgeklärt waren. Richard hatte mich zu seinem Lieblingsitaliener eingeladen, es war ein heller Spätfrühlingsabend, und die Welt drehte sich für mich endlich wieder in ruhigen Bahnen. Wir standen damals am Anfang unserer nach allem Hin und Her intensiveren Beziehung. Wie lange schien das her zu sein.

      Ich schluckte. Mir wurde auf einmal sehr wehmütig ums Herz. Doch ehe mich meine Sentimentalität übermannte, sagte ich zu Schumann: »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Strate ernsthafte Feinde gehabt haben könnte. Warum sollte ihn jemand ermorden?«

      Es fiel mir sehr schwer, diese Nachricht zu verdauen. Mord? Wo lag das Motiv? Ich kannte Strate ja nicht wirklich und wusste nichts über sein Privatleben außer den Fakten, die man auf offiziellen Seiten finden konnte. Vielleicht hütete er seine Geheimnisse, und wir alle hatten nur die eine Seite von ihm erlebt, die des klugen Professors und vielseitigen Kunstkenners.

      »Brauchst du mich in diesem Fall?«, fragte ich Schumann etwas zögerlich.

      Er schüttelte den Kopf. Dann lächelte er. »Außer es treten wieder einmal besondere Umstände ein. Oder es tauchen mysteriöse Bücher in Englisch auf wie bei unseren letzten Fällen. Dann rufe ich dich natürlich um Hilfe. Falls dir Strate aber irgendwelche geheimnisvollen alten Schriften zugeschickt hat, in denen es um die Herkunft von Bildern geht oder die ein Licht auf mögliche dunkle Ereignisse werfen, dann erwarte ich, dass du mich informierst und nicht die Miss-Marple-Rolle zum vierten Mal spielst.« Sein Ton klang scherzend, aber in seinen Augen lag durchaus ein gewisser Ernst. Er hob die Hand zum Abschied und blickte beim Gehen noch mal über seine Schulter. »Ich melde mich in nächster Zeit bei dir. Fest versprochen, und diesmal halte ich mein Versprechen.«

      Richard blickte ihm nach. »Der gibt auch nie auf«, brummte er.

      Ärgerlich sah ich ihn an. »Was soll diese dumme Bemerkung?«

      Er schmunzelte. »Ach Anna, Schumann ist schon so lange in dich verknallt. Und jetzt könnte er ja zum Ziel kommen, wo ich nicht mehr im Rennen bin.« Er sah mich nicht direkt an, sondern fixierte einen Punkt irgendwo im Saal.

      Seine Worte verletzten mich seltsamerweise. Ich spürte, wie eine Welle des Schmerzes über mich hinwegrauschte. Das war alles plötzlich zu viel für mich, Strates Tod, der vielleicht ein Mordfall war, Schumanns überraschend große Freude, mich wiederzusehen, Richards ironische Bemerkungen, das fast schon unpassend laute Gelächter im Saal, die muntere Unterhaltung – ich hatte das Gefühl, nicht dazuzugehören, als Betrachterin außen vor zu stehen, das Treiben um mich herum wie auf einer Bühne wahrzunehmen. Ich konnte kaum mehr atmen. Kurz nickte ich Richard zu, der mich verwundert ansah, und drängte mich durch die Gesellschaft der Trauergäste, die sich bei Sekt, Kaffee und Kuchen recht gut zu amüsieren schienen.

      Ich fragte mich, wie diese bunte Schar reagieren würde, wenn publik würde, dass Strate nicht an einem Herzinfarkt gestorben, sondern ermordet worden war.

      Sollte er tatsächlich sozusagen der Kollateralschaden eines Einbruchs gewesen sein? Immerhin war eines der Bilder spurlos verschwunden. Welches der vier fehlte, würde ich rasch herausfinden müssen. Ich besaß von allen vier Fotos. Diesmal aber würde ich mich aus dem Fall heraushalten und Schumann nur eventuell Informationen zu dem gestohlenen Bild geben. Und damit basta!

      Ich steuerte auf den Ausgang des Restaurants zu. Bredehoff und Liebherr sah ich nur noch aus der Ferne, meine Freundin Christine Windstetten war allerdings immer noch nicht erschienen. Ich zog mein Handy aus der Jackentasche. Keine Nachricht. Ich schrieb rasch eine SMS: »Wo bist Du abgeblieben? Ich habe auf Dich gewartet. Und Strate hat Dich sicher vermisst.«

      Ein blöder Versuch, witzig zu sein. Doch ich schickte die Nachricht in der Hoffnung auf eine Reaktion ab. Keine Antwort. Das erfüllte mich zwar mit einer vagen Unruhe, aber mehr mit Ärger. Warum tauchte sie nicht auf? Na ja, sie würde sicher ihre Gründe haben. Und sich dann später mit einem Wortschwall für ihr Fehlen entschuldigen. Sehr zuverlässig war sie leider noch nie gewesen. Warten hatte keinen Sinn, und ich wollte nur noch weg. Ich verspürte keine Lust auf hohle Abschiedsworte. Und so überhörte ich geflissentlich, dass Bredehoff meinen Namen rief. Selten hatte ich mich so sehr auf meine Wohnung gefreut, meinen sicheren Hafen in all diesem emotionalen Chaos.

      Als ich zu Hause angekommen war, meine Blumen gewässert und Wasser für einen Tee aufgestellt hatte, machte ich mich an das Sortieren der Post.

      Aus dem Packen mit Reklameprospekten, Rechnungen und anderen Schreiben auf dem Esstisch sah ein Brief hervor. Mein Herz setzte für einen Moment aus: Die elegante Handschrift kannte ich doch! Und dann sah ich den Absender. Klas Strate. Es schien mir wie ein Gruß aus dem Jenseits. Und als ich mit zitternden Händen den Umschlag geöffnet und den Brief gelesen hatte, war ich, freundlich ausgedrückt, etwas verwirrt. Was meinte Strate damit, dass ihm etwas Merkwürdiges an dem Bild aufgefallen sei? Als ich bei ihm gewesen war, hatte ich nur einen flüchtigen Blick auf den Biondo geworfen und ihn als durchaus attraktiv, aber nicht als sehr aufregend empfunden. Eine Flusslandschaft im Morgenlicht, ein recht gelungenes Beispiel für Renaissancemalerei. Doch offenbar trog der Schein. Aber wo waren die von Strate angekündigten Dokumente, die eventuell Licht in dieses Rätsel bringen könnten?

      Sein Brief, der nun sein Abschiedsbrief war, erfüllte mich mit einer Mischung aus Trauer und Anspannung. Steuerte ich wieder auf einen Fall zu, der mich gegen meinen Willen involvierte? Aber was war an den verblassten Farbrändern und dem leicht beschädigten Rahmen so merkwürdig, dass er darüber mit mir sprechen wollte? Diese eher kleinen Auffälligkeiten konnte doch ein Restaurator beseitigen. Oder verbarg sich dahinter mehr, als Strate mir in seinem Brief mitteilen wollte? Wie dumm, dass ich diese Dokumente nicht bekommen hatte. Sicherlich lagen sie noch bei ihm zu Hause, und er war nicht mehr dazu gekommen, sie abzusenden.

      Wahrscheinlich hatte seine Haushilfe ihn gefunden. Arme Ernestine! Sie hatte den Strates viele Jahre treu gedient, und nun das! Ich kannte sie von meinen seltenen Besuchen beim Professor; bei meinem letzten Treffen mit ihm hatte sie Tee und ziemlich trockene Kekse serviert.

      Trotz aller Empathie für Ernestine grübelte ich darüber nach, wie ich in Strates Haus gelangen und selbst nachsehen konnte, ob die von ihm erwähnten Dokumente noch dort lagen. Und einmal mehr siegte meine Neugierde über meine Vernunft. Fast hätte ich Richard angerufen, aus alter Gewohnheit und getrieben von dem Wunsch, ihn wiederzusehen. Ich unterließ es aus Stolz und Angst, von ihm abgewiesen zu werden.

      Am nächsten Morgen trat ich ausgeschlafen vor die Tür und musste für den Bruchteil einer Sekunde die Augen wegen des plötzlichen Sonnenscheins zukneifen. Als ich sie wieder öffnete, glaubte ich in einem sehr schnell vorüberfahrenden Auto Christine zu sehen. Doch ehe ich diese Wahrnehmung


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