Der Meister und der Mörder. Margarete von Schwarzkopf
Der Earl schwieg einen Augenblick. »Mein Urgroßvater brach, wie gesagt, 1546 nach Italien auf«, sagte er dann. »Begleitet von einem Diener namens Archibald, einem schottischen Hochländer, war er im Juni dieses Jahres auf dem Weg in die Ewige Stadt. Damals bekleidete Papst Paul III. das Amt Petri. Es war im letzten Jahr der Regierung Heinrichs VIII., der schon seit fast zehn Jahren an den Folgen eines Reitunfalls litt und dessen Kräfte stetig schwanden. Mein Urgroßvater, damals ein Mann von dreißig Jahren und noch unverheiratet, traf im Haus von Arcangelo Buarotti dessen schöne Tochter Bianca. Sie sollte meine Urgroßmutter werden. Als mein Urgroßvater zur Weiterreise nach Rom aufbrach, versprach er Bianca, zu ihr zurückzukommen und um ihre Hand anzuhalten. Was er vier Monate später auch tat. Doch ehe er das Haus verließ, überreichte ihm sein späterer Schwiegervater ein sorgsam eingehülltes Bild als Geste der Freundschaft. Es war der Drachenritter.«
Der Earl sah mich mit einem seltsamen Blick an. »Ihr seid Ire, O’Sullivan«, sagte er dann. »Und so nehme ich an, dass Ihr nicht an dem zweifeln werdet, was ich Euch nun anvertraue.« Er lächelte.
Henry Warchester war ein großer, gut aussehender Mann von Anfang vierzig, der, nach dem Vorbild seines Königs, das lange Haar offen und einen gepflegten Bart trug. Er strich sich mit der Hand über den Schnurrbart und sprach mit gedämpfter Stimme weiter: »Als mein Urgroßvater aufbrechen wollte, trat eine uralte Frau auf ihn zu. Mein Urgroßvater zügelte höflich sein Pferd. Die Alte, die mein Urgroßvater seinem Enkel als winzig kleine Frau mit eindrucksvollen grünen Augen schilderte, hob gebieterisch ihre Hand. Sie wies auf das Bild, das er auf seinem Packpferd befestigt hatte. ›Hütet Euch vor dem Fluch, der auf diesem Bild liegt!‹, sagte sie mit einer überraschend starken Stimme. ›Es ist mit Blut besudelt!‹
Ehe mein Urgroßvater antworten konnte, zogen zwei Diener des Hausherrn die alte Frau beiseite. Sein Diener Archibald, ein wahrer Kelte, sah beunruhigt drein, und auch mein Urgroßvater war, wie er meinem Vater, seinem Enkel, viele Jahre später erzählte, betroffen. Er wollte Arcangelo zu der Bedeutung dieser mysteriösen Worte befragen, schob das aber auf bis zu seiner Rückkehr. Doch als er seinen Schwiegervater schließlich auf den angeblichen Fluch und das Gerücht, das Bild sei mit Blut besudelt, ansprach, winkte Buarotti ab. ›Es heißt, dass dieses Bild einst den Medici gehört haben soll, dann aber durch Gewalt in den Besitz einer anderen Familie gelangte. Mein Vater Donato hat es vor zwanzig Jahren erworben, als es uns aus dem Nachlass jener Familie angeboten wurde. Als er es den ursprünglichen, eigentlichen Besitzern, den Medici, zurückgeben wollte, lehnten diese ab. Es klebe Blut daran, war ihre Begründung. Da sie inzwischen Hunderte anderer Werke ihr Eigen nannten, konnten sie wohl leichten Herzens darauf verzichten. Vielleicht glaubten auch sie an diesen Fluch. Näheres weiß ich nicht. Aber die alte Guiseppa redet oft wirr. Sie zählt schon fast einhundert Jahre. Bei ihr vermischen sich Märchen und Wirklichkeit.‹
Als mein Urgroßvater dann Bianca heiratete, schenkte ihm Arcangelo Buarotti noch den Biondo als Morgengabe. Auch dieses Bild stammte aus dem Nachlass, aus dem der Uccello kam. Dieser Teil der Aussteuer meiner Urgroßmutter wurde ergänzt durch zwei Madonnenbilder eines gewissen Raffael, die aber meine Mutter leider einer Freundin überließ, als diese nach Frankreich in ein Kloster übersiedelte.«
Der Earl warf noch einen Blick auf die beiden Bilder, dann verließ er mit schweren Schritten die Halle. Vor einigen Wochen zog der Biondo in den wesentlich helleren Saal des Schlosses um, bald gefolgt von dem Drachenritter, der zuvor einige Zeit in einem Atelier in London verbracht hatte, um gereinigt zu werden. Seitdem leuchtet der grüne Drache selbst bei dämmrigem Licht, und der rote Mantel Sankt Georgs gleicht einem lodernden Feuer.
Die Warchesters sind Royalisten, ihrem König Charles treu ergeben, immer bereit, für ihn in die Schlacht zu ziehen. Noch ist der älteste Sohn Charles mit seinen zwölf Jahren zu jung für den Kampf, und die jüngeren Brüder James und Robert sind mit ihren zehn und acht Jahren viel zu klein. Doch sie lernen schon eifrig Fechten und üben sich an den Radschlosspistolen ihres Vaters. Ich selbst bin ein leidlicher Fechter, aber ein miserabler Schütze. Eher treffe ich meinen eigenen Fuß als einen Gegner. Mich erschreckt es, dass bereits Kinder mit Schusswaffen hantieren. Auch Lady Annabell ist wenig begeistert von dieser militanten Erziehung. Aber der Earl lässt nicht mit sich reden. »Ich habe auch schon als Kind jede Waffe beherrscht«, riegelt er die Proteste seiner Frau ab.
Wie ich durch Bridget, der mir sehr zugeneigten irischen Kammerzofe von Lady Annabell, erfahren habe, plant der Earl, seine Familie schon bald nach Schottland auf ihren dortigen Landsitz in der Nähe des Loch Leven zu schicken. Lady Annabell sträubt sich zwar, aber dem Befehl des Earls vermag sich niemand zu widersetzen. Bridget gab mir zu verstehen, dass man bereits begonnen habe, die ersten Gepäckstücke zu verladen. Drei Diener, zwei Kammerzofen – Bridget und Mary – und die ehemalige Hebamme der Kinder, selbst Schottin, sollen wohl in den nächsten Tagen aufbrechen. Ich werde hierbleiben und ausharren und einiges für den Earl erledigen, darunter ein Versteck für jene Kunstobjekte einrichten, die hier verbleiben. Das dortige Anwesen Ivory Hall ist sehr viel kleiner als Warchester Castle. Der Earl wird sich in Bälde den Truppen seines Königs anschließen. Mir ist bange zumute.
Wieder stand ich vor dem Uccello und betrachtete das Bild versonnen. Da fiel mir ein Diener auf, der den Saal mit leisen Schritten betrat. Es war ein vierschrötiger Bursche mit einem Gesicht voller Narben. Entweder hat er die Pocken überlebt oder in seiner Jugend an furchtbaren Pusteln gelitten. Ich habe ihn erst einmal gesehen, als er vor wenigen Tagen mit einem Maulesel voller Lebensmittel auf den Innenhof des Schlosses ritt. Offenbar war er neu, denn er schien sich nicht auszukennen. Das erkannte ich an seinen suchenden Blicken, die hin und her huschten.
Etwas störte mich an diesem Neuen, der Steven hieß. Aber ich hatte weder Zeit noch Lust, mich mit einem Diener zu befassen, dessen Aufgabe vor allem darin bestand, sich um die Maulesel und um die Küchenvorräte zu kümmern. Nun aber tauchte er plötzlich im Saal auf, unverhofft und überraschend für mich. Denn eigentlich hatte er hier nichts verloren.
Vorsichtig blickte er sich um. Ich zog mich zurück in den Schatten zwischen zwei klobigen Schränken mit Tischwäsche. Noch hatte er mich nicht gesehen. Er trat auf das Gemälde von Uccello zu, verharrte davor, verzog sein Gesicht zu einer Grimasse und zischte: »Deine Tage sind gezählt, du heidnisches Götzenbild.« Dann zog er lautstark Speichel durch die Zähne und spuckte im hohen Bogen auf das Bild, traf aber nur den Rahmen. Er blickte sich noch einmal um, während ich mich tiefer in den Schatten drückte, und verließ den Saal so lautlos, wie er ihn betreten hatte.
Mich überkam eine böse Ahnung. Der Feind hatte sich ins Schloss eingeschlichen. Cromwells eigener Drache war gelandet.
Miss Marples Rückkehr
Nein, ich wollte wirklich nicht in diesen Fall verwickelt werden. Und schon gar nicht Schumann in die Quere kommen. Aber ich ahnte, dass es bereits zu spät war. Schließlich, redete ich mir ein, betraf mich das gestohlene Bild direkt, da ich ja die Texte für den Katalog verfassen und gemeinsam mit Ferdinand Wedel, dem Kurator des Braunschweiger Museums, die Gemälde sichten sollte. Bisher lagerten die schon etwa dreißig Gemälde im Museumsmagazin. Strates vier Bilder galten als besondere Schätze.
Strates Beerdigung lag erst einen Tag zurück, aber ich fühlte mich an diesem sonnigen Maitag ausgelaugt und wenig aktiv. Nachdem ich mich von dem Gedanken gelöst hatte, womöglich tatsächlich meine alte Freundin an mir vorüberfahren gesehen zu haben, ging ich zu meiner Lieblingsbäckerei an der Ecke, deckte mich mit Brötchen und zwei Stück Apfelkuchen ein und verbrachte den restlichen Tag eher lustlos an meinem Computer. Die Arbeit am Katalog dehnte sich wie Kaugummi. Seltsamerweise versuchte niemand, mich anzurufen, und nur der nervige Frostauer schickte mir eine SMS, in der er seiner »großen Freude« Ausdruck verlieh, mich wiedergesehen zu haben.
Das einzige Telefonat, das ich führte, war mit Ferdinand Wedel. Wir waren für den nächsten Tag verabredet, aber ich wollte ihn um eine Verlegung bitten. Ich mochte Wedel, den ich noch aus seiner Studentenzeit in Köln kannte, aber das Treffen mit ihm in Braunschweig lag wie ein Berg vor mir. Wir wollten gemeinsam die Bilder begutachten und die »Spreu vom Weizen trennen«, wie Ferdinand meinte. Auch überlegte er, »ob wir ein paar Fälschungen oder Kopien entdecken«.
Der