Der Meister und der Mörder. Margarete von Schwarzkopf

Der Meister und der Mörder - Margarete von Schwarzkopf


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würde ich meine erste Frau vergessen. Doch in diesen unruhigen Zeiten, da ich wegen der Kämpfe in Irland nicht einmal mehr wusste, wie es meinem Sohn Liam erging, sollte man nicht zu viele Gelegenheiten verstreichen lassen. So kommt es, dass ich nicht nur alle zwei Wochen nach Ivory Hall reite, um dort weiterhin meiner Chronistenpflicht nachzukommen, sondern auch, um Bridget den Hof zu machen. Ein bisher sehr erfolgreiches Unterfangen.

      Das ist ein Trost in diesen trüben Zeiten, denn die Würfel sind gefallen. Die dunkelsten Ahnungen haben sich erfüllt. Die Roundheads setzten ihren Siegeszug fort. König Charles wurde Ende Januar geköpft, Cromwell und seine Anhänger haben triumphiert. Wenige Wochen nachdem ich selbst Warchester Castle verlassen hatte, stürmten mehrere hundert Roundheads das Schloss und setzten es in Brand. Die dicken Mauern verhinderten die völlige Zerstörung. Das Eishaus entdeckten sie nicht, wie Duncan uns mitteilte. Dort liegen also die Bilder in Sicherheit.

      Ich bin gestern wieder einmal aus Ivory Hall zurückgekehrt. Vom Herrenhaus, das die schottische Frau des ersten Earl von Warchester, Maria, mit in die Ehe brachte, ist es nicht weit zu den langsam verfallenden Mauern von Loch Leven Castle, das auf einer kleinen Insel in Ufernähe liegt. In dieser Burg lebte einst Maria Stuart als Gefangene. Von dort gelang ihr am 2. Mai 1568 die Flucht. Doch das Glück blieb ihr nicht hold. Kurz darauf verlor sie ihren letzten Kampf um Schottlands Thron, flüchtete nach England und endete schließlich in englischer Gefangenschaft. Am 8. Februar 1587 starb sie in Fotheringhay Castle durch Enthauptung wie ihr Enkel Charles etwa sechzig Jahre später.

      Lady Annabell, die noch immer sehr um ihren Gatten trauert, vermeidet es, ans Ufer zu gehen und die Burg zu sehen.

      »Ich fühle mich hier auch wie eine Gefangene«, sagte sie mir bei meinem ersten Besuch im September des vergangenen Jahres. Sie hat die Hoffnung aufgegeben, je wieder nach England zurückzukehren. Glücklicherweise kommen ihre Kinder mit dieser Situation besser zurecht. Doch über Lady Annabell liegt ein dunkler Schatten.

      In Edinburgh, das zu Pferd gute fünf Stunden, einschließlich der Überfahrt über den Firth of Forth, von Ivory Hall entfernt liegt, bewohne ich ein Zimmer in einem Gasthaus und habe eine Anstellung in der Bibliothek der University of Edinburgh gefunden. Dort arbeite ich als Schreiber und Bibliothekar. Eine bescheidene Arbeit mit bescheidenem Lohn. Ein Trost für mich ist, dass in meiner Kammer im »Rose and Sword« ein Bild hängt, das mich an die guten Tage in Warchester Castle erinnert. Es ist der Biondo, den ich vor der Zerstörung gerettet habe.

      Selbst die traurige und erschreckende Nachricht von der Enthauptung unseres Königs konnte mich jedoch nicht in die Tiefe reißen. Denn Bridget hatte mir genau an jenem 30. Januar mitgeteilt, dass sie unser Kind erwartet. Im August soll es geboren werden. Und schon eine Woche später, an dem Tag, da Charles Stuart, der mit großer Würde das Schafott bestiegen hatte, um seinem himmlischen Richter entgegenzutreten, in der St.-Georgs-Kapelle in Windsor beerdigt wurde, wurden wir in aller Stille getraut. Lady Annabell schenkte Bridget, die ihr fast fünfzehn Jahre lang als Kammerzofe treusorgend gedient hatte, eine beachtliche Aussteuer. In wenigen Wochen, wenn ich eine größere Wohnung gefunden habe, wird Bridget zu mir nach Edinburgh ziehen. Welche Insel der Glückseligkeit inmitten des tosenden Meeres an Kummer und Verlust.

      Jedes Mal wenn ich nach Ivory Hall komme, stehe ich, wie schon in alten Zeiten, vor dem Bild des Drachenritters. Und gelegentlich schmerzt dann meine längst verheilte Schulterwunde, und ein leichter Schauder überkommt mich. Weshalb werde ich die dunkle Ahnung nicht los, dass irgendwo da draußen Steven Clarke noch immer auf dieses Gemälde lauert? Dass er bei seinem Überfall auf mich das falsche Bild gestohlen hat, wird er längst erkannt haben. Und seine Wut, gepaart mit Gier und der Schmach des Versagens, wird ihn nicht ruhen lassen. Irgendwann, so fürchte ich, wird es ihn nach Ivory Hall treiben, um sich des »richtigen« Bildes zu bemächtigen. Das werde ich auf jeden Fall verhindern. Und so reift in mir ein Plan, den ich umzusetzen gedenke, ehe Cromwells Schatten auch auf Ivory Hall fällt.

      Am Abgrund

      Hans Schumann blickte mich mit finsterer Miene an. In der Lobby des schicken Hotels Mercedes, unweit des hannoverschen Messegeländes, wimmelte es von Menschen. Ich hatte Mühe zu fokussieren, erkannte aber den Gerichtsmediziner Emil Sauerwein und Schumanns Assistenten Hartmut Brink, der nun schon seit fast acht Jahren mit ihm zusammenarbeitete. Wie durch einen Wattebausch drangen ihre Stimmen an mein Ohr. Ich saß zusammengekauert in einem der gemütlichen Loungesessel in der lichtdurchfluteten Eingangshalle des Hotels, das für die Außenwelt mit gelben Bändern abgesperrt war. Der Manager des Hotels, ein kleiner Mann mit einer großen Brille, der sich als Fritjof Menge vorgestellt hatte, huschte emsig durch den Raum und rief einigen verschüchtert dreinblickenden Angestellten irgendwelche Befehle zu. Einer davon lautete, mir einen starken Tee zu bringen, eine sehr gute Entscheidung.

      Mein Kopf dröhnte, auch wegen des Schlags, der mich vor etwa einer halben Stunde an der Schulter getroffen und gegen einen Türpfosten geschleudert hatte. Dabei hatte ich mir heftig den Kopf gestoßen. Aber das zählte alles nichts im Vergleich zu dem furchtbaren Ereignis, das der Grund für Schumanns strengen Blick war.

      »Und nun bitte von vorne, Anna«, vernahm ich seine Stimme wie aus weiter Ferne. »Sie sind vor ungefähr vierzig Minuten hier angekommen, und dann?«

      Schumann siezte mich wieder, kein gutes Zeichen. Und seine Stimme erinnerte mich an die meines Mathematiklehrers Hebermann, der mir immer wieder ins Gedächtnis gerufen hatte, dass ich in Mathe eine Versagerin sei. »Eine Sieben wäre noch zu gut für Sie!«, hatte er mich kurz vor dem Abitur angeschnauzt. Er hatte ja recht gehabt, doch in der Abi-Arbeit gelang es mir, eine Vier zu schreiben, und Hebermanns Fassungslosigkeit äußerte sich in der laut vorgetragenen Vermutung, ich hätte diese Note nur durch Pfusch erreicht.

      Äußerlich ähnelte Schumann meinem verblichenen Mathelehrer allerdings nicht. Der war schmächtig und glatzköpfig gewesen, mit schiefen Zähnen und einem dünnen Schnurrbart über dem schmallippigen Mund. Schumann dagegen neigte eher zu einer kräftigen Statur, besaß volle graue Haare und gepflegte Zähne, die er oft und gerne bei einem breiten Lächeln zeigte. Nicht jetzt jedoch. Seine Stimme klang ungewöhnlich hart, und ich zuckte zusammen, als er fortfuhr.

      »Weshalb sind Sie überhaupt hierhergekommen? Wie gut kannten Sie die Tote?«

      In diesem Moment begann ich am ganzen Körper zu zittern. Auf einmal brachen die Ereignisse der letzten Stunde über mich herein wie eine Springflut, und es fiel mir schwer, meine Gedanken zu ordnen. Mir wurde schlagartig bewusst, warum ich in der Lobby des Hotels Mercedes saß, umgeben von Schumanns Mitarbeitern. Gierig griff ich nach der dampfenden Tasse Tee, die eine junge Hotelangestellte auf den Tisch gestellt hatte.

      Ich trank einen Schluck. Das Zittern flaute ab, und ich hatte die Kraft, Schumann zu antworten. »Ich habe einen Anruf von meiner Freundin Christine Windstetten bekommen. Sie schien gehetzt und ängstlich und bat mich, möglichst schnell hierherzukommen. Sie müsse dringend mit mir sprechen.« Ich hielt inne, trank einen weiteren Schluck Tee und überlegte, was danach eigentlich genau geschehen war.

      »Und dann?« Schumann klang ungeduldig, für mich eine neue Eigenschaft an ihm. Er wirkte normalerweise immer eher ruhig und gelassen.

      »Ja, dann bin ich, so schnell ich konnte, hierhergefahren. Ich habe etwa zwanzig Minuten gebraucht. Es war nicht so viel Verkehr wie sonst auf dieser Strecke.« Wieder stockte ich, holte tief Luft und sah Schumann an. »Ich habe mein Auto geparkt, bin ins Foyer gegangen und habe mich nach Christine umgeschaut. Aber ich habe sie nirgendwo gesehen. Da habe ich an der Rezeption nach ihr gefragt. Die junge Frau am Desk hat sich nach meinem Namen erkundigt und mir dann einen Umschlag gegeben, in dem ein Zettel war. ›Bin in Zimmer 210‹, stand darauf.« Ich erinnerte mich noch, wie absurd mir das vorkam. Weshalb sollte sich Christine, die in Hildesheim eine Wohnung besaß, in einem Hotel in Hannover ein Zimmer mieten? Früher hatte sie gelegentlich bei mir übernachtet. Aber nur, wenn sie getrunken hatte.

      Ich hatte den Lift in den zweiten Stock genommen. Dort herrschte Stille. Von draußen hörte ich gedämpft Autos auf den Parkplatz oder vom Parkplatz fahren. Ich ging den Gang hinunter bis zum Zimmer mit den goldenen Ziffern 210 an der Tür. Als ich klopfen wollte, wurde die Tür aufgerissen, ich spürte einen heftigen Stoß, der mich gegen den Türpfosten


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