Kieler Bagaluten. Henning Schöttke

Kieler Bagaluten - Henning Schöttke


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wie Ihre Karin, die konnte was Besseres kriegen. Wie geht es denn der kleinen Karin?«

      »Die kleine Karin hat zwei Kinder und wohnt in Hamburg«, sagt Frau Heerten und fügt hinzu: »Leider! Ich muss auch mal wieder …« Doch dann fällt ihr noch was ein. »Wo hat er denn damals Fußball gespielt, der Schuppi?«, fragt sie und tritt die nächste Lawine los.

      Nach einer weiteren Viertelstunde weiß sie zum zweiten Mal, dass Schuppi als Arbeitsloser seine schöne Wohnung am Amrumring hat aufgeben müssen, wo doch seine Eltern nur das Beste für ihn gewollt hatten, aber sie erfährt immerhin auch, dass er meist am Nordmarksportfeld gebolzt hat, um ihre Karin zu vergessen. »Wie geht es ihr eigentlich, der kleinen Karin?«

      »Die kleine Karin lebt mit Schuppi in Hamburg«, sagt Frau Heerten und geht.

      7

      Am Donnerstag, da hat er immer gebolzt, der Schuppi, hat Frau Vielschwätzer gesagt. Nach dem Dienst, hat sie gesagt. Auf dem Norder, hat sie gesagt. Und da ist Frau Heerten einfach mal hingefahren, so von hintenrum, über die Olshausenstraße, das ist nicht so weit weg von Suchsdorf, Parkplätze sind auch kein Problem und dazu ein wunderbarer Blick über die ganze riesige Rasenfläche.

      Sollten die Bolzer allerdings am anderen Ende vom Platz bolzen, wären sie nur zwei Zentimeter groß, weil sie über dreihundert Meter entfernt sind. Da hat Frau Heerten aber ausnahmsweise mal Glück. Weil sie eine ganz normale Größe haben, sind sie quasi direkt vor Frau Heertens Nase, als sie hinter der Hundeschule durchs Unterholz bricht.

      Sie geht bis zu der hölzernen Barriere, die den gesamten Norder umrundet, und stützt sich mit den Unterarmen darauf. Vierzehn verschwitzte Männer hetzen hinter dem Ball her und versuchen, ihn zwischen die Sporttaschen zu kicken, die die Tore markieren.

      Frau Heerten liebt Fußball. Nicht als Spielerin natürlich, aber als Zuschauerin. Seit das Fernsehen an jedem, aber auch wirklich jedem Abend mehrere Kommissare ins Rennen schickt, die einen Mörder fangen müssen, braucht sie nur auf die Uhr zu sehen, um zu wissen: Noch eine Viertelstunde, bis die neunzig Minuten voll sind, das kann nicht der Mörder sein. Und bei den Dreiviertelstunden-Krimis ist bis fünf Minuten vor Schluss jeder Verdächtige total unschuldig.

      Das ist bei großen Sportwettkämpfen und Fußballevents anders. Da ist von der ersten bis zur letzten Minute alles drin. Deshalb sieht sie lieber die.

      Nun muss ich gestehen, was sie hier auf dem Norder sieht, ist mit einem Spiel – sagen wir mal Bayern gegen Dortmund – nicht zu vergleichen. Latte und Pfosten, die im Fernsehen immer so eine wichtige Rolle spielen, sind hier bautechnisch abwesend, Einwürfe werden mehr so hingefummelt, und von Videobeweisen will ich gar nicht reden.

      Aber ein Schiri ist dabei. Zumindest nimmt sie an, dass der mit der Pfeife diesen Part übernommen hat. Dem Sohn das Trillerpfeifchen geklaut und schon hatte er den Posten. Manchmal kickt er sogar mit, weswegen der Name »Unparteiischer« hier nicht ganz passend ist. Aber das soll bei großen Spielen ja auch hin und wieder nicht stimmen.

      Frau Heerten braucht nicht lange, um herauszuklabüstern, wer eigentlich gegen wen spielt. Die eine Mannschaft hat den Fanshop im CITTI-PARK geplündert und trägt das Emblem von Holstein Kiel auf der Brust. Die anderen haben wohl nur kurz in den Kleiderschrank gegriffen, wie Frau Heerten aus den bunt zusammengewürfelten T-Shirts schließt.

      Eine ältere Frau, die am Rand eines Fußballfelds steht – obendrein als einziger Zuschauer –, fällt den Spielern natürlich auf. Da gibt ein Fußballer schon mal alles und mehr. Könnte schließlich die Mutter eines Gegenspielers sein. Der will man gern zeigen, was für eine sportliche Pfeife sie da in die Welt gesetzt hat. Schade nur, dass der großartig angedachte Fallrückzieher die Grenzen der eigenen Sportlichkeit übersteigt und den Spieler humpelnd auf die Bank zwingt.

      Ich weiß natürlich nicht, wie oft du schon auf dem Norder warst. Aber wenn du auch nur ein einziges Mal da warst, dann weißt du, dort gibt es gar keine Bänke. Deshalb setzt sich der Fußballer nach seinem denkwürdigen Schuss, der beinah das entscheidende Tor gebracht hätte, nicht auf eine Bank, sondern lehnt sich mit dem Rücken neben Frau Heerten an die Barriere.

      »Schade«, sagt Frau Heerten.

      »Hä?«, sagt der Fußballer und wedelt sich mit seinem Hemd Luft zu.

      »Wenn der gesessen hätte …«, sagt Frau Heerten.

      »Hmm«, macht der Hemd-Wedler.

      »Schuppi hätte ihn sicher reingemacht«, sagt Frau Heerten.

      »Glaubichnich«, sagt der Wedler.

      »Wo ist der eigentlich?«, fragt Frau Heerten.

      »Wer?«, fragt er.

      »Schuppi.«

      Also ich finde es ganz toll, wie Frau Heerten das macht. Musst du dir mal merken: Ältere Frauen wirken oft ein bisschen harmlos, manchmal sogar etwas zickig, im Grunde schlicht … alt. Aber man soll sich nicht täuschen, besonders bei Frauen wie Frau Heerten, die so trutschig daherkommen und es doch faustdick hinter den Ohren haben. Da kommt mancher Fußballer nicht mit. Sie hat das Thema jedenfalls gleich da, wo sie es haben will.

      »Schuppi? Ach der. Lange nicht mehr dabei«, sagt der Wedler.

      »Wieso nicht?«

      »Keine Ahnung«, sagt er und humpelt wieder zu den anderen aufs Spielfeld.

      Da wird sie sich wohl noch eine Weile gedulden müssen, bis das Spiel zu Ende ist und sie die anderen fragen kann, ob sie was über Schuppi wissen. Und das, wo Geduld nicht gerade zu Frau Heertens Stärken zählt.

      8

      Wie sagte schon unser Alt-Alt-Bundestrainer, der gute Sepp Herberger? Der Ball ist rund, und ein Spiel dauert neunzig Minuten. Ohne Nachspielzeit und ohne Verlängerung. Und natürlich ohne Elfmeterschießen. Gott sei Dank sind die Herren, die hier hinter dem Ball herhetzen, keine Profifußballer. Daher dauert das Spiel nur so lange, bis dem Ersten der Magen knurrt und alle nach Hause zu Mutti wollen – nicht zur eigenen, sondern zur Mutti ihrer Kinder.

      Vierzehn verschwitzte Herren gehen zum Spielfeldrand beziehungsweise zu dem, was sie zuvor mit ihren Sporttaschen als Rand markiert haben, und kramen jeder in seiner Tasche nach einem Handtuch. Sie verlagern den Schweiß von Stirn und Nacken ins Frottee und klettern dann mehr oder weniger elegant über die Barriere.

      »Hallo, Frau Heerten, wollten Sie mitspielen oder nur mal zugucken?«, fragt einer und rubbelt sich mit dem Handtuch die Haare trocken.

      »Nein«, sagt Frau Heerten, eine etwas ungewöhnliche Antwort auf eine Alternativfrage, aber sie ist im Augenblick zu verblüfft. Wer ist das denn?

      Kennst du bestimmt auch. Wenn Menschen nicht in ihrem natürlichen Umfeld auftreten, hat man kaum eine Chance, sie zu erkennen. Der Alptraum ist die Sauna. Du siehst ihn immer nur nackend, und plötzlich sollst du darauf kommen, dass dieser fesch gekleidete tolle Mann, der dich beim Kaufmann anspricht, das verschwitzte Dickerchen mit Wabbelbrüsten und Hängehintern ist. Oder umgekehrt, dieser Mann mit dem schlampigen T-Shirt und den bollerigen Jeans soll der Adonis aus der Sauna sein? Kommt auch vor. Jedoch seltener.

      Frau Heerten lächelt und versucht, sich nichts anmerken zu lassen.

      »Ich bin Ihr Nachbar«, sagt der Mann und rubbelt grinsend weiter.

      »Ach, Herr …«

      »Wagner«, sagt er.

      Ach ja, das ist dieser Kai-Pflaume-Verschnitt, nur in weniger harmlos, der ihr schon öfter beim Müllrausbringen über den Weg gelaufen ist.

      Er reibt sich die Hände trocken. »Herr Wagner oder Jürgen. Jürgen wäre mir lieber.«

      »Ich wusste gar nicht, dass Sie – äh, dass du hier sportest«, sagt Frau Heerten.

      »Mach ich schon ein paar Jahre.« Jürgen zieht sich sein Holstein-Kiel-Trikot über den Kopf. Ganz vorschriftsmäßig


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