Der Meister und der Mörder. Margarete von Schwarzkopf

Der Meister und der Mörder - Margarete von Schwarzkopf


Скачать книгу
um. Von Richard keine Spur. Stattdessen sah ich viele andere bekannte Gesichter. Als Erstes stieß ich auf zwei ehemalige Kommilitonen, die auch bei Strate studiert hatten. Markus Liebherr war inzwischen Kurator an einem Münchner Museum, Christian Bredehoff arbeitete für eine Kunstgalerie in Wien. Während des Studiums hatten wir manchmal zusammengesessen und uns über Strates Vorlesungen ausgetauscht, aber später nur noch von ferne unseren jeweiligen Werdegang verfolgt. Deshalb überraschte mich ihre herzliche Begrüßung. Liebherr, während seiner Studienzeit klapperdürr, hatte seitdem stark zugelegt. Ich erkannte ihn vor allem an seinen immer noch etwas ungelenken Bewegungen und seinen Augen wieder, von denen das eine braun, das andere grün war. Bredehoff, der Mädchenschwarm unseres Studienganges, sah dagegen blendend aus. Mit seinen grau melierten Haaren und seiner schlanken Figur erinnerte er an einen Filmschauspieler. Man merkte ihm seine dreiundfünfzig Jahre nicht an. Auch jetzt versprühte er den Charme, der ihn vor dreißig Jahren zum begehrtesten Date unseres Studiengangs gemacht hatte.

      »Mein Gott, Anna, du bist ja eine Medienberühmtheit geworden!«, tönte Liebherr.

      Bredehoff grinste und fügte hinzu: »Und beruflich bist du ja auch nicht schlecht unterwegs. Wer hätte das damals gedacht! Die immer etwas verträumte Anna, die für längst verblichene Künstler schwärmte.«

      Beide Männer lachten laut, und ich errötete. Das alles lag mehr als dreißig Jahre zurück, aber auf einmal fühlte ich mich wieder wie die etwas linkische Studentin, die vor Stolz glühte, als Strate ihre Seminararbeit über Giorgio Vasari in höchsten Tönen pries.

      Bei unserem Small Talk kamen wir von Hölzchen auf Stöckchen. Vor allem Christian Bredehoff, schon immer ein charmanter Unterhalter, erzählte mit großer Begeisterung von seinem Leben in Wien. Allerdings ließ er sein Privatleben dabei außen vor. Ich fragte mich insgeheim, wie oft er inzwischen geschieden und neu verheiratet war, zügelte aber meine Neugierde und erkundigte mich stattdessen nach den kommenden Ausstellungen und Neuerwerbungen für sein Haus. Liebherr hielt sich ein wenig zurück, hatte aber auch ein paar Anekdoten auf Lager, die sich vor allem um schwierige zeitgenössische Künstler und ihre oft noch anstrengenderen Agenten drehten.

      »Eine gute Ausstellung auf die Beine zu stellen ähnelt den Arbeiten des Herakles«, seufzte er. Er schloss seine Ausführungen mit einer Bemerkung, die einige meiner eigenen Überlegungen widerspiegelte: »Schön wäre es, wenn der gute alte Strate ein paar seiner Bilder unserem Museum vermacht hätte. Denn wer soll jetzt seine Sammlung übernehmen?«

      Als ich mich endlich von den beiden redseligen Herren gelöst hatte, stieß ich im Gedränge ausgerechnet auf den Mann, den ich in meinem Privatleben meist mied: Harald Frostauer, seines Zeichens Historiker mit Spezialkenntnissen zur Landesgeschichte Niedersachsens und Besserwisser. Auch ihn hatte ich länger nicht mehr gesehen. Er hatte eine gewisse Rolle in meinen früheren Abenteuern gespielt, aber meistens war ich auf der Flucht vor ihm gewesen. Ich wusste, dass er wieder einmal an einem Buch schrieb und wahrscheinlich schon das nächste und übernächste Werk plante. Da war er schier unermüdlich. Und er verfasste Artikel für alle möglichen historischen und kunsthistorischen Magazine. Viel beschäftigt, immer unterwegs und, wie ich sofort zu spüren bekam, immer noch eine Nervensäge.

      »Anna!«, flötete er und verströmte einen Duft von starkem Aftershave gemischt mit Sekt. »Wie wunderbar, dich zu treffen, selbst wenn der Anlass traurig ist. Ich wollte dich so oft anrufen oder dir schreiben, vor allem letztes Jahr zu deinem Geburtstag!«

      Ich nickte nur. Schon fuhr er fort: »Ich habe gehört, du hast ein Haus in Köln geerbt und bist gar nicht mehr so oft in Hannover. Und jetzt auch noch dieses Engagement für Braunschweig! Und keine neuen Mordfälle?« Er kicherte.

      Ehe ich antworten konnte, spürte ich eine Hand auf meinem Rücken. Ich drehte mich um. Richard stand vor mir. Mich überflutete ein Gefühl von Freude gepaart mit Ablehnung, sehr seltsam. Er sah mich eher kühl an und sagte: »Ich habe dich schon auf dem Friedhof entdeckt. Ich muss mit dir reden. Entschuldigung, Harald, aber ich entführe Anna für einige Minuten.«

      Energisch steuerte er mit mir eine Ecke des Restaurants an, in der einige Tische aufgebaut waren. »So«, sagte er, als wir uns setzten, »jetzt erzähl mir bitte, was Schumann dir vorhin verraten hat.«

      Ich starrte Richard an. Was für ein sonderbares Wiedersehen. Mein Magen zog sich krampfhaft zusammen. Das Blut dröhnte in meinen Ohren, und mir wurde schwindelig vor Enttäuschung und Wut. »Was soll das?«, fauchte ich. »Du meldest dich nie bei mir, und dann diese blöde Frage?«

      Richard lächelte plötzlich. Für einen Augenblick sah ich wieder den charmanten Taugenichts vor mir, den ich vor fünf Jahren in dem kleinen Ort Bresterholz erstmals getroffen hatte. Dann aber wurde er wieder ernst und sagte: »Es geht um eine wichtige Sache. Um Klas Strate und seine Kunstsammlung. Und falls Schumann es dir noch nicht gesagt hat, dann erzähl ich es dir. Es scheint, dass der alte Herr ermordet wurde. Warum, glaubst du, war dein Kommissar heute auf der Beerdigung?« Er blickte mich mit einem leicht spöttischen Blick an.

      Meine erste Reaktion war: »Das darf doch nicht wahr sein. Nicht schon wieder ein Mord in meinem Umfeld!«

      Als ich in diesem Moment Schumann auf uns zukommen sah, ahnte ich, dass meine Zeit der Ruhe vorbei war.

      Letzte Worte

      Meine Wohnung wirkte unwirtlich. Aufgeräumt hatte ich sie zwar, ehe ich nach Köln gefahren war. Doch die wenigen Topfpflanzen ließen ihre Köpfe hängen, mein letzter Weihnachtsstern hatte den Geist aufgegeben. Kein Wunder, ich war deutlich länger weggeblieben als geplant. Zweimal im Monat kam eine Haushaltshilfe, die meine Wohnung putzte, aber selbst diese Perle hatte den Untergang meiner Pflanzen nicht verhindern können. Seufzend goss ich Wasser in die Töpfe, bis sich die rissige Erde vollgesogen hatte. Den Weihnachtsstern entsorgte ich. Ob die heutige reichliche Wassergabe die armen anderen Pflanzen retten würde, blieb abzuwarten.

      Die Beerdigung saß mir in den Knochen. Müde betrachtete ich den Haufen aus Briefen, Zeitungen und Werbeprospekten, den ich aus meinem Briefkasten gefischt hatte. Erst einmal machte ich mir einen Tee und setzte mich in meinen Lieblingssessel. Die Ereignisse der letzten Stunden kreisten durch meine Gedanken.

      Schumann hatte Richard zornig angeschaut, als er zu uns gestoßen war. »Was redest du da? Es ist noch nicht geklärt, ob Strates Tod nicht doch eine natürliche Ursache hatte«, fauchte er. Für seine Verhältnisse wirkte er sehr ungnädig.

      Richard zuckte mit den Achseln. »Wenn du auf einer Beerdigung auftauchst, dann steckt mehr dahinter. Es hieß ja in einer ersten Meldung, Strate sei einem Herzinfarkt erlegen. Aber in der Zeitung stand gestern doch schon eine kurze Nachricht, dass der Tod des bekannten Kunstsammlers Professor Klas S., dreiundachtzig Jahre, die Polizei vor ein Rätsel stelle.«

      Ich sah Schumann an. »Wolltest du mir das erzählen?«

      Er nickte. »Wir haben in der Tat erst vermutet, er sei einem Infarkt erlegen, obwohl er ein für sein Alter kerngesunder Mann war. Er hat offenbar sehr auf seine Gesundheit geachtet. Keine Zigaretten, selten mal ein Glas Wein, gesunde Ernährung, hat uns seine Haushälterin Ernestine Wiegand berichtet.« Er leerte sein Glas Sekt mit einem großen Schluck. Im Gegensatz zu Strate trank er recht gerne mehr als ein oder zwei Gläser, aber nie im Dienst. Deshalb erschien es mir etwas befremdlich, dass er sich gleich ein nächstes Glas Sekt organisierte.

      Als hätte er meine Gedanken erraten, stellte er das Glas, ohne daraus getrunken zu haben, auf einen kleinen Beistelltisch. »Also gut. Aber bitte posaune das nicht in der Welt herum wie Richard. Unser Gerichtsmediziner Emil Sauerwein hat festgestellt, dass Strate erwürgt worden ist. Wir vermuten einen Raubüberfall, der Strate das Leben gekostet hat. Wahrscheinlich ist er dem Täter in die Quere gekommen. Was diese These bestätigt, ist, dass offenbar ein Bild gestohlen wurde. Ursprünglich standen vier in Packpapier gewickelte Bilder im Flur, wie Ernestine Wiegand zu Protokoll gegeben hat. Diese vier Bilder sollten am nächsten Tag abgeholt und nach Braunschweig gebracht werden. Bis zu der Ausstellung sind es zwar noch etliche Monate, aber Strate wollte die Bilder offenbar schon mal aus dem Haus haben. Wie ich weiß, Anna, erstellst du ja den Katalog.«

      Ich war überrascht, dass er von meinem


Скачать книгу