Der Meister und der Mörder. Margarete von Schwarzkopf

Der Meister und der Mörder - Margarete von Schwarzkopf


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konnte ich nicht mehr einordnen.

      Ernestine plumpste mit einem abgrundtiefen Seufzer auf das dunkelblau bezogene Sofa. »Das ist alles so schrecklich!« Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Schürzentasche und schnäuzte sich dramatisch. Und ehe ich mich versah, erzählte sie mir noch einmal die Ereignisse von jenem Morgen vor fast zwei Wochen. Ihre Stimme zitterte, als sie vom Eintreffen des Krankenwagens und vom Auftauchen der Polizei berichtete. Ihr Redestrom hörte gar nicht mehr auf. Zwischendurch servierte sie mir einen ziemlich lauwarmen Kaffee mit sehr viel Zucker und leicht säuerlicher Milch und dazu die mir schon bekannten trockenen Kekse.

      »… und dann haben sie mich immerzu gefragt, was denn gestohlen worden sei. Das eine Bild war weg, dieser Italiener. Und noch zwei silberne Kerzenleuchter. Aber mehr nicht.« Ernestine atmete tief ein. »Wegen so was bringt man doch keinen um!«, empörte sie sich.

      »Vielleicht haben Sie den Einbrecher gestört?«, fragte ich. »Er hat Sie kommen gehört und ist abgehauen.«

      »Aber warum hat er Professor Strate umgebracht?« Ernestines Augen füllten sich mit Tränen. »Er hätte doch einfach die Sachen nehmen und verschwinden können!« Sie sah mich an. »Nein, da muss etwas anderes dahinterstecken. Ich sehe ja nicht umsonst Krimis im Fernsehen. Da kommen solche Fälle immer wieder vor. Der Raub ist nur vorgetäuscht, und dieses Bild hat er mitgenommen, um es als Gemäldediebstahl darzustellen. Der Professor hat mir einmal gesagt, dass der Biondo nicht das wertvollste der vier Bilder für die Ausstellung war.« Ihre Augen blitzten, nicht nur wegen der Tränen.

      Aber es war wohl wertvoller, als Strate immer geglaubt hatte, dachte ich unwillkürlich, vor allem, weil es angeblich nur wenige erhaltene Bilder dieses Malers aus dem 15. Jahrhundert gab.

      »Ich kannte den Professor nicht gut genug, um beurteilen zu können, ob jemand ein persönliches Motiv hatte, ihn umzubringen«, sagte ich. »Aber darüber sollten Sie mit Kommissar Schumann reden. Die Polizei hat bisher keinerlei Details verraten.«

      »Es kann nicht ums Erbe gehen«, murmelte Ernestine vor sich hin. »Das ist alles lange geklärt. Die Bilder gehen an diverse Museen, seine alten Bücher an die Leibniz-Bibliothek in Hannover, das Haus samt Mobiliar wird verkauft und der Erlös an diese Stiftung gehen. Ein entfernter Neffe, der in New York lebt, erhält einen Teil.«

      »Und Sie? Bekommen Sie auch etwas?«, wagte ich zu fragen.

      Ernestine errötete. »Ja, aber nicht so viel, als dass ich dafür morden würde!« Sie lachte. »Ich darf mir zwei Stiche im Treppenhaus aussuchen. Und bekomme wohl auch ein bisschen Geld. Strate hat mir vertraut und mit mir über sein Testament gesprochen.«

      »War der Neffe denn bei der Beerdigung?«, fragte ich neugierig.

      Ernestine schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste. Er ist wohl viel unterwegs. Der Professor sagte mir mal, sein Neffe sei Autor. Was er allerdings schreibt, kann ich Ihnen nicht sagen. Sachbücher, glaube ich.«

      Sie sah mich an. »Der Professor hat Sie immer sehr geschätzt. Schade, dass Sie ihn so selten besucht haben. Er war schon ein wenig einsam. Dabei hat er eigentlich ganz gerne Menschen um sich gehabt. Allerdings nicht täglich und nicht zu viele auf einmal. Gelegentlich sind ehemalige Studenten von ihm vorbeigekommen. Sie waren ja auch vor ein paar Monaten hier. Und vor einigen Wochen ist wohl mal ein Kollege vom Professor hier gewesen. Allerdings weiß ich nicht, wer das war. Ich hatte frei an dem Tag und habe am nächsten Tag dann das benutzte Teegeschirr in die Spülmaschine gestellt. Der Herr Professor hat nie auch nur einen Finger im Haushalt gerührt.« Ernestine sah einen Moment verbittert aus, lächelte aber dann wieder und fügte hinzu: »Nur Frau Windstetten kam regelmäßig vorbei, etwa alle drei Wochen. Sie hat ja auch bei ihm studiert. Erstaunlich, dass sie nicht bei dem Begräbnis war. Sie hat sich gut mit dem Professor verstanden.«

      Christine? Sie hatte mir nie erzählt, dass sie so eng mit Strate in Verbindung stand. Als ich sie einmal nach ihrer Beziehung zu ihm befragt hatte, ehe ich ihn das erste Mal wegen möglicher Leihgaben kontaktierte, hatte sie nur den Kopf geschüttelt: »Ich sehe ihn nur hin und wieder bei seinen gelegentlichen Vorträgen.« Also hatte sie mich glatt belogen. Warum wollte sie mir nicht ehrlich sagen, dass sie noch Kontakt zu ihm hatte? Aber sie war es immerhin gewesen, die mich über Strates Tod informiert hatte. Das hätte mich stutzig machen sollen. Woher hatte sie es so früh gewusst?

      »Haben Sie Frau Windstetten über den Tod des Professors informiert?«, fragte ich.

      Ernestine überlegte. »Das weiß ich nicht mehr. Dieser Tag war so schrecklich. Vielleicht. Ich erinnere mich nicht mehr so gut.«

      Mich bewegte die Frage, warum Christine nicht zur Beerdigung gekommen war, wenn sie so oft bei Strate gewesen war. Ich wollte sie danach fragen, sobald sie sich bei mir melden würde. Zu Ernestine sagte ich: »Ja, ein furchtbares Ereignis. Ich hätte meinen alten Professor auch gerne öfter gesehen. Aber ich war leider ziemlich viel unterwegs, was jetzt nachträglich natürlich keine gute Entschuldigung ist.« Eine Weile saßen wir schweigend zusammen. Dann kam ich endlich zum wahren Grund für meine Stippvisite in Strates Haus.

      »Ernestine, wäre es möglich, einen Blick in das Arbeitszimmer des Professors zu werfen? Vielleicht finde ich dort etwas, was mir bei der Einordnung der drei verbliebenen Leihgaben hilft. Ich sitze ja am Katalog zur Ausstellung, und wir möchten seine Bilder auf jeden Fall zeigen.«

      Ernestine sah mich etwas skeptisch an. »Die Polizei hat sich sehr gründlich dort umgesehen. Auf dem Schreibtisch liegen nur noch ein paar Kugelschreiber und sein altes Tintenfass. Was auf den Blättern stand, die um seinen … Leichnam auf dem Boden lagen, weiß ich nicht. Die Polizei hat sie mitgenommen.« Sie schluckte. »Der Safe im Arbeitszimmer war nicht angerührt, aber als der Polizeiexperte ihn geöffnet hat, wurden darin ein paar Wertpapiere, etwas Bargeld und ein Notizbuch gefunden, das offenbar dem Vater des Professors gehört hat.« Ernestine war wirklich erstaunlich gut unterrichtet. Sie schüttelte den Kopf. »Also, ich weiß wirklich nicht, woran der Professor zuletzt gearbeitet hat. Er hatte ja immer noch viele Anfragen für Artikel und Vorträge.«

      Ich spürte, dass Ernestine mich nicht in Strates Arbeitszimmer lassen wollte. Zwingen konnte ich sie nicht. Etwas enttäuscht stand ich auf. Aber Ernestine schien sich plötzlich anders besonnen zu haben, sprang auf, nickte mir zu und eilte mir voraus.

      Sie öffnete die Tür zum einstigen Heiligtum ihres Arbeitgebers und flüsterte: »Ich geh da nicht rein! Ich sehe ihn immer noch dort liegen. Aber machen Sie mal.« Sie putzte sich die Nase. »Die gestohlenen Kerzenleuchter standen übrigens auf dem Tisch im Eingang, altes schweres Silber, Barock, wie der Professor immer sagte. Aus England. Ich sag ja, das war ein Raub. Die Leuchter sind ziemlich viel wert.« Eine einzelne Träne kullerte an ihrer Nase entlang. Sie wischte sie hastig weg und verließ mich.

      Ich betrat den Raum, der trotz seiner Holztäfelung, der dicht gefüllten Bücherregale und des großen Armsessels kalt und leblos wirkte. In den Regalen Fachliteratur, dicke Bände, Kataloge von diversen Ausstellungen aus allen großen Museen der Welt, sorgfältig geordnet nach Künstlern und Epochen. Eigentlich hätte ich jetzt, wie man das in Filmen sieht, jedes Buch schütteln müssen, um einen eventuell darin verborgenen Zettel zu entdecken. Doch weder hatte ich die Zeit noch glaubte ich, dass Klas Strate die Dokumente in einem der Werke über die Antike und Ägypten, über Renaissancemaler und barocke Bauwerke abgelegt hatte. Sicherlich waren es nicht nur einige wenige lose Blätter, die er mir hatte schicken wollen. Ehrlich gesagt hätte mich das Notizbuch von Heinrich Strate interessiert. Der Mann galt als einer der renommiertesten Kunstsammler seiner Zeit und als Entdecker angeblich verschollener Meisterwerke. Vor etlichen Jahrzehnten hatte er ein völlig verschmutztes Gemälde in einer Hamburger Galerie erstanden, es restaurieren lassen – und siehe da, es entpuppte sich als ein früher Paulus Potter, der um 1900 aus einem Privathaushalt in Utrecht gestohlen worden war. Der Handel mit gestohlener Kunst war keine Erfindung der Neuzeit. Sein Vater hatte das Bild zurückgegeben, wie mir Strate damals erzählte.

      Ich setzte mich an den Schreibtisch. Auf der blank polierten Tischplatte lagen in der Tat nur noch einige Kugelschreiber. Das kleine Tintenfass stand neben einem Bilderrahmen, in dem nicht etwa ein privates Foto steckte, sondern eine Postkarte mit der Abbildung von Paolo Uccellos »Jagd bei Nacht«


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